Haftbefehl: Putin – Allein zu Haus

Seite 2: IGH: Ukraine berief sich erfolgreich auf Völkermordkonvention

Im Fall des IGH griff die ukrainische Seite vor einem Jahr auf die Völkerrechtskonvention zurück, um mit dem Antrag auf ein Eilverfahren und gerichtliche Schutzmaßnahmen Erfolg zu haben:

Die einzige verbleibende Möglichkeit bestand darin, die Jurisdiktion des IGH über eine entsprechende Vertragsklausel zu begründen. Von dieser Möglichkeit hat die Ukraine Gebrauch gemacht: Sie hat sich in ihrem Antrag bei Gericht auf die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948 (Völkermordkonvention) berufen, der sowohl die Ukraine als auch Russland als Parteien angehören. In Artikel IX enthält die Völkermordkonvention eine entsprechende Unterwerfungsklausel.

Infobrief der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags, "Die Eilentscheidung des Internationalen Gerichtshofs vom 16. März 2022", erschienen am 24. Mai 2022

Am Donnerstag dieser Woche erst war ein Bericht der Untersuchungskommission des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen veröffentlicht worden, in dem das russische Militär zahlreicher Kriegsverbrechen wie systematischer Folter und der Ermordung von Zivilisten in den besetzten Gebieten in der Ukraine beschuldigt wird.

Der Bericht beschreibt auch Verbrechen gegen Ukrainer in Russland. Dazu zählt der Menschenrechtsrat die Deportation ukrainischer Kinder. Einen Tag später folgte nun der IStGH-Haftbefehl gegen Putin.

Ein Haftbefehl gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt wurde vom IStGH bisher nur einmal ausgegeben, im Fall des ehemaligen sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir. Damals war das Gericht vom UN-Sicherheitsrat mandatiert worden. Auf ein solches Mandat und eine allgemein akzeptierte rechtliche Grundlage auf Basis des Rom-Statuts kann sich der IStGH in seiner Russland-Entscheidung nicht stützen.

In Moskau sorgte die Entscheidung aus Den Haag daher erwartungsgemäß für Empörung: "Russland arbeitet nicht mit diesem Gremium zusammen und mögliche Festnahme-Vorschriften des Internationalen Gerichtshofes sind für uns rechtlich null und nichtig", so Außenamtssprecherin Sacharowa.

Der Vorsitzende des Verfassungsausschusses des russischen Föderationsrates, Andrei Klischas, sagte nach Bekanntwerden der Entscheidung des IStGH, das Gremium habe "keine rechtliche Grundlage für eine solche Entscheidung" gehabt und habe mit ihr "den Weg der Selbstauflösung eingeschlagen", wie die russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti schreibt.

Klischas erinnerte daran, dass der IStGH von vielen Ländern, einschließlich der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, nicht anerkannt wird. Tatsächlich war in den USA im Jahr 2002 der "United States Military Service Protection Act" in Kraft getreten.

Das Gesetz ermächtigt US-Präsidenten in letzter Konsequenz, US-Bürger, sollten sie vom Internationalen Strafgerichtshof angeklagt und festgesetzt werden, militärisch befreien zu lassen. US-Behörden ist es untersagt, mit dem Gericht zusammenzuarbeiten.

In der US-Regierung dauert derzeit ein Streit darüber an, ob US-Behörden dem Gericht in Den Haag die von US-amerikanischen Geheimdiensten zusammengetragenen Informationen über mutmaßliche russische Kriegsverbrechen – einschließlich der möglichen Entführung ukrainischer Kinder – zuleiten soll.

Während der größte Teil der Biden-Regierung, einschließlich des Außen- und des Justizministeriums, die Übermittlung der Beweise befürwortet –so Personen, die mit den internen Beratungen vertraut sind –, hat sich das Pentagon dagegen ausgesprochen, weil es keinen Präzedenzfall schaffen will, der den Weg für eine eventuelle strafrechtliche Verfolgung von US-Amerikanern ebnen könnte.

New York Times

"Dies macht Putin zu einem Paria", zitiert das Blatt gleichwohl Stephen Rapp, einen ehemaligen US-Botschafter, der das Büro für globale Strafjustiz im US-Außenministerium leitet. "Wenn er reist, riskiert er eine Verhaftung. Das wird sich nie ändern." Und ohne die Einhaltung der Haftbefehle könne Russland nicht mehr von Sanktionen befreit werden. "Entweder wird Putin in Den Haag vor Gericht gestellt, oder er wird zunehmend isoliert und stirbt eines Tages mit diesem Ballast auf seinen Schultern", so Rapp weiter.

Auch wenn er das in der aktuellen politischen Situation kaum vorgehabt haben dürfte, wird Putin künftig wohl zumindest die Mitgliedsstaaten der EU meiden. Sie erkennen alle die Gerichtsbarkeit des IStGH an. Und auch bei anderen Destinationen muss sich Putin nun genau überlegen, ob der den russischen Rechtsraum verlässt.

Die Ukraine übrigens hat das Rom-Statut unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Im Jahr 2015 erkannte die damalige Regierung jedoch die Zuständigkeit des Gerichtes für alle möglichen Delikte zwischen dem 21. November 2013 und dem 22. Februar 2014 an. Damit sollte der IStGH ermächtigt werden, mögliche Vergehen des am 22. Februar 2014 gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowytsch zu untersuchen. Der IStGH sah nach Ermittlungen keine Handhabe, ein Verfahren gegen Janukowytsch zu eröffnen.

Eine zweite Erklärung verlängerte die IStGH-Zuständigkeit unbefristet auf mutmaßliche Kriegsverbrechen, die ab dem 20. Februar 2014 im gesamten Hoheitsgebiet der Ukraine begangen wurden. Dafür hat das IStGH eine Seite für entsprechende Meldungen eingerichtet.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.