Gut ist, was am meisten Aufmerksamkeit findet

Popularität bestimmt auch die Wissenschaft, ein Maß dafür ist der selbst einflussreiche "Impact Factor" von wissenschaftlichen Zeitschriften

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Popularität ist nicht nur für den Erfolg bei Google oder YouTube wichtig. Die in allen Bereichen wuchernden Rankings lassen größere Aufmerksamkeit oder Verbreitung zu einem wichtigen Mechanismus zur Bewertung dessen werden, was gesellschaftlich bedeutsam sein soll. Dabei hat die Bewertung durch Popularität, die im Gegensatz zu einer qualitativen Beurteilung empirisch nachprüfbar ist und die man demokratisch nennen muss, in aller Regel einen selbstbezüglichen Charakter, da größere Aufmerksamkeit das findet, was bereits Aufmerksamkeit gefunden hat. Dass das nicht unproblematisch ist, versucht Hannah Brown in dem Artikel How impact factors changed medical publishing im British Medical Journal anhand von medizinischen Fachzeitschriften zu zeigen, deren Einfluss auch über die Häufigkeit gemessen und bewertet wird, mit denen sie zitiert werden.

Thomson Scientific - früher das Institute for Scientific Information - gibt seit Mitte der 70er Jahre jährlich die Journal Citation Reports heraus. Damit werden wissenschaftliche Zeitschriften – ähnlich dem Science Citation Index, der erfasst, wie oft wissenschaftliche Artikel zitiert werden – statistisch nach ihrer wissenschaftlichen Bedeutung bewertet, um so den "Impact Factor" zu ermitteln. Dabei wird erfasst, wie häufig die Artikel einer Zeitschrift im Verhältnis zu anderen Zeitschriften aus demselben Fachbereich zitiert werden. Um große Zeitschriften, die viele Artikel publizieren, nicht zu bevorteilen, wird die Anzahl der Verweise durch die Anzahl der Artikel, die im Jahr publiziert werden, geteilt. Je größer die Zitierhäufigkeit, desto wichtiger oder populärer ist die Zeitschrift, desto wichtiger also auch für Wissenschaftler, dort zu publizieren oder sie zu lesen. Nachgeprüft wird auch, wie schnell Artikel zitiert werden und wie lange die Halbwertszeit der Artikel im Hinblick auf das Zitieren ist.

Brown erhält, um die Fragwürdigkeit solcher Popularitätsmechanismen herauszustellen, die Geschichte von George Lundberg, der in den 80er Jahren Chefredakteur der medizinischen Zeitschrift Journal of the American Medical Association (JAMA), die aber an Ansehen gegenüber Konkurrenten verloren hatte. Um das umzukehren wertete er die damals noch nicht beachteten "Einflussfaktoren" aus, um dadurch JAMA bedeutsamer zu machen. Man suchte bereits bekannte Autoren oder wandte sich an bekannte Institutionen, wählte Themen, von denen man annahm, dass sie häufiger zitiert würden. Dadurch stieg die Zeitschrift wieder im Rang auf.

Nachdem aber diese Strategie, die Popularität, die sich in der Zitierhäufigkeit ausdrückt, zu heben, von vielen angewendet wird, die Herausgeber und Redakteure also versuchen, die Popularität oder Aufmerksamkeit zu steigern, indem bereits bekannte Autoren oder auffällige Themen ausgewählt, mithin Aufmerksamkeitsmechanismen auf sich selbst angewendet werden, sieht Lundberg nun dadurch die wissenschaftliche Grundlage der Zeitschriften gefährdet. Es gebe auch in der (medizinischen) Wissenschaft kaum einen Zusammenhang zwischen sehr häufig zitierten Artikeln und solchen Artikeln, die von Experten später als entscheidend bewertet werden.

Obgleich die Gültigkeit von solchen Ranglisten oder Quoten schon lange in Frage gestellt werden, dienen sie aber weiterhin für Zeitschriften und Wissenschaftler, Universitäten, Behörden und Geldgeber als Maßstäbe. Für den Erfinder der Aufmerksamkeitsranglisten, für Eugene Garfield, der auch der Direktor von Thomson Scientific ist, war es eine Goldgrube. Schon allein die Aufnahme einer Zeitschrift in den Index wird als Erfolg gewertet. Die Selbstbezüglichkeit des Mechanismus wird schon daran deutlich, wie neue Zeitschriften aufgenommen werden: "Wir schauen uns an, was sie seit dem Beginn des Jahres leisten und ob sie Autoren anziehen konnten, die einen Einfluss ausüben", erklärt James Testa von Journal Citation Reports.

Schwierig ist freilich schon die Auswahl der "zitierfähigen" Artikel, die gezählt werden, denn die wissenschaftlichen Zeitschriften haben mehr und mehr Artikel aufgenommen, die keine Forschungsbeiträge sind, sondern beispielsweise Kommentare, Briefe oder Nachrichten. Mittlerweile überprüfen die großen Zeitschriften denn auch, ob auch wirklich alle zitierfähigen aufgenommen werden, um besser dazustehen. Aber natürlich wird nicht nur versucht, "Fehler" zu korrigieren, sondern auch, die Inhalte möglichst so anzupassen, dass der beste "Impact Factor" erzielt wird. So wurde beispielsweise die Zahl der Forschungsberichte reduziert, weil andere Artikel mehr zitiert werden. Auch Autoren können aufgefordert werden, möglichst andere Artikel der Zeitschrift zu zitieren.

Problematisch wird es, wenn beispielsweise Universitäten ihre Forschungsaktivitäten nach den Feldern ausrichten, die eine große Popularität oder Einfluss besitzen. Das sei beispielsweise in der Medizin zu beobachten gewesen, sagt Michael Rees von der British Medical Association (BMA). Artikel über Laborforschung seien eher in Zeitschriften mit einem höheren Impact Factor veröffentlicht worden als Artikel über klinische Forschung. Laborforschung wurde stärker gefördert, als Folge gab es Entlassungen im klinischen Bereich, manche Forschungsthemen seien hier ganz verschwunden. 2008 soll daher in Großbritannien der Impact Factor für die Bewertung der medizinischen Forschung keine so große Rolle mehr spielen. Garfield weist darauf hin, dass es viele andere bibliometrische Bewertungen gibt, beispielsweise den auch von Thomson angebotenen Journal Performance Indicator, der nur Zitate in Forschungsartikeln berücksichtigt. Aber sie würden sich nicht durchsetzen können und werden selbst nicht beachtet. Und Garfield geht davon aus, der Impact Factor bei aller Fragwürdigkeit weiter Bestand haben wird, weil er einfache Zahlen zum Vergleichen anbietet und keine komplizierte Mathematik voraussetzt: "Jeder will Zahlen."