Griechenlands Euro-Austritt rückt näher

Offen wird über einen Austritt der Hellenen aus dem Euro gesprochen, während Wirtschaftsnobelpreisträger Krugman vom "Ende des Euro" spricht

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Seit längerem wird darüber spekuliert, ob und wann Griechenland aus der Eurozone austreten muss. Die Gespräche darüber werden immer offener geführt, wie auch in der Europäischen Zentralbank (EZB). Bei Treffen der Finanzminister der Euro-Zone am Montag und der EU-Finanzminister am Dienstag steht das Thema offiziell nicht auf der Tagesordnung, doch Wolfgang Schäuble hat die Diskussion in den letzten Tagen massiv befeuert. Sein Bundesfinanzministerium plant offenbar schon konkret, wie man dem Land den Austritt schmackhaft machen kann.

Dass sich in Griechenland aller Wahrscheinlichkeit nach den Wahlen keine Regierung bilden kann, ist eigentlich längst klar. Denn die Wähler haben sich mehrheitlich für Parteien entschieden, die den von Brüssel verordneten Sparkurs nicht mittragen wollen. So werden im Rahmen dieser Debatte nun die Stimmen immer lauter, die das fordern, was angeblich doch seit Jahren mit immer neuen Nothilfe-Milliarden verhindert werden sollte: ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone.

Die Euro-Finanzminister hatten das Thema genauso wenig am Montag auf der Tagesordnung wie die EU-Finanzminister beim Treffen am Dienstag. "Der Austritt Griechenlands aus dem Euro war nicht Thema der Debatte heute", sagte Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker am Montag in Brüssel. "Niemand" habe dafür argumentiert, fügte er an. "Es ist klar, dass wir wollen, dass Griechenland im Euro bleibt", legte sich auch EU-Währungskommissar Olli Rehn ins Zeug. Das klingt längst nach Beschwörungsformeln wie in der Zeit, in der lang und breit beschworen wurde, dass das Land keine Nothilfe benötige oder dass kein Schuldenschnitt für Griechenland geplant sei (Pläne für die Umschuldung Griechenlands reifen). Dabei wird immer offener in allen Foren über den Austritt diskutiert, der damit auch konkret vorbereitet wird. So hatte gerade die britische Financial Times (FT) berichtet, dass in der EZB erstmals offen darüber gesprochen worden sei. Die britische Zeitung zitiert den belgischen Zentralbankchef Luc Coene, der von einer "Scheidung" spricht, die nie reibungslos funktioniere. Anders als die frühere Position, wonach ein Austritt unmöglich sei, erklärte Coene. "Aber ich denke, eine Scheidung auf freundschaftlicher Basis, sollte sie jemals nötig werden, wäre möglich - wenngleich ich sie weiterhin bedauern würde."

Zitiert wird von der FT auch sein irischer Kollege Patrick Honohan: "Es können eben Dinge passieren, die nicht in den Verträgen stehen", wird Honohan noch etwas deutlicher. Der Vorgang könne vom technischen Standpunkt her abgewickelt werden. "Er wäre nicht notwendigerweise tödlich, aber auch nicht attraktiv."

"Wir können kein Land zwingen, im Euro zu bleiben"

Dass die Weichen für den Austritt gestellt werden, dafür gibt es auch andere deutliche Hinweise. So hatte sogar EU-Kommissionspräsident im italienischen Fernsehen erklärt: "Wenn sich ein Mitglied in einem Club nicht an die Regeln hält, ist es besser, dass es den Verein verlässt." Eine Sprecherin von José Manuel Barroso versuchte die Worte am Montag dann aber wieder relativieren. Barroso habe allgemein gesprochen und nicht konkret über Griechenland. Einen Austritt aus dem Euro "wünschen wir nicht", fügte sie an. Ein Dementi klingt anders.

Der Eurogruppenchef Juncker warf vor dem Treffen der Finanzminister am Montag in die Diskussion, Griechenland mehr Zeit für die Konsolidierung seines Staatshaushalts zu geben, wie es Spanien angesichts der schlechten Daten wohl eingeräumt wird. Doch dagegen spricht sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) aus, der zudem als Kandidat für den Posten des scheidenden Juncker gehandelt wird. Es gebe keinen Anlass für die Änderung der geltenden Vereinbarungen mit Athen. Es gehe nicht darum, "mehr oder weniger großzügig mit Griechenland zu sein", sagte er vor dem Treffen. Er bestätigte damit den Kurs der Bundesregierung, die zu "den Zielen, den Inhalten und auch den Zeitplänen" stehe, die im Rahmen des Rettungspakets vereinbart wurden, sagte der Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Steffen Seibert.

Schäuble hält einen Austritt Griechenlands aus dem Euro für verkraftbar. Im Interview erklärte er vergangene Woche: "Europa geht so schnell nicht unter." Man habe in den letzten zwei Jahren viel gelernt und Schutzmechanismen eingebaut. "Die Ansteckungsgefahren für andere Länder der Eurozone sind geringer geworden und die Eurozone ist insgesamt widerstandsfähiger geworden", meinte er. Wenn schnelles Handeln angesagt ist, könne Europa rasch reagieren.

Ausgerechnet Spanien führte er dafür als Beispiel an, wo dies gerade "unter Beweis gestellt" worden sei, indem eine bedrohte Bank verstaatlicht wurde. "Die Vorstellung, dass wir nicht in der Lage wären, kurzfristig auf etwas Unvorhergesehenes zu reagieren, ist falsch." Am Sonntag hatte er sogar noch nachgelegt und in einem weiteren Interview bekräftigt: "Wir können kein Land zwingen, im Euro zu bleiben." Wie stets fügte er an, dass man den Austritt Griechenlands nicht wolle. Er bestätigt aber auch, dass man sich schon konkret auf den Fall vorbereite. "Wir wären eine komische Regierung, wenn wir uns nicht auf alle denkbaren Fallkonstellationen vorbereiten würden, um sie dann auch meistern zu können – auch Situationen, die für Europa nicht einfach wären."

Dass Schäuble am Montag seine Äußerungen wieder abgeschwächt hat, dürfte aber genau mit den neueren Entwicklungen in Spanien zu tun haben. Denn plötzlich warnte Schäuble Griechenland wieder: "Wenn sie sich entscheiden, den Euro zu verlassen, wird der Preis sehr hoch sein." Für Griechenland bedeute das eine "ziemliche Verarmung". Doch Schäuble hat wohl stärker die Auswirkungen für andere Länder und den Euro im Blick, denn ein Austritt "würde auch für uns eine Menge Turbulenzen bedeuten", warnte der Finanzminister. "Wir sind in einer nervösen Situation in der Eurozone."

Denn Spanien ist am Montag wieder klar auf Absturzkurs gegangen. Die Zinsen für spanische Staatsanleihen steigen wegen der massiven Bankenkrise im Land weiter an. Der Risikoaufschlag schloss mit 477 Basispunkten so hoch wie nie zuvor. Zwischenzeitlich war er sogar auf 492 Punkte gestiegen. Damit blieb er zwar unter dem bisherigen Allzeithoch im November, doch damals schloss er nicht auf so hohem Niveau. Offenbar hat sich auch Schäuble angesichts dieser Entwicklung dazu entschlossen, die Austritts-Debatte zu verschieben. Denn auch dem Finanzminister ist klar, dass Spanien eine ernsthafte Gefahr für den Euro ist.

Dass man sich konkret auf den Austritt vorbereitet, ist seit längerem bekannt (Mögliche Griechenland-Pleite sorgt für Panik). Wie die Vorbereitungen aussehen, darüber hat der Spiegel zum Teil schon berichtet. Mit Bezug auf Planungen in Schäubles Ministerium hat das Nachrichtenmagazin gemeldet, dass Griechenland auch im Falle eines Austritts aus der Euro-Zone weiter Geld aus dem europäischen Rettungsschirm EFSF erhalten soll. Damit sollen die "Folgen gemildert werden". Demnach würden die Milliarden weiter fließen, mit denen die griechischen Staatsanleihen bedient werden. "So könnten Verluste bei der Zentralbank verhindert werden, die letztlich auf die Haushalte der Mitgliedstaaten durchschlagen", so der Spiegel.

Es schält sich in der Bundesregierung der Weg heraus, Griechenland den Austritt insgesamt schmackhafter zu machen. Bleibt Griechenland in der EU, habe es natürlich auch weiter Anspruch auf Brüsseler Hilfen wie alle anderen EU-Länder mit eigener Währung, die in Schieflage geraten. Allerdings würden diese Mittel dann nicht mehr nur von den Euro-Ländern finanziert, sondern von allen 27 EU-Mitgliedsstaaten.

Diese Linie hatte schon Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im Februar gepriesen. Die Chancen Griechenlands sich zu regenerieren und wettbewerbsfähig zu werden, sei mit Sicherheit außerhalb der Währungsunion größer, hatte er erklärt. "Ich rede nicht davon, Griechenland rauszuschmeißen, sondern Anreize für einen Austritt zu schaffen, die sie nicht ausschlagen können."

Eurodämmerung

Der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman geht längst davon aus, dass ein Austritt unmittelbar bevorsteht. Griechenland werde sehr wahrscheinlich schon im Juni die Eurozone verlassen, schreibt er in wenigen Zeilen in seinem Blog bei der New York Times. Er spricht von der "Eurodämmerung" und illustriert seinen Beitrag mit einem Video aus der Wagner-Oper Götterdämmerung. Er sagt voraus, dass es zu einer massiven Kapitalflucht kommen wird, weil Einleger ihr Geld nach Deutschland verschieben. Dass aus Spanien längst massiv Geld abgezogen wird, ist bekannt (Die EZB hat ihr Pulver verschossen und ist ratlos).

Krugman rechnet in diesem Rahmen damit, dass es sogar zum Verbot kommen dürfte, Geld ins Ausland zu überweisen, auch Bargeldauszahlungen könnten stark eingeschränkt werden. Als Alternative oder als Ergänzung erwartet er, dass die EZB die Geldmärkte wie im Februar und Dezember massiv fluten wird, um einen Banken-Kollaps zu verhindern. Deutschland habe dann die Wahl. Es müsse für die Schulden Spaniens und Italiens garantieren, um ihre Zinsen verkraftbar zu halten und vor allem Spanien eine Hoffnung zu geben. Dazu müssten höhere Inflationsraten akzeptiert werden, weil sonst der Euro Geschichte sei. Das geschehe in den nächsten "Monaten und nicht Jahren", meint Krugman.