Griechenland unter dem Spardiktat

Seite 3: Macht die Krise korrupter oder wachsamer?

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Wird tatsächlich mehr geschmiert? Diese Frage stellt sich anlässlich jüngster statistischer Erhebungen. Demnach wurden im ersten IWF-Krisenjahr 2010 stolze 101% mehr Polizisten der Korruption beschuldigt. 758 Beamte betraf dies 2010, nur 389 wurden 2009 angezeigt. Die Anschuldigungen gehen von einfacher Bestechung und Amtsmissbrauch hin zur Beteiligung an organisiertem Verbrechen. Um 245 % stieg die Zahl der wegen Bestechlichkeit angezeigten Beamten des übrigen öffentlichen Dienstes.

Es ist in öffentlichen Diskussionen bislang unklar, ob die erheblich gesunkenen Gehälter im öffentlichen Dienst oder eine erhöhte Aufmerksamkeit der Bürger für die hohen Zahlen sorgen. Wahrscheinlich ist es eine Kombination beider Faktoren. Doch wer erwischt wird, wird noch lange nicht bestraft. Auch hier versagt der Staat, der andererseits den nicht privilegierten Bürgern immer mehr Bürden auflastet: Erwischt, aber nicht bestraft wurden beispielsweise:

  • Eine Bauamtsangestellte, die trotz Verbots ganz einfach die Bauanträge ihres Gatten genehmigte.
  • Eine Krankenhausverwaltung, die keinen Grund sah, einen der fahrlässigen tödlichen Körperverletzung überführten Arzt aus dem Verkehr zu ziehen.
  • Der Flugsicherheitsbeamte, der aufgrund nicht durchgeführter, vorgeschriebener Kontrollen Griechenlands spektakulärsten Gefängnisausbruch ermöglichte (Spektakuläre Gangsterbefreiung in Griechenland).
  • Ein Beamter, dem ein Fehlbetrag in seiner Kasse nachgewiesen wurde. Es fehlten nur 59.200.000 Euro!

Es liegt auf der Hand, dass solche Extrembeispiele nicht für alle Griechen gelten können. Normalbürger sind in der Regel ähnlich entsetzt wie ausländische Beobachter. Um solche Missstände zu beseitigen, wäre jedoch eine starke Regierung mit großem Rückhalt in der Bevölkerung von Nöten. Ein Premier, der wie Georgios Papandreou ständig um seine Mehrheit im Parlament bangen muss, dessen Minister und Abgeordnete nicht mehr auf die Straße oder in Fernsehstudios gehen können und der darüber hinaus noch mit negativen Folgen europäischer Finanzpolitik zu kämpfen hat, ist dazu wahrlich nicht in der Lage.

Lobbys bleiben in der Krise besonders stark

"Die Löhne sinken für alle" heißt es offiziell. In einer Art Konkordat hat der Athener Erzbischof, die Nummer eins der griechischen orthodoxen Kirche, Ieronymos, beim neuen Finanzminister Evangelos Venizelos durchgesetzt, dass den Priestern, die alle per Gesetz Angehörige des öffentlichen Dienstes sind, kein Geld gekürzt wird. Denn, "das wäre unethisch", meint Venizelos und kürzt stattdessen lieber Renten der Bauern, die 300 bis 500 Euro Ruhegeld pro Monat erhalten. Kürzen muss er irgendwo, denn sonst ist das Land endgültig pleite. Dass es darüber hinaus politisch absolut zerrüttet ist, kommt noch erschwerend hinzu.