Die EZB hat ihr Pulver verschossen und ist ratlos
Der Zentralbankrat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag mitten im Krisenherd Spanien getagt, Reisefreiheit, Freizügigkeit und weitere Freiheiten blieben auf der Strecke
Die spanische Regierung hatte in der katalanischen Metropole massiv Sicherheitskräfte zusammengezogen. Obwohl nicht einmal Demonstrationen angekündigt waren, fabulierte Madrid Gefahren und Krawalle herbei, passiert ist nichts. Die EZB hat den Leitzins nach der Sitzung auf dem Tiefststand von 1% belassen. Sie spricht sich wachsweich nun dafür aus, das Wachstum zu fördern. Da er gleichzeitig Merkels Fiskalpakt beschwört, ist unklar, wie sich Wachstum mit dem Spardiktat vertragen soll.
Während sich die 23 Führungsmitglieder der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag in Barcelona getroffen haben, befand sich Katalonien in einer Art nicht erklärtem Ausnahmezustand. Das Schengener Abkommen wurde schon vor dem 1. Mai außer Kraft gesetzt und Kontrollen an der nahen Grenze zu Frankreich wieder eingeführt. Die rechte spanische Regierung hatte eine "ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Sicherheit" herbeifabuliert und verwies dabei auf Krawalle beim Generalstreik am 29. März in Barcelona (Hunderttausende zogen zum Generalstreik in Spanien auf die Straßen). Mindestens 50 Personen wurde die Einreise nach Spanien verweigert und mindestens 17 Personen durch Festnahme sogar zeitweise die Freiheit entzogen. Dabei war nicht einmal eine Demonstration gegen das Ratstreffen angekündigt.
Obwohl auch die riesigen Demonstrationen am 1. Mai und am Sonntag zuvor friedlich verliefen, hatte man mindestens 8.000 Polizisten aus dem ganzen Land in Barcelona zusammengezogen. Zahllose vermummte Zivilpolizisten wurden aufgefahren, die sich nur mit einer Armbinde als "Polizei" auswiesen. Auf Dächern waren sogar Scharfschützen postiert. Vergleichbar war das Aufgebot nur noch mit dem Olympischen Spielen 1992 und dem EU-Gipfel 2002. Es sei viel Geld für einen Banker-Ausflug von Frankfurt ans Mittelmeer ausgegeben worden, wurde in Barcelona geunkt. Sogar Konservative in Katalonien halten die Maßnahmen für überzogen. Der katalanische Innenminister Felip Puig hat erklärt, dass die katalanische Polizei auch alleine dazu in der Lage gewesen wäre, das Treffen zu schützen.
So schauten sich die Mossos d'Esquadra und zahlreiche "Aufstandsbekämpfungseinheiten" der paramilitärischen Guardia Civil und der Nationalpolizei gelangweilt die Demonstration von tausenden Studenten am Donnerstag an, die friedlich gegen die extremen Einschnitte ins Bildungssystem, steigende Studiengebühren und Stellenstreichungen in der Universität streikten und demonstrierten. Die "Empörten" hatten schon am 30. April öffentlich erklärt, nicht auf die "Provokationen" einzugehen: "Auch wenn wir uns radikal gegen die illegitime und unsoziale Politik der EZB stellen, werden wir das soweit wie möglich entfernt von ihnen tun." Statt an diesen Tagen zu demonstrieren, wurde zu Veranstaltungen geladen, um über die Hintergründe der EZB-Politik aufzuklären und zu debattieren.
Die "Indignados" folgen ihrem eigenen Kalender. Sie bereiten auf ihre landesweiten Demonstrationen am 12. Mai vor. Denn am 15. Mai jährt sich die Entstehung der Bewegung 15-M als vor einem Jahr die "ohne Job, ohne Wohnung, ohne Pension und ohne Angst" erstmals auf die Straße gingen (Jugend "ohne Job, ohne Wohnung, ohne Pension und ohne Angst"). Danach besetzten sie wochenlang friedlich Plätze im ganzen Land und konnten zahllose Menschen mobilisieren. Geplant ist, erneut die Plätze zu dauerhaften Protestorten zu machen und wieder ins politische Geschehen einzugreifen.
Angst vor Unruhen
Man darf gespannt sein, wie die neue konservative Regierung mit den Protesten umgeht. Denn ihre Reformen sehen auch vor, friedliche Proteste hart zu kriminalisieren (Aufruf zu Protesten im Internet soll als Bildung einer kriminellen Vereinigung bestraft werden). Zwar soll damit gegen die angeblich eskalierende Gewalt und "Straßenterrorismus" vorgegangen werden. Dass es darum bestenfalls am Rande geht, zeigt sich auch daran, dass "passiver oder aktiver Widerstand" als "Angriff auf die Staatsgewalt" eingestuft werden soll. Damit ist auch das friedliche Eindringen in eine öffentliche Einrichtung gemeint oder wenn der Zugang durch einen Sitzstreik verhindert wird. Dann drohen Haftstrafen von mindestens zwei Jahren, um sofort Untersuchungshaft verhängen zu können. Verhindert werden soll damit auch, dass die Strafen zur Bewährung ausgesetzt werden.
Mit derlei Maßnahmen versucht die Regierung der Tatsache zu begegnen, dass sich die Proteste in den letzten Jahren ausgebreitet haben und nach Ansicht von Politologen und Soziologen weiter ausbreiten werden. Carlos Taibo, Professor für Politikwissenschaft an der Universität in Madrid, glaubt, die Regierung habe Angst vor den Empörten, weil das Gewicht der Bewegung deutlich größer sei, als das ähnlicher zuvor. "Man versucht verzweifelt einen Umgang mit der gewaltfreien Bewegung 15-M zu finden und deshalb versucht man es mit solchen Mitteln, die einen bestürzen und sich jeder Rationalität entziehen."
Auch sein Kollege Raimundo Viejo, von der Universität in Barcelona, glaubt, dass Angst verbreitet werden soll. Er geht auch davon aus, dass die spanische Verfassung solche Gesetze nicht zulasse, "weshalb man nicht in Alarmismus verfallen sollte". Er erwartet, dass die Menschen sogar noch stärker protestieren, "da die Krise in dieser unheilvollen Form angegangen wird und es unzählige Gründe zum Protest geben wird". Da den Protagonisten bewusst werde, welche Macht sie haben, bleibe dem Staat bald nur noch die Eskalation: "Der Einsatz von Ausnahmegesetzen und die langsame Auflösung des Rechtsstaats, womit die soziale Kontrolle der Polizei zufällt." Eine Reform, wie sie nun geplant ist, hätte man eher in einem Land wie China erwartet, meint der Professor. "Sie würde einen furchtbaren Rückschritt in die Zeiten des Franquismus bedeuten." Er spielt auf die Wurzeln und die autoritären Tendenzen von Rajoys Volkspartei (PP) an, die von einem ehemaligen Minister der Franco-Diktatur gegründet wurde und sich vom Putsch 1936 und den Jahrzehnten der Diktatur nicht distanziert hat (Der umstrittenste Spanier ist gestorben).
Prekäre Lage Spaniens spitzt sich zu
Während in Katalonien nun alle die unter Generalverdacht gestellt wurden, die für eine wahre Demokratie eintreten, ging der eigentlich Angriff auf Spanien und den Euro an den Finanzmärkten weiter. Während die Zentralbanker hilflos über Krisenstrategien berieten, stiegen die Zinsen für die Anleihen Spaniens bei einer Anleihe-Auktion erneut an. Die prekäre Lage in dem Krisenland spitzt sich zu, womit auch die Gemeinschaftswährung in Gefahr gerät (Es wird ernst für Spanien und damit für den Euro).
Die Renditen für spanische die Anleihen mit Laufzeiten über drei und fünf Jahren erreichten neue Jahreshöchststände. Spanien konnte zwar wie geplant 2,5 Milliarden Euro einnehmen, doch für dreijährige Papiere musste das viertgrößte Euroland wieder eine Durchschnittsrendite von über 4% bieten. Im März waren es noch gut 2,6%. Ähnlich sah es auch bei den Fünfjahresläufern aus. Statt 3,7% musste Spanien von fast 5% zahlen. Immer stärker fließt Geld aus dem Land ab. So gab die spanische Notenbank bekannt, dass allein im ersten Quartal 62 Milliarden Euro abgezogen wurden. Statt 50,5% werden mit 220 Milliarden Euro nur noch 37,5% der spanischen Anleihen von ausländischen Anlegern gehalten.
Angeschlagene spanische Institute sind eingesprungen, die weiterhin günstige Anlageformen für das billige Geld von der EZB suchen. Die Zentralbank hatte im vergangenen Dezember und im Februar die Geldmärkte mit einer Billion Euro geflutet. Geschäftsbanken erhielten es für drei Jahre mit einem Zinssatz von 1% und kaufen damit Anleihen, für die sie 5 und 6 Prozent oder noch höhere Zinsen einnehmen. Mit dieser Subvention wurde zunächst dafür gesorgt, dass die Zinsen von Krisenländern wie Spanien und Italien deutlich fielen.
Doch die EZB-Maßnahme verpufft zusehends, wie sich auch an Italien zeigt. Die Zweifel an Spanien treiben auch die Zinsen für italienische Anleihen wieder hoch. Vergangene Woche musste Rom für zehnjährige Anleihen fast 6% Rendite bieten und zu diesem Zinssatz werden auch zehnjährige spanische Anleihen am Sekundärmarkt zu diesem gefährlich hohen Zinssatz gehandelt. Das hoch verschuldete drittgrößte Euroland kann sich so hohe Zinsen nicht leisten. Sogar der Präsident der italienischen Notenbank hält nur einen Zinssatz von etwa fünf Prozent für zehnjährige Anleihen für verkraftbar, hatte Ignazio Visco schon im vergangenen Jahr erklärt. In Spanien, wo die Zinslast im Haushalt schon der zweitgrößte Posten hinter den Rentenzahlungen ist, führen die steigenden Zinsen alsbald angesichts der abstürzenden Wirtschaft in den Rettungsschirm, weil damit auch das Bankensystem des Landes immer instabiler wird.
Visco und seine Zentralbankkollegen mussten im Herzen der Euro-Krise wieder einmal darüber nachdenken, wie deren weitere Ausweitung verhindert werden könnte. An der Zinsschraube wollte der EZB-Rat aber in Barcelona nicht erneut drehen. Er beließ den Leitzins auf 1%. Er war im Dezember wieder in der Hoffnung auf den historischen Tiefstand gesenkt worden, dass billige Zinsen die Wirtschaft ankurbeln würden. Eine neue Zinssenkung wäre, angesichts einer Inflationsrate von derzeit 2,6% im Euroraum aber nicht zu rechtfertigen. Denn die EZB muss für Währungsstabilität sorgen, die sie bei einer Inflationsrate unter 2 Prozent sieht.
Man ist besorgt, weil trotz aller Maßnahmen die Wirtschaft im Euroraum im vierten Quartal 2011 wieder geschrumpft. Das wird auch für das erste Quartal 2012 erwartet und dann befände sich die Eurozone wieder in der Rezession. Die EZB hat ihr Pulver weitgehen verschossen und kann kaum noch Wachstumsanreize bieten, weshalb EZB-Präsident Mario Draghi auf der Pressekonferenz in Barcelona den Ball der Politik zuspielte. Er hat gefordert: "Wachstum muss in den Vordergrund rücken." Er sieht dabei keinen Widerspruch zum Fiskalpakt von Bundeskanzlerin Angela Merkel, der von den Ländern immer neue Sparanstrengungen verlangt, welche die Rezession aber weiter vertiefen.
EZB-Chef Draghi dringt auf Einsparungen, während die spanische Regierung eher auf Steuererhöhungen setzt
"Das Wachstum gründet sich auf stabile Haushalte", verkündet Draghi. Er erklärte schwammig, dass die Staaten über Strukturreformen für Wachstum sorgen und ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern sollten. Es blieb aber bei leere Formeln des ehemaligen Bankers von Goldman und Sachs, der in seiner Zeit bei der US-Investmentbank Goldman Sachs ausgerechnet Griechenland dabei geholfen haben soll, einen Teil seiner Staatsschulden zu verschleiern (Zirkus um Ernennung von Mario Draghi zum EZB-Chef).
Für die spanischen Konservativen war es aber wie eine kalte Dusche, wenn ausgerechnet Draghi nun Ausgabensenkungen statt Steuererhöhungen empfiehlt, um das Wachstum nicht zu schwächen. Gegen alle Wahlversprechen hat die Regierung unter Mariano Rajoy die Einkommenssteuer und Grundsteuer erhöht . Zum Jahreswechsel werden auch noch die Mehrwertsteuer und andere Verbrauchssteuern erhöht, womit der Konsum weiter stark geschwächt wird.
Diese Steuererhöhungen von ohnehin schon stark belasteten niedrigen und mittleren Einkommen sind aber in allen Krisenländern die Folge des Sparkurses. In der Rezession einbrechende Steuereinnahmen und steigende Sozialkosten, für die vor allem die steigende Arbeitslosigkeit verantwortlich sind, sollen kompensiert werden, um die Defizitziele zu erfüllen. Der eingeschlagene harte Reform- und Sparkurs hat in Griechenland, Irland, Portugal und Spanien nicht zu einer Stabilisierung sondern zu einer explodierenden Arbeitslosigkeit geführt. Sie ist deshalb im März im Euroraum auf einen neuen Rekordwert von 10,9% angewachsen. Nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat lag Spanien im März mit schon 24,1% der aktiven Bevölkerung weiter an der Spitze vor Griechenland (21,7%), Portugal (15,3%) und Irland (14,5%). In Spanien sich schon mehr als 51% aller jungen Menschen ohne Job und erwartet wird, dass die Arbeitslosenzahl 2012 auf über sechs Millionen steigt. Das Land mit der Hälfte der deutschen Bevölkerung hätte dann doppelt so viele Arbeitslose.
Draghi kommt angesichts dieser Situation mit weiteren neoliberalen Beschwörungsformeln. So müssten die Arbeitsmärkte flexibler gestaltet und die Mobilität erhöht werden. Dabei hat Spanien genau das schon mehrfacht gemacht. Das Ergebnis war, dass auch nach der letzten Reform die Arbeitslosigkeit noch deutlich stärker gestiegen ist. Draghi forderte auch Gerechtigkeit zwischen den Generationen, denn in manchen Ländern seien die Arbeitsmärkte nur für die junge Generation flexibel und sie müssten in Krisensituationen die Lasten der Anpassung allein tragen.
Er fordert aber nicht, dass auch junge Leute feste Arbeitsverhältnisse bekommen. Er mahnt, ohne es auszusprechen, dass auch die Bedingungen für die älteren Stammbelegschaften prekärer werden sollen. Das ist das bekannte Modell, über Lohn- und Sozialdumping kurzfristig die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Das ist aber schon mittelfristig ein Rezept für ein Desaster, vor allem in Ländern wie Spanien, wo in vielen Regionen nur die massive Armut floriert (In Spanien galoppiert vor allem die Armut).
Und mit derlei neoliberalen Beschwörungsformeln erklären sich auch die riesigen Unterschiede in Spanien nicht. Denn ausgerechnet das Baskenland, wo das Lohnniveau höher als im Durchschnitt ist, wo die Arbeitsbedingungen bis zur Arbeitsmarktreform angeblich auch zu unflexibel und der Kündigungsschutz angeblich auch zu stark war, ist die Arbeitslosigkeit nur halb so hoch ist wie im spanischen Durchschnitt ("Krise gigantischen Ausmaßes"). Hier zeigt sich, dass ganz andere Faktoren entscheidend sind. Mit den massiven Kürzungen in der Bildung, Forschung und Entwicklung sowie bei erneuerbaren Energien wird dem Land das dringende Umsteuern sogar unmöglich gemacht.