Für US-Außenminister Powell ist ein Großteil der aus Europa kommenden Kritik an der US-Regierung ein Geschwätz

"Das ist eine Regierung, die starke Überzeugungen und Werte hat."

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Vor dem Besuch von US-Präsident Bush in Europa (Deutschland, Russland, Frankreich, Italien) hat sich sein Außenminister Colin Powell, der ihn begleiten wird, über die europäischen Politiker beklagt, die vornehmlich das Vorgehen der US-Regierung im "Kampf gegen den Terrorismus" kritisieren. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sicherheitsstrategisch und politisch wird die Kluft zwischen Europa und den USA größer. Die von "Powell" kritisierte "Amerikafeindlichkeit" wächst auch in der europäischen Bevölkerung, aber sie betrifft vornehmlich das Verhalten der US-Regierung, die allerdings nun auch im eigenen Land mehr und mehr unter Beschuss gerät und an Rückhalt verliert.

In einem Interview mit der britischen Zeitschrift Guardian bestätigte allerdings Powell die "europäische" Kritik eher, als sie zu entkräften. So bezeichnete er die meiste Kritik als "Geschwätz". Powell ist in der Bush-Regierung gegenüber den Falken bekannt für seine gemäßigte Haltung und hat bislang stets versucht, Konflikte eher diplomatisch zu lösen oder das forsche Auftreten des US-Präsidenten nachträglich abzumildern. In der Regierung selbst nimmt Powell inzwischen eher selbst eine Außenseiterrolle ein, der eine undankbare Aufgabe auszuführen hat, ohne wirklich von der eigenen Regierung gedeckt zu werden.

Entgegen der europäischen kritischen Haltung bezeichnete Powell die Außenpolitik der USA als Erfolg. Gerade wegen der Standfestigkeit der US-Politik habe ohne Konflikte der ABM-Vertrag aufgelöst und ein neues Abrüstungsabkommen über die Reduzierung von Nuklearsprengköpfen mit Russland geschlossen werden können. Das befürchtete Chaos sei nicht eingetreten: "Die geostrategische Situation bricht nicht zusammen und kein Rüstungswettlauf ist ausgebrochen." Das freilich hatte wohl auch niemand gleich erwartet, die langfristigen Folgen freilich der damit einhergehenden Aufrüstung im Weltall oder des vom Pentagon beabsichtigten Einsatzes von kleineren Atomwaffen schon in regionalen Konflikten wurden von ihm gar nicht angesprochen (Mini-Nukes gegen Schurkenstaaten). Und ob es als "Erfolg" zu sehen sein wird, wenn die USA entweder aus internationalen Abkommen aussteigen oder diese nicht ratifizieren und damit auch ein legitimes Vorgehen gegen Länder untergraben können, die sich mit Massenvernichtungswaffen aufrüsten, dürfte sich auch erst in den nächsten Jahren herausstellen.

Ausgestiegen sind die USA nicht nur aus dem ABM-Abkommen (Massive Abrüstung oder großer Bluff?), die Bush-Regierung hat sich etwa auch aus der Einrichtung des Internationalen Gerichtshofs zurückgezogen und sogar die wenig verbindliche Unterschrift unter das Statut von Rom in einem bislang einmaligen Schritt zurückgezogen (US-Regierung zieht Unterschrift unter das Statut von Rom zurück). Selbst die Verhandlungen über ein Zusatzabkommen zum Abkommen über das Verbot biologischer Waffen ließ die US-Regierung scheitern, obgleich die durch Massenvernichtungswaffen ausgehende Bedrohung durch Terroristen und "Schurkenstaaten" einer der wichtigsten Pfeiler des Kampfes gegen den Terrorismus und eines möglichen Vorgehens gegen den Irak ist (Biowaffenkonferenz in Genf gescheitert). Die Kritik an der US-Regierung hatte sich überdies an der zuerst unentschlossenen Haltung im Nahost-Konflikt und der lange Zeit einseitigen Unterstützung der Politik von Ariel Scharon entzündet. Für den von der Bush-Regierung anvisierten Angriff auf den Irak kam von Europa keine Unterstützung.

Die US-Regierung und die prinzipiellen Positionen

Kritik gegen die US-amerikanische Politik kam vor allem im Januar nach der Rede von Bush auf, in der er von der "Achse des Bösen" sprach. Die scharfen Reaktionen seien "erstaunlich" gewesen, meinte Powell, da doch der Präsident nur auf "eine kluge Weise" damit alle entsprechenden Länder bezeichnet hatte. Und damit sei er erfolgreich gewesen, da nun Nordkorea mit der US-Regierung sprechen wolle und "die Iraker versuchen den Anschein zu erwecken, dass sie sich besser verhalten werden". Überdies sei die Reaktion möglicherweise einem Missverständnis zu verdanken: "Wir sehen, dass wir Amerikaner manchmal etwas auf eine Weise sagen, die Unbehagen auslöst, aber das heißt nicht, dass wir notwendig falsch liegen." Auch hier seien bislang keine der prophezeiten negativen Folgen eingetreten. Man werde weiterhin "prinzipielle Positionen einnehmen, die wir als richtig für die USA und für das Problem betrachten".

Powell verwahrte sich auch vor dem Vorwurf des Unilateralismus der Bush-Regierung. Er selbst würde eine "Menge Zeit" aufwenden, um seinen europäischen Kollegen zuzuhören. Ganz wohl damit schien er sich gleichwohl aber nicht zu fühlen, wenn er die Bush-Regierung so verteidigen musste: "Das ist eine Regierung und das ist ein Präsident, die starke Überzeugungen und Werte haben. Und nur weil wir keine Einigung erzielen können, bedeutet das noch nicht, dass wir uns nicht darum kümmern, was andere sagen." Manchmal käme es auch vor, dass die US-Regierung für eine richtige Position eintrete und diese erkläre, ohne dass es zu einer Übereinstimmung käme. Später würde sich dann herausstellen, dass die US-Regierung doch Recht gehabt habe.

Europa soll mehr aufrüsten

Powell beklagte sich auch über die Kritik aus manchen europäischen Ländern über die sich durch den wachsenden Verteidigungshaushalt vergrößernde Kluft in der Rüstung. Er hoffe, dass Europa einige der Abmachungen über die Arbeitsteilung in der Nato einhalten werde und dass die Rüstungsausgaben entsprechend erhöht würden, um die in Zukunft notwendigen Aufgaben erfüllen zu können. Powell hatte die europäischen Nato-Partner schon während des Treffen in Reykjavik, auf dem eine enge Zusammenarbeit mit Russland vereinbart wurde, wegen der mangelnden Investitionen in die Rüstung gerügt. Auch über die Mithilfe Europas beim Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan und anderswo scheint man, abgesehen von der Zusammenarbeit mit Großbritannien, in Washington nicht sehr angetan zu sein.

Der Generalsekretär der Nato, Lord Robertson, stellte sich hinter die US-Kritik und forderte von den europäischen Nato-Ländern in einer Rede am Freitag in Brüssel ebenfalls höhere Investitionen in die Verteidigung. Die fehlenden militärischen Kapazitäten der Europäer würden nicht nur die Kluft vergrößern, sondern auch die unilaterale Haltung der Amerikaner weiter verstärken und die Glaubwürdigkeit Europas schwächen. Die Gefahr bestehe überdies, dass es zu einer neuen Arbeitsteilung käme, bei der die USA für die Hightech-Waffen zuständig sind, während Europa die Soldaten stellen würde, die im Schlamm kämpfen müssen. Wichtig sei die europäische Aufrüstung, um die atlantische Allianz zu stärken und eine solche Arbeitsteilung zu verhindern. Nicht einmal die USA seien militärisch autonom. Er forderte auch mehr gemeinsame Waffenproduktion und die Formulierung von Anforderungen, um die Interoperabilität zu sichern.

Allerdings musste Robertson auch einräumen, dass es nicht nur eine Rüstungskluft, sondern auch eine politische Kluft zwischen der US-Regierung und Europa gebe, die die Welt unterschiedlich sehen. Für ihn stehe aber nicht in Frage, ob Europa und die USA weiter zusammen arbeiten werden, sondern ob sie dies können: "Ich glaube nicht, dass die politischen Differenzen ein Problem darstellen werden, aber Interoperabilität in der militärischen Ausstattung ist wirklich ein Problem."