Griechenland unter dem Spardiktat

Seite 4: Tränengasorgien und Krawalle in der Nachbetrachtung

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Immer noch sind Diskussionen um die Krawalle der vergangenen Woche Tagesthema der griechischen Presse. 2.680 Tränengasgranaten flogen innerhalb 48 Stunden auf den zentralen Syntagmaplatz. Normale gewalttätige Demos sind mit 30 Granaten im Schnitt verbucht. Viele der Granaten hatten ein Ablaufdatum, das vor dem Jahr 2000 lag. Das wirft zahlreiche Fragen auf. Die Granaten werden aus Deutschland und Israel bezogen. Neue Partien sind bereits bestellt.

Unter den Verletzten des 15. und des 28.-29. Juni befinden sich erschreckend viele Journalisten. Die mit äußerster Brutalität vorgehende Bereitschaftspolizei hatte Kameraleute und Presseausweisinhaber regelrecht gejagt. Mehrere Kollegen erlitten Schädelhirntraumata durch Schlagstöcke, einer, Manolis Kypraios, verlor sein Gehör. Den Beamten war es nicht lieb, dass sie bei Gewaltexzessen beobachtet wurden. Sie warfen Kypraios, dessen Hörfähigkeit dauerhaft verloren ist, aus nächster Nähe eine Blendgranate ins Gesicht.

Journalistenverbände laufen Sturm gegen die gezielten Attacken auf die Presse und hetzten ihrerseits auf die verantwortlichen Politiker. Der für die Polizei verantwortliche Bürgerschutzminister Christos Papoutsis sah sich genötigt, im Parlament zu verkünden, dass sein Leib und Leben sowie seine Familie bedroht würden. Grund zur Furcht hat er. Am Donnerstag wurde sein Wohnhaus von einer Menschenmenge belagert. Insgesamt wurden in der Woche nach den Krawallen mehr als neun Politiker tätlich angegriffen.

Im ganzen Land werden Anschläge auf Büros von Politikern verübt. Hier kommt man mit dem Zählen nicht nach. Innerhalb von 30 Tagen möchte Premier Georgios Papandreou nun herausfinden, wer dahinter steckt. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss soll es richten. Seitens der regierenden PASOK werden Angriffe gegen das linke Sammelbündnis SYRIZA erhoben. Im Fall der vom Mob aus dem Fernsehstudio in Trikala gejagten Regierungsabgeordneten war einer der Rädelsführer jedoch ausgerechnet der Vorsitzende des örtlichen Jugendverbands der PASOK. Unter Polizeischutz verließ die Dame fluchtartig das Studio. Bei der Polizei selbst gibt es andere Probleme. Hier bitten zahlreiche Einsatzpolizisten um ihre Versetzung aus der Truppe. Sie sind über die Gewalt ihrer Kollegen entsetzt.

Die Finanzkrise hat sich in Griechenland längst zur politischen Krise ausgeweitet. International bedeutsame Ratingagenturen für Politik gibt es noch nicht. Gäbe es sie, würden sie Griechenland ebenso wie Portugal, Spanien und Italien prophezeien, dass es ähnlich wie im IWF-Staat Ungarn einen Rechtsruck geben könnte. Welche Rückwirkungen dies auf die Wirtschaft des übrigen Europas hätte, müssten die üblichen drei, Standard and Poor's, Moody’s und Fitch bewerten. Vielen Griechen ist es inzwischen egal: "Lass die doch alle reden, was soll denn noch passieren? Wenn wir am Ende persönlich pleite sind, kommen wir ins Gefängnis und kriegen umsonst Kost und Logis."