Großer Präsident, was nun?

Ein Berlinbesucher mit Roststellen auf seiner Antiterror-Rüstung

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Präsident Bush erlebt jetzt, dass der Antiterrorkampf seine Helden nicht auf Dauer ermächtigt, selbstgerecht über dem Streit von Völkern, Nationen und Parteien zu schweben. Dieser Kampf ist längst aus seinem Aufmerksamkeitszenit herausgetreten. Der Nahostkonflikt wirft inzwischen komplexere Fragen auf, als sie der Präsident und seine Mannschaft lösen können. Demontage der Rüstungskontrolle, hypertrophe Militärbudgets, Ausstieg aus dem Klimaprotokoll, kaum einlösbare Wahlversprechen, Enron-Skandal - der bodenständige Texaner reitet durch unwegsames Gelände und hinter dem Busch lauern die Indianer aller couleur. Und in Berlin lauern nun eben die Stadtindianer, denen Bundeskanzler Schröder schon Härte angedroht hat, wenn sie sich ungebührlich benehmen.

Die Mehrheit der Deutschen soll ernste Zweifel an der politischen Befähigung des Präsidenten haben. Ein Teil der Grünen-Fraktion wirft dem Präsidenten politisches Versagen vor. Die uneingeschränkt Solidarischen entledigen sich dagegen nun des protokollarischen Pflichtprogramms, da die vormals so große Zeit wieder zur unspektakulären Tagesordnung übergeht. Selbst Bush und den Seinen ist vermutlich nicht mal mehr klar, wie ihre Großkampagne gegen die Erzbösen nun weiterläuft. Und Schröder muss vor staatsmännischen Beteiligungen an der Weltrettungsallianz, die ihm ohnehin seit längerem nicht mehr wirklich angelegen ist, erst noch die Wahl gewinnen.

Der 11. September hat seine Strahlkraft eingebüsst. War es schließlich doch nur eine Sicherheitspanne, gar eine elendige Schlamperei der Geheim- und Sicherheitsdienste? Gilt für diesen Schicksalstag, der zur historischen Zäsur hochgeredet wurde, allein der Unterschied, dass die Täter besonders erfolgreich waren. Ob nun die Attacke zu verhindern war oder nicht, wird zum unterkomplexen Gezänk von Regierung, Opposition, Geheimdiensten und einer mehr oder minder hämischen Weltöffentlichkeit. Der selbst gestrickte Mythos der Bush-Regierung, der Sicherheit allerhöchste Aufmerksamkeit zu widmen, ist jedenfalls mächtig ramponiert.

Bush wird nun von den Demokraten nachvermessen, die bisher warten mussten, weil der Präsident unter dem breiten Schirm des Patriotismus sakrosankt wandeln zu können. Inzwischen fordern einige Hinterbliebene von WTC-Opfern gar Schadensersatz von der Regierung, die doch so eifrig den Anschein erweckte, alle erdenklichen Mittel zu ergreifen. Bush auf den Trümmern des WTC, Schulter an Schulter mit dem unbekannten Feuerwehrmann. Diese Bilder sind so unscharf geworden, haben ihr "punctum" verloren: Abblätternde Ikonen der Zuversicht einer Notgemeinschaft, die nun wieder in ihre vorherige Form einer heterogenen Gesellschaft auseinander läuft.

Die Antiterror-Rhetorik des hoch willkommenen Gastes, die jetzt auch Deutschland wieder ohne echtes Interesse hören wird, hat als Generalschlüssel ausgedient, alle globalen Menschheitsfragen zu banalisieren. Vielleicht wäre der Präsident gut beraten, eher seine unmittelbaren Berater auswechseln, als nun weniger bedeutende Chargen des CIA für das Chaos auf den Regierungsschreibtischen abzustrafen.

Die nicht von Bush erfundene perplexe Strategie, amerikanische und globale Interessen kurz zu schließen, wurde von ihm auf ihren vorläufigen Höhepunkt getrieben: Was Amerika nützt, nützt auch der Welt. Was der Welt nützt, bekümmert Amerika nur insoweit, als es mit amerikanischen Interessen kompatibel ist. So geht es nicht!

Wenn Amerika weiterhin mit der alten Paradoxie leben möchte, der Weltpolizist nationaler, also regelmäßig ökonomischer Eigeninteressen zu sein, wird das weder Freund noch Feind überzeugen. Die blasse Vorstellung Amerikas im Nahost-Konflikt ist ein Produkt dieser fragilen Selbstlegitimation. Colin Powell, dessen Friedensmission zum ergebnislosen Abstecher wurde, glaubt nun, sich über europäischen Antiamerikanismus und "intellektuelles Geblubbere" hier zu Lande empören zu dürfen (Für US-Außenminister Powell ist ein Großteil der aus Europa kommenden Kritik an der US-Regierung ein Geschwätz). Sein Misserfolg muss ihm wohl noch tief in den Knochen sitzen, wenn er die Weltlage so entdifferenziert. Er verbittet sich die Kritik an der präsidialen Parole "Achse des Bösen", die doch bereits Früchte getragen habe. Als ob je ein Zweifel bestanden hätte, dass Amerikas unverhohlene Kriegsdrohungen betroffene Staaten das Fürchten lehren. Powells Kritik an der Kritik ist indes nur Etikettenschwindel. Wer Amerikas Regierung kritisiert, muss so wenig antiamerikanisch sein, wie derjenige antisemitisch, der Sharons Militärpolitik kritisiert.

Mullah Omar, jener in Kandahar verschollene Taliban-Fürst, soll aus dem Untergrund Amerika mal wieder den Untergang prophezeit haben. Diese nostradämliche Apokalypseverheißung ist so ernst zu nehmen wie die Generalaustreibung des Bösen. Spätestens 2008 endet Bushs Amtszeit. Vielleicht reicht die Zeit ja noch, wenn es zur Wiederwahl kommen sollte, für einige vertrauensbildende Maßnahmen jenseits von Kriegsversprechen und Patriotenrhetorik. Dann wäre der hohe Gast noch willkommener.