Griechenland: Milliarden zur Rettung des Irrsinns

Seite 2: Ein kleiner Einblick in die Amtsstuben

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Jedes Schriftstück, das seinen Weg in griechische Amtsstuben nimmt, muss, bevor es der zuständige Beamte in Empfang nehmen kann, von der Protokollstelle erfasst und mit einer Nummer versehen werden. Logisch, dass das entsprechende Dokument danach sowohl in der zentralen Sammelbibliothek als auch beim zuständigen Beamten vorliegen muss. Das wiederum macht Fotokopien notwendig. Schafft es ein Bürger danach, endlich an eine für eine weitere Behörde benötigte Beglaubigung zu kommen, so muss diese außer vom zuständigen Beamten auch noch vom Büroleiter abgestempelt werden. Bei der nächsten Behörde, bei der die glücklich erlangte Beglaubigung dann vorgelegt werden soll, wiederholt sich das gleiche Spiel von vorn. Denn untereinander sind die Behörden nicht vernetzt. Schließlich gehören sie verschiedenen, im Endeffekt gegen- statt miteinander arbeitenden Ministerien an.

So muss ein Grieche für einen Pass zunächst einmal zum Standesamt (Innenministerium) seiner Heimatgemeinde pilgern, um dort die Geburtsurkunde abzuholen. Danach geht es für Männer im wehrpflichtigen Alter weiter zum Kreiswehrersatzamt (Verteidigungsministerium), wo der Wehrstatus beglaubigt werden muss. Die anfallenden Gebühren sind beim Finanzamt (Finanzministerium) zu entrichten, wofür – es muss schließlich alles seine Ordnung haben – natürlich auch ein Antrag zu stellen ist. Schließlich darf der Pass bei einer zuständigen Polizeibehörde (Ministerium für Bürgerschutz) beantragt werden. Einige Tage später kann man den Pass gegen Unterzeichnung des Empfangs persönlich abholen. Wundert sich angesichts dieses Chaos noch jemand darüber, warum für das gleiche Arbeitspensum ein Dreifaches an Beamten notwendig ist? Wenig überraschend erscheint auch, wieso der griechische Staat auch ohne Korruption und Vetternwirtschaft nutzlose Ausgaben in Milliardenhöhe produziert.

Vielmehr passt hier eine weitere von Hans Joachim Fuchtel gemachte Feststellung. Der Staatssekretär bemerkte nach der Attacke, dass seine Äußerungen falsch ausgelegt worden wären. Er habe zahlreiche Kommunalbeamte erlebt, die sich im wahrsten Sinn des Wortes abrackern würden.

Die einzige Erleichterung, welche vom griechischen Staat für die Bürger im Beamtendschungel geschaffen wurde, sind die Bürgerbüros. Dummerweise sind sie aber auch als erste von der geplanten Entlassungswelle betroffen. Dort können Bürger sofern sie sich fern der Heimatgemeinde befinden, einen Antrag auf Ausstellung von Geburtsurkunden und ähnlichem Papierkram machen. Personell besetzt wurden diese als KEP bezeichneten Stellen mit einfachen Bürokräften, die meist nur über einen Schulabschluss verfügten.

Griechische Realitäten

Genau diese Gruppe, Angestellte ohne Hochschulabschluss, wird von der in der vergangenen Woche angelaufenen Aktion zur "Flexibilisierung der Arbeit" erfasst. In griechischen Medien wird gern darüber referiert, dass es Gemeinden geben soll, die über zehn und mehr Ingenieure verfügen sollen. Daneben seien Gemeinden, denen es an Ingenieuren fehle und die stattdessen zwanzig Reinigungskräfte hätten. Genau diese Ungleichgewichte würden, so die verbreitete Theorie, durch die massenhafte Suspendierung von Beamten aufgehoben.

Die Rolle von Hans Joachim Fuchtel in diesem Spiel ist, dass er mit seinem Team den griechischen Gemeinden bei der Umstrukturierung behilflich sein soll. Fuchtel soll Schwachstellen erkennen und aufzeigen. Etatgewalt hat er jedoch nicht. Es wäre auch angesichts der prekären Lage im Land nicht durchführbar, ausgerechnet einem Deutschen solche Befugnisse einzuräumen.

Die Griechen würden, von ihren Medie, aber auch der einheimischen Politik angefacht, sofort eine "Besatzungskommandantur" wittern. Die Politik jedoch sorgt sich ebenso wie die Medien nicht um das Wohlergehen der Menschen, sondern schlicht um den eigenen Vorteil.

Staatssekretär Fuchtel und Minister Stylianidis stellen sich der griechischen Presse. Bild: W. Aswestopoulos

Bestes Beispiel ist das immer noch meinungsbestimmte Wochenmagazin To Vima. Die traditionsreiche Sonntagszeitung ringt ebenso wie der gesamte Medienkonzern Lambrakis ums Überleben. Angesichts einer weiteren Idee der Troika, nämlich die Kreditvergabe bei griechischen Banken unter die Lupe zu nehmen, wandelte sich das Blatt in der aktuellen Ausgabe vom Sparkursbefürworter zum Troikagegner. "Die Troika macht Business" lautet die Schlagzeile auf dem Titelblatt. Denn der Lambrakis Konzern gehört ebenso wie zahlreiche weitere Großunternehmen des Landes zu den Nutznießern der laschen Kreditvergabe an die bisherigen Eliten.

Bereits jetzt ist der gesunde Teil der griechischen Privatwirtschaft im innereuropäischen Wettbewerb vor allem deshalb gehandikapt, weil die inländischen Banken ihnen keine Liquidität zur Verfügung stellt. Unternehmenskredite sind, wenn überhaupt, dann nur für Zinssätze ab knapp zehn Prozent verfügbar. Weitere Mehrkosten würden die Wettbewerbsfähigkeit noch mehr einschränken. Zu diesen Mehrkosten zählen bislang Angestellte, deren einzige Aufgabe es ist, Behördengänge zu erledigen. Deshalb fürchten zahlreiche mittelständische Unternehmer, dass die neue Verwaltungsreform ihnen noch mehr Ärger und Ausgaben bereiten wird. Für einfache Bürger bedeutet die Verwaltungsreform schließlich nur noch mehr Abzocke ohne Gegenwert.

Der griechische Staat hat zudem bei der oft gepriesenen "Kallikratis"-Reform der Gemeindeordnung verdusselt, den durch Zusammenlegung kleinerer Einheiten neu geschaffenen Gemeinden Finanzmittel zu geben. In der Provinz gibt es zudem keinen öffentlichen Nahverkehr. Im Zug der Sparmaßnahmen wurden selbst Zugstrecken stillgelegt. Wie die Bürger zu den weiter entfernt gelegenen Dienststellen gelangen können, das ist der Zentralregierung egal.

Viele der nominell kommunalen Steuern landen ebenso wie die Hilfskredite aus dem Eurorettungsschirm beim Athener Finanzministerium und verschwinden von dort in immer größer werdende Schuldenrechnungen bei ausländischen Gläubigern.

Vielleicht wäre eine Verwaltungsreform deshalb auch zunächst einmal bei der zentralen Finanzbehörde erforderlich. Denn im "Land mit den überzähligen Beamten" fehlt es an Finanzkontrolleuren. So kann der Generalsekretär der Chryssi Avgi, Nikos Michaloliakos, mit einem nominellen Bruttoeinkommen von 103.000 Euro sein zu versteuerndes Einkommen auf 23.000 Euro runterrechnen. Laut geltender Regeln des Fiskus, hätte ein Ausgabenanteil von mehr als 40 Prozent zumindest eine scharfe Kontrolle zu Folge haben müssen. Ein Stundenhotel, in dessen Verwaltungsrat sowohl der selbst ernannte Saubermann Michaloliakos als auch seine Ehefrau und sein Schwager sitzen, hat nach Angaben der Zeitung "To Ethnos" seit dem Jahr 2000 keine Mehrwertsteuer abgeführt. Das Hotel wird von Pärchen, aber auch von professionellen Liebesdienerinnen gern genutzt und kann sich zumindest nicht über fehlende Kunden beklagen.

Solche Missstände können weder Fuchtel noch die europäischen Regierungschefs anprangern. Denn das würde dem diplomatischen Prozedere innerstaatlicher Beziehungen widersprechen. Wie aber die europäischen Regierungen ihren Wahlbürgern einen erneuten Schuldenschnitt verkaufen sollen, während im "geretteten" Land immer noch dieselben Machteliten ihr Unwesen und weiterhin die Einwohner in den Ruin treiben, das bleibt weiterhin schleierhaft.

Denn beim letzten Schuldenschnitt wurden vor allem die Sozialversicherungen des Landes und die griechischen Kleinanleger über den Kamm geschoren. Betroffene Kleinanleger machten einen Tag vor der Attacke auf den deutschen Konsul am Mittwoch in Athen Jagd auf den ehemaligen Finanzminister und PASOK-Vorsitzenden Evangelos Venizelos. Dieser hatte versprochen, für die teilweise unfreiwilligen Anleger in griechische Staatsanleihen eine Entschädigungsregelung zu finden. Im Gespräch war unter anderem ein Steuerrabatt. Daraus wurde nichts. Viele griechische Kleinanleger kamen an ihre Papiere, weil der Staat ihnen diese als Ersatzleistung für ausstehende Zahlungen, offene Rechnungen und als staatlich garantierte Werte gab. Für die betroffenen Privatbanken gibt es aus der ausstehenden 31 Milliarden Tranche knapp 25 Milliarden Euro Entschädigung.