Gnade zu Weihnachten: Warum Straftäter jetzt entlassen werden
Weihnachtsamnestie: Wieso es keinen Grund zur Beunruhigung gibt – und welches Bundesland keine Gnade kennt. Ein Kommentar.
Alle Jahre kommt sie wieder, die sogenannte Weihnachtsamnestie für Gefangene. Auch in diesem Jahr werden deshalb in den Bundesländern vermehrt Inhaftierte entlassen.
Der Begriff Weihnachtsamnestie ist aber in doppelter Hinsicht missverständlich: Weder handelt es sich um eine Amnestie im engeren Sinne, noch findet diese am Weihnachtsabend statt.
Gemeint ist vielmehr die alljährlich wiederkehrende Praxis in den Bundesländern, Gefangene aus Anlass des Weihnachtsfestes und aufgrund von Gnade vorzeitig zu entlassen.
Weihnachtsamnestie soll Chance auf Resozialisierung stärken
Geregelt wird diese vorzeitige Entlassung, soweit ersichtlich, durch die Landesjustizverwaltungen im Erlasswege. So wird per Erlass die Staatsanwaltschaft als Strafvollstreckungsbehörde ermächtigt, einem Verurteilten die nicht verbüßte Restfreiheitsstrafe gnadenhalber zu erlassen.
Was das praktisch und für die Gefangenen bedeutet, zeigt anschaulich ein aktueller Bericht des rbb. Dort heißt es: "Grundsätzlich konnten in diesem Jahr von einem Brandenburger Gericht Verurteilte, deren Entlassung in der Zeit zwischen dem 24. November und dem 5. Januar anstehen würde, nach einer Einzelfallprüfung ab dem 23. November im Gnadenwege vorzeitig entlassen werden.
Davon ausgeschlossen sind jedoch Gefangene, die schwere oder schwerste Straftaten verübt haben. Eine gute Führung während der Haftzeit ist ebenfalls Voraussetzung für den Gnadenerlass."
Einzelfallprüfung: Sicherheit vor Gnade
Man sieht: Die Weihnachtsamnestie ist keine gefährliche Sache, sondern abhängig von einer Einzelfallprüfung, bei der die Sicherheit der Bevölkerung eine Rolle spielt.
Mehr noch: Durch die Weihnachtsamnestie wird den Gefangenen eine zusätzliche Resozialisierungschance, insbesondere die Möglichkeit geboten, Behördengänge oder die Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche noch rechtzeitig vor Beginn der Feiertage zu erledigen.
Schließlich werden während der Feiertage und mit dem bevorstehenden Jahreswechsel solche Erledigungen nicht leichter – sei es, weil die Ämter geschlossen haben oder weil man mit seiner Suchanfrage nicht mehr rechtzeitig durchdringt.
Gnadenloses Bayern
Umso bedauerlicher ist es, dass Bayern als einziges Bundesland auf diese Möglichkeit bislang verzichtet hat. Begründet wird dieser Verzicht auf eine Weihnachtsamnestie vom bayerischen Justizministerium unter anderem wie folgt:
Eine rechtskräftige Strafe im Gnadenwege zu ändern, muss daher absoluten Ausnahmefällen vorbehalten sein und darf nicht von Zufälligkeiten des Kalenders abhängen.
Justizministerium des Freistaates Bayern
Gänzlich unbeachtet bleibt bei dieser Argumentation freilich die zusätzliche Resozialisierungschance für Gefangene. Auch ist der Vorwurf einer Abhängigkeit von den "Zufälligkeiten des Kalenders" insofern wenig überzeugend, als dem Gnadenakt per se bereits ein unvorhersehbares und damit zufälliges Momentum innewohnt, wenn die Gnade "vor Recht" ergeht.
Entscheidung nach freiem Ermessen
Es handelt sich also um einen rechtsfreien, nicht justiziablen Akt. Passend dazu heißt es in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1969 (Az. 2 BvR 552/63):
"Die komplexe Motivation der Gnadenentscheidung ist einer normativen Erfassung entzogen. Die nach dem GG und den Landesverfassungen zur Ausübung des Gnadenrechts berufenen Amtsträger können ihre Entscheidung grundsätzlich nach freiem Ermessen treffen.
Nach diesem Ermessen kann ein Gnadenerweis aus jedem von der Wertordnung des GG nicht missbilligten Grunde abgelehnt werden. (…) Gnade ist also zwar nicht völlig verrechtlicht, die Gewährung oder Versagung eines Gnadenerweises aber rechtlich begrenzt."
Ein schwaches Argument
Nur der Vollständigkeit halber: An anderer Stelle liest man, das bayerische Justizministerium habe argumentiert, die Weihnachtsamnestie würde "einen nicht sachlich gerechtfertigten Vorteil gegenüber anderen Gefangenen gewähren, deren Haftzeit – zufällig – zu anderen Zeiten endet, etwa an Ostern oder Pfingsten".
Auch dieses Argument überzeugt nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn man erneut bedenkt, dass es sich bei der Weihnachtsamnestie um eine außerrechtliche Entscheidung, mithin um einen Gnadenakt handelt, bei dem man gerade nicht an die Kategorien von sachlichen Vor- und Nachteilen zwingend gebunden ist.
Die Weihnachtsamnestie als Gnadenerweis ist gut und richtig. Sie bedeutet weder eine Sicherheitsgefahr noch erfolgt sie bedingungs- und bedenkenlos.