Gotteskrieger aus Deutschland

Seite 2: Lebensbedingungen und Ausbildung in den Camps

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Schon die Anreise aus Deutschland nach Waziristan war ein Problem. Man konnte direkt mit einem Passagierflugzeug nach Pakistan fliegen, dann landete man aber in der Terrordatei von nicht nur einem Geheimdienst. Viele bevorzugten daher den Landweg über die Türkei und den Iran. Das war billiger, brauchte aber mehr Zeit.

Zur "Personenbeförderung" stand ein internationales Netzwerk von Schleusern zur Verfügung: Yakub Erdal im Istanbul, Ezedin Abdel Aziz Khalil in Zahedan, etc.. Allerdings kam so mancher Rekrut nur bis Ankara oder Teheran, weil er seine Kontaktperson am vereinbarten Treff verpasste. Andere wurden von ihren "islamischen Brüdern" unterwegs einfach ausgeraubt und mussten deshalb ihre Reise abbrechen.

Für diejenigen, die bis Waziristan durchkamen, fingen die Probleme erst richtig an: Von der "betreuenden" Gruppierung wurde man in konspirativen Wohnungen untergebracht, die man allein nicht verlassen durfte. Dazu wurden einem die Pässe und das Bargeld abgenommen. Während eine "Sicherheitsüberprüfung" lief, blieb den Terrorfreiwilligen nichts anderes übrig, als sich mit dieser (Gefangenen-)Situation solange zu arrangieren, bis es irgendwann weiterging.

Aus dem DTM-Video "Der Ruf der Wahrheit"

Durch die Aussagen der geständigen Rückkehrer konnte man einen guten Einblick in den Lebensalltag und die Ausbildung in den Mudschahidin-Lagern gewinnen, wie die Journalisten Rolf Clement und Paul Elmar Jöris in ihrem Buch "Die Terroristen von nebenan – Gotteskrieger aus Deutschland" 2010 ausführlich darstellten:

Das Leben in den Ausbildungshütten war erbärmlich. Die vier Mitglieder der Sauerland-Gruppe berichteten übereinstimmend, dass sie fast durchgehend krank waren. Das ungewohnte Klima, das unsaubere Wasser, die schlechte Verpflegung und jede Menge Parasiten setzten ihnen zu. Durchfallerkrankungen plagten sie so heftig, dass sie teilweise nicht in der Lage waren, an der Ausbildung teilzunehmen. (...)

Laut Gelowicz und den anderen Mitgliedern der Sauerland-Gruppe nahm die religiöse Unterweisung in ihrer Terror-Ausbildung nur wenig Raum ein. Auch bei ihnen wurden die noch milden Temperaturen am frühen Morgen extensiv für die theoretische und praktische Ausbildung genutzt. Erst wenn die kühle Witterung bereits der ersten Hitze gewichen war, gab es endlich das Frühstück. Danach ging es weiter. Nach insgesamt drei Kursstunden in Sport sowie Dschihad in Theorie und Praxis waren die Temperaturen so hoch, dass sich Ausbilder und Rekruten in den Schatten zurückzogen.

Mittags gab es "leichte Kost", meist Kartoffeln, die in einem einfachen Blechtopf auf einer Heizplatte gekocht wurden. (...)

Immer wieder wurden die Rekruten nachts geweckt und über die Ausbildungsinhalte befragt. Wer Fehler machte, wurde bestraft: 1000 Liegestützen als Strafe für eine falsche Antwort. Ein anderes Mal musste ein Rekrut eine Stunde auf einem Bein stehend Wache schieben oder eine Stunde lang mit einer Rakete auf dem Rücken in einem Raum stehen. Schneider charakterisierte seine Ausbildung später mit den Worten "Bundeswehr auf islamisch", das sei alles durchaus drillmäßig abgelaufen. Dieses strenge Regiment soll aus den Rekruten willfährige Kämpfer machen. (...)

Aber die Guerilla-Ausbildung konnte auch viel schlichter ausfallen, wie Rami Makanesi im Camp der al-Qaida in Mir Ali erfahren musste:

Aufstehen um fünf, Morgengebet und Koranlesung bis zum Sonnenaufgang. Um halb sieben eine Stunde Sport, bis acht Frühstück. Danach bis zum Mittag Freizeit, die Makanesi meist zum Schlafen nutzte. Nach dem Mittagessen standen Sport und gemeinsames Koran-Auswendiglernen auf dem Programm, nach dem Abendessen wurden islamistische Kampflieder gesungen.

Zwar stieg in den letzten Jahren die Zahl der deutschen Jihadisten, die eine Mudschahed-Ausbildung in einem Camp in Waziristan absolviert haben, stetig an, allerdings nahm gleichzeitig auch die Zahl der "Terrorschüler" zu, die vor Ort schlechte Erfahrungen sammelten, u. a. weil sie den Anforderungen nicht gewachsen waren. So berichteten Rolf Clement und Paul Elmar Jörris:

Die Anführer der Gruppen in Wasiristan merkten immer mehr, dass dieses Training die Auszubildenden aus Europa, vor allem aus Deutschland, physisch und wohl auch psychisch überforderte. Wer mit einem vollen Kühlschrank groß geworden ist, gibt sich auf Dauer nicht mit gekochten Kartoffeln und trockenem Brot zufrieden. Das knüppelharte Training fand unter für Mitteleuropäer höchst gewöhnungsbedürftigen klimatischen Bedingungen im pakistanischen Gebirge statt. Hinzu kam eine Verpflegung, auf die sich europäische Körper erst einmal einstellen müssen. Malaria, Erkältungskrankheiten und völlige Erschöpfung waren an der Tagesordnung – das Immunsystem der Europäer wurde offensichtlich überreizt.

Deshalb ist es in letzter Zeit immer schwieriger geworden, Fahrkarten nach Wasiristan zu bekommen. Die Gruppen, welche die Terroristen ausbilden, sind wählerischer geworden als früher, und die Anforderungen an die körperliche Fitness wurden deutlich angehoben.

Wer vom Jihad genug hatte, stand vor dem Problem, sich aus Waziristan ohne Bargeld und Pass absetzen zu müssen. Besonders prekär wurde die Situation dann, wenn man ohne Genehmigung der eigenen Militärführung abhauen - sprich desertieren - wollte. Für so manchen blieb dann nur die Flucht zur verhassten Deutschen Botschaft. Hier konnten die Konsularbeamten den gescheiterten Terrorveteranen mit neuen Papieren aushelfen. Allerdings hatte die staatliche Hilfe auch ihre Schattenseite, da der Aufenthalt in einem Terrorcamp ein strafwürdiges Verhalten darstellte und entsprechend geahndet wurde. Für die Terrorveteranen blieb dann nur die Wahl zwischen islamistischem Terrorlager oder deutschem Knast.

Die Zerschlagung der DTM

Afghanistan hat 30 Millionen, Pakistan rund 180 Millionen Einwohner. Der kritische Leser mag daher einwenden, dass es völlig überflüssig war, dass auch noch ein paar Hobby-Jihadisten aus Deutschland nach Waziristan reisten, um dort als Zivilisten mit zweifelhafter militärischer Grundausbildung die Kampffront gegen die "Ungläubigen" zu verstärken. Diejenigen, die sich dennoch dazu entschlossen, taten es aus ihrer religiösen Grundüberzeugung heraus, dass die westlichen Staaten der einheimischen Bevölkerung ihr politisches Regime aufzwingen wollten und Muslime dagegen ein Recht auf Selbstverteidigung hätten. Egal wie man dazu stehen mag, eines lässt sich mit Sicherheit feststellten: die Präsenz "deutscher" Terrorschüler hatte nie einen messbaren Einfluss auf den Kriegsverlauf.

Allerdings ist die Datenlage diesbezüglich noch sehr lückenhaft, so gibt es keine genauen Angaben über die Zahl Gefechte der DTM. Immerhin wurde bekannt, dass in den letzten drei Jahren mindestens sechs DTM-Gruppenmitglieder bei Kampfhandlungen getötet wurden.

Eine von vielen befürchtete direkte Konfrontation zwischen deutschen DTM-Mitgliedern und deutschen Bundeswehrsoldaten blieb aus. Der Grund ist einfach: die DTM und die Bundeswehreinheiten waren in unterschiedlichen Gebieten disloziert. Nur einmal gab es einen Zwischenfall: Am 2. Juli 2010 griff die IJU eine Niederlassung der amerikanischen Development Alternative Inc. in Kabul an, dabei kam der deutsche Wachmann Rouven Beinecke ums Leben, der früher als Fallschirmjäger der Bundeswehr in Afghanistan eingesetzt worden war. Bei dem Anschlag starb auch der deutsche Mudschahed "Farooq al-Almani".

Durch die geringe Präsenz deutscher Sicherheitskräfte (BND, MAD und BKA) an den diplomatischen Vertretungen in Pakistan und Afghanistan oder bei den Bundeswehr-Einsatzkontingenten in Kabul, Masar-e-Sharif, Kunduz, Faisabad und Taloqan war das nationale Intelligence-Aufkommen nach 2001 zunächst eher gering. Die deutschen Sicherheitsbehörden blieben weitgehend auf die Informationshilfe ausländischer, insbesonderer amerikanischer Nachrichtendienste angewiesen. Dies änderte sich erst nach Gründung der Deutschen Taliban Mudschahidin, als deren Mitglieder nach Deutschland zurückkehrten und hier gegenüber der Polizei umfangreiche Aussagen machten.

Nach und nach trugen die deutschen Sicherheitsbehörden die Puzzleteilchen zu einem umfassenderen Lagebild zusammen. Dabei konnten sie nicht nur die Situation in Waziristan aufklären, die Arbeit der Sicherheitsdienste hatte ihre Rückwirkungen nach Deutschland: Durch die internationale (Online-)Kommunikation der Terrorverdächtigen gewannen die Ermittler - über den Umweg Waziristan - viele Erkenntnisse über die jihadistischen Strukturen in der Bundesrepublik selbst!

Hinzu kam, dass die Jihadisten ab 2006 das Internet und seine sozialen Netzwerke als leicht zugängliches Propagandamedium entdeckten. So soll die DTM rund 100 Produktionen herausgegeben haben: "Botschaft der Islamischen Jihad Union – Ihr seid nicht allein" (Januar 2009), "Die Hilfskarawane setzt ihren Weg fort" (11.9.2009), "O Allah, ich liebe Dich" (20. und 25.9.2009), "Der Ruf zur Wahrheit" (25.9.2009), "Die vergessene Pflicht" (26.2.2010), "Im Namen Allahs – Subhana wa teala" (13.4.2010), "Das islamische Urteil über die Zulässigkeit von Märtyrer Operationen" (April 2010), "Deutsche Taliban greifen an!" (August 2010) und "Wir sind die DTM" (27.9.2010). Diese Propagandavideos erfüllten mehrere Funktionen: Selbstdarstellung, Sammlung von Spendengeldern und Gewinnung von neuen Rekruten. Allerdings unterschätzten die Mudschahidin offensichtlich, dass sie mit diesen Videos den Sicherheitsbehörden zahlreiche Erkenntnisse frei Haus lieferten. Für mehrere Jihadisten sollte sich dies in den folgenden Strafprozessen bitterlich rächen.

Aus dem DTM-Video "Der Ruf der Wahrheit"

Mit der Verabschiedung des Terrorbekämpfungsgesetzes am 9. Januar 2002 wurde der neue Paragraph 129b in das Strafgesetzbuch eingeführt, der die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung auch dann unter Strafe stellt, wenn die Gruppierung (nur) außerhalb des Hoheitsgebietes der BRD agiert. Dabei ist ein konkreter Tatnachweis oder gar ein Geständnis nicht nötig. Vielmehr hing die Verurteilung von den verfügbaren Indizien (Protokolle der Online-Kommunikation und Mitschnitte der Propagandavideos, etc.) ab. Außerdem zeigte sich bei den Terrorprozessen, dass vermeintliche Belastungszeugen ihre Aussagen, die sie gegenüber den Beamten vom polizeilichen Staatsschutz gemacht hatten, vor Gericht erheblich revidierten: Sie hätten diese oder jene Aussage so nicht gemacht bzw. die Staatsschützer hätten ihre Angaben überinterpretiert, hieß es dann. Sogar die Aussagen der ermittelnden Kriminalbeamten waren von höchst unterschiedlicher Qualität: Mancher Kommissar glänzte mit einem umfassenden Wissen und präzisen Detailkenntnissen, aber es traten auch junge Nachwuchskriminalisten auf, bei denen man sich fragen musste, ob Blumenverkäufer hier nicht die bessere Berufswahl statt Terrorbekämpfer gewesen wäre.

Im Nachhinein könnte man sagen, dass die Staatsschutzsenate der deutschen Landgerichte die an sie herangetragenen Erwartungen voll erfüllt haben: Mehrere DTM-Mitglieder bzw. Sympathisanten wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, bloß weil sie 1000 Euro für "humanitäre Hilfe" und zwei oder drei Ferngläser von "Tchibo" gespendet hatten. Man mag dies für gerecht halten, aber dieser winzige Tatbeitrag stand sicherlich in keinem Verhältnis zu den 700 oder 800 Millionen Euro, die die Bundeswehr jedes Jahr zur Unterstützung der afghanischen Regierungsmafia verpulverte, von dem Massaker des Generals in spe Georg Klein ganz zu schweigen.

Die Zukunftsperspektiven für deutsche Terrorschüler in Waziristan sehen eher schlecht aus. Es bleibt abzuwarten, ob die IJU nach der Zerschlagung der DTM weitere Terrorschüler aus Deutschland in ihre Reihen aufnehmen wird, zumal auch die anderen Organisationen in der letzten Zeit erhebliche Verluste hinnehmen mussten: Auf Seiten von al-Qaida wurde im Juni 2012 Naamen Meziche aus Hamburg in Pakistan festgenommen, außerdem wurden zwei Mitglieder der Islamischen Bewegung Usbekistan (IBU) im Juni 2012 festgenommen: Peter B. aus Ulm und Emrah Erdoğan aus Wuppertal. Bei dieser Terrorbekämpfung konnten die deutschen Sicherheitsbehörden erneut auf die tatkräftige Unterstützung aus dem Ausland bauen: Fatih Temelli und Peter B. wurden bei ihrer Rückreise in der Türkei festgenommen, Emrah Erdoğan in Tansania.

Soweit bekannt sind nur noch drei "deutsche" DTM-Mitglieder auf der Flucht bzw. in Freiheit: Omar Hussein, Atwal Abdur Rehman und Hayrettin Burhan Sauerland. Zwei weitere Randfiguren der DTM, Samir Malla und Hani N., leben in Berlin. Sie waren im September 2011 vorrübergehend festgenommen worden, mussten aber einen Monat später wieder frei gelassen werden, da die Beweislage für einen Prozess nicht ausreichte. Der Rest der früheren DTM-Mitglieder ist entweder tot oder sitzt in der BRD in (U-)Haft. Hinzukommen noch zwei weitere Randfiguren der DTM aus Österreich, die sich ihrem Wiener Strafverfahren im Mai 2012 durch Flucht nach Nordafrika bzw. Afghanistan entzogen haben.

Zukünftig werden sich mit dem laufenden Friedensprozess die militärpolitischen Rahmenbedingungen des Guerillakrieges in Waziristan verändern. Die Präsenz von Ausländern, sei es als Soldat, Söldner oder Jihadist, wird dann (vielleicht) obsolet. Somit hat der bewaffnete Kampf einer neuen "DTM" zukünftig keine Perspektive mehr (Der Frieden hat seinen Preis). Es bleibt abzuwarten, ob sich mit Somalia erneut ein Staat zum Gebiet für die internationale Mudschahed-Terrorausbildung herausbilden wird oder nicht. Den Terrorzellen in der BRD – soweit vorhanden - könnte so der Nachwuchs an ausgebildeten "Schläfern" abgeschnitten werden.

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