Merz contra Habeck: Wer rettet die deutsche Stahlindustrie?
Zukunft der deutschen Stahlindustrie sorgt für Zoff. CDU-Chef Merz zweifelt am Einsatz von Wasserstoff, Habeck hält dagegen. Wer hat bei diesem Milliardenspiel die besseren Karten?
Die noch amtierende Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren den "grünen" Umbau der deutschen Wirtschaft mit erheblichen Summen gefördert. Und daran erhitzen sich im aktuellen Wahlkampf die Gemüter.
CDU-Chef Friedrich Merz hat mit Aussagen zur Zukunft der Stahlindustrie heftige Kritik ausgelöst. Am Montag hatte er Zweifel am Einsatz von Wasserstoff in der Stahlindustrie geäußert, was seine politischen Gegner prompt aufhorchen ließ. Laut Deutscher Presse-Agentur (dpa) sagte Merz:
Ich glaube persönlich nicht daran, dass der schnelle Wechsel hin zum wasserstoffbetriebenen Stahlwerk erfolgreich sein wird. Wo soll der Wasserstoff denn herkommen? Den haben wir nicht. Und wenn wir das mit Wasserstoff machen, dann ist die Tonne Stahl immer noch mindestens 300 Euro teurer, als wenn sie bisher konventionell erzeugt wird.
Kein Wandel zur Wasserstoffwirtschaft? Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck warnte nach dieser Aussage davor, dass die Stahlproduktion aus Deutschland verschwinden könnte, wenn sie nicht auf Wasserstoff umgestellt werde. Auch aus der SPD war zu vernehmen, dass Merz die Axt an die Stahlindustrie lege.
Die CDU ruderte daraufhin zurück. Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Andreas Jung bekannte sich gegenüber dpa zum Weg zur Klimaneutralität und betonte, Wasserstoff sei ein wichtiger Schlüssel für klimaneutralen Stahl. "Für ein klimaneutrales Industrieland muss jetzt alles in die Waagschale, es dürfen keine Potenziale vergeben werden."
So viele neue Windräder werden benötigt
Doch woher der benötigte Wasserstoff kommen soll, ist nach wie vor unklar. Unrealistisch bleibt zunächst die Produktion mit "grünem" Wasserstoff, der auf Basis von erneuerbaren Energien in Deutschland gewonnen wird. Ein Rechenbeispiel soll dies verdeutlichen.
Für die Direkteisenreduktion im Hochofen werden pro Tonne Stahl rund 1.900 kWh Energie oder knapp 60 kg Wasserstoff benötigt. Auf die deutsche Primärstahlproduktion hochgerechnet wären das 53 TWh Energie oder 1,6 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr.
Geht man davon aus, dass eine moderne Onshore-Windkraftanlage zwischen vier und sieben Millionen kWh Strom pro Jahr (0,004 bis 0,007 TWh pro Jahr und Anlage) erzeugt, dann wären rund 9.600 zusätzliche Windkraftanlagen notwendig, um die Direkteisenreduktion "grün" zu machen.
Verglichen mit dem bisherigen Ausbau der Windkraft in Deutschland wäre das ein enormer Zubau. Laut Bundesverband WindEnergie standen Ende 2023 in der Bundesrepublik 30.243 Windkraftanlagen, davon 28.677 an Land.
Ein Zubau von fast 10.000 neuen Anlagen dürfte angesichts des Widerstands gegen den Bau neuer Windräder kaum realistisch sein. Zumal weitere errichtet werden müssten, um die "grüne" Transformation anderer Branchen zu realisieren und die wachsende Flotte von Elektroautos und Wärmepumpen nachhaltig zu betreiben.
Alternative Wasserstoffquellen
Es bleibt schließlich nur der massive Import von grünem Wasserstoff, wie ihn die Bundesregierung in ihrem Wasserstoffkonzept beschreibt – doch woher? Weltweit wurden zahlreiche Projekte angekündigt. Aber von denen, die bis 2030 umgesetzt sein sollen, wurden bislang nur knapp sieben Prozent realisiert. Knapp eine Billion US-Dollar an Förderungen seien notwendig, um das geplante Ziel zu erreichen, hat eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) ergeben.
Zudem hat der ehemalige Grünen-Politiker Hans-Josef Fell vor knapp zwei Jahren vor dem massenhaften Import von grünem Wasserstoff gewarnt. Er argumentierte damals:
Es ist auch keine Lösung grünen Wasserstoff aus fernen Ländern wie Namibia oder der Golfregion zu importieren, da der Aufbau der erforderlichen Infrastruktur lange dauert und mit hohen Kosten und Ineffizienzen verbunden ist.
Zudem ist es geopolitisch riskant, die Abhängigkeit von fossilen Energien aus unsicheren und autokratischen Ländern durch Wasserstoffabhängigkeiten zu ersetzen.
Statt auf "grünen" Stahl zu setzen, empfahl Fell damals, die Verwendung von Stahl zu vermeiden. Andere Roh- und Baustoffe sollten an seine Stelle treten. Die Zukunft der Stahlindustrie und von Tausenden Arbeitsplätzen wäre in diesem Szenario weiterhin unsicher.
Wasserstoff könnte auch mit Atomstrom als Energiequelle gewonnen werden, was in Deutschland nur noch eine theoretische Möglichkeit ist. Dann könnte er auch aus Erdgas gewonnen werden, wobei das anfallende Kohlendioxid abgeschieden und unterirdisch gespeichert werden müsste. Angesichts der umkämpften Energiemärkte und des limitierten Gasangebots dürfte das auch nur eine theoretische Möglichkeit sein.