Haftbefehl: Putin – Allein zu Haus

Nur noch eingeschränkt reisefähig: Wladimir Putin. Bild: kremlin.ru

Internationaler Strafgerichtshof schreibt russischen Präsidenten zur Fahndung aus. Wirkkraft der Anordnung bleibt unklar. Vor allem eine Konsequenz aber wird der Kriegsherr im Kreml spüren.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hat einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine erlassen. Am Freitag erklärte der IStGH fest, Putin sei vermutlich für die illegale Verbringung und dauerhafte Umsiedlung von Kindern aus den besetzten Gebieten der Ukraine in die Russische Föderation verantwortlich. Auch gegen Maria Lwowa-Belowa, die für Kinderrechte zuständige Kommissarin in der Regierung von Präsident Putin, erließ der IStGH Haftbefehl.

Nach Feststellung des Strafgerichtshofs vom 22. Februar gebe es berechtigten Grund zu der Annahme, dass Putin und Lwowa-Belowa für die genannten Kriegsverbrechen verantwortlich seien: "Es gibt berechtigten Grund zu der Annahme, dass Herr Putin die individuelle strafrechtliche Verantwortung für die oben genannten Verbrechen trägt; dafür, dass er die Handlungen direkt, gemeinsam mit anderen und/oder durch andere begangen hat; und für sein Versäumnis, die Kontrolle über zivile und militärische Untergebene auszuüben."

Die Richter in Den Haag haben damit erstmals unilateral einen Haftbefehl gegen den Präsidenten eines Landes außerhalb des Römischen Statuts eingeleitet, offenbar beruft sich das Gericht auf eine Eingabe der Ukraine auf Basis von Paragraf 12 des Statuts:

Artikel 12
Voraussetzungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit

(1) Ein Staat, der Vertragspartei dieses Statuts wird, erkennt damit die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs für die in Artikel 5 bezeichneten Verbrechen an.

(2) Im Fall des Artikels 13 Buchstabe a oder c kann der Gerichtshof seine Gerichtsbarkeit ausüben, wenn einer oder mehrere der folgenden Staaten Vertragspartei dieses Statuts sind oder in Übereinstimmung mit Absatz 3 die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs anerkannt haben:

a) der Staat, in dessen Hoheitsgebiet das fragliche Verhalten stattgefunden hat, oder, sofern das Verbrechen an Bord eines Schiffes oder Luftfahrzeugs begangen wurde, der Staat, in dem dieses registriert ist;

b) der Staat, dessen Staatsangehörigkeit die des Verbrechens beschuldigte Person besitzt.

(3) Ist nach Absatz 2 die Anerkennung der Gerichtsbarkeit durch einen Staat erforderlich, der nicht Vertragspartei dieses Statuts ist, so kann dieser Staat durch Hinterlegung einer Erklärung beim Kanzler die Ausübung der Gerichtsbarkeit durch den Gerichtshof in Bezug auf das fragliche Verbrechen anerkennen. Der anerkennende Staat arbeitet mit dem Gerichtshof ohne Verzögerung oder Ausnahme in Übereinstimmung mit Teil 9 zusammen.

Zudem entschied der Internationale Strafgerichtshof, die Haftbefehle gegen Putin und Lwowa-Belowa auch öffentlich zu machen. Man gehe davon aus, dass das Verbrechen andauere und die Publikation dazu beitragen könne, weitere entsprechende Vergehen zu verhindern. Dies sei wichtiger als der Schutz von Personendaten.

"Die Haftbefehle sind ein starkes Signal, aber auch nur ein erstes", zitiert das Fachmagazin LTO den Völkerstrafrechtler Christoph Safferling in einer ersten Einschätzung. Der IStGH schaffe mit den Haftbefehlen "Fakten in der Diskussion um ein Sondertribunal für das Verbrechen des Aggressionskriegs, das der IStGH nicht in seiner Zuständigkeit verfolgen kann." Mit den Haftbefehlen habe sich der Gerichtshof nun eine Position gesichert und fordere Kompetenzen ein, heißt es bei der LTO weiter.

Der Vorsitzende des Prozesses, Piotr Hofmanski, erklärte, die Haftbefehle müsse nun "von der internationalen Gemeinschaft" durchgesetzt werden. Das Gericht könne sie nur erlassen.

Zur Begründung des Haftbefehls führte IStGH-Chefankläger Karim Khan aus:

Zu den von meinem Büro festgestellten Vorfällen gehört die Verschleppung von mindestens Hunderten von Kindern, die aus Waisenhäusern und Kinderheimen entführt worden sind. Wir gehen davon aus, dass viele dieser Kinder seither in der Russischen Föderation zur Adoption freigegeben worden sind.

Das Gesetz wurde in der Russischen Föderation durch Präsidialdekrete von Präsident Putin geändert, um die Verleihung der russischen Staatsbürgerschaft zu beschleunigen und die Adoption durch russische Familien zu erleichtern.

Mein Büro geht davon aus, dass unter anderem diese Handlungen von der Absicht zeugen, diese Kinder dauerhaft aus ihrem eigenen Land zu verschleppen. Zum Zeitpunkt dieser Deportationen waren die ukrainischen Kinder geschützte Personen im Sinne der Vierten Genfer Konvention.

Khan war zuletzt Anfang März in der Ukraine und besuchte auch ein Waisenhaus im Süden des Landes, zwei Kilometer von der Front entfernt. "Dieses Haus steht wegen der mutmaßlichen Deportation von Kindern aus der Ukraine in die Russische Föderation oder ihrer illegalen Verbringung in andere Teile der vorübergehend besetzten Gebiete leer", sagte er.

Sein Büro führte eine umfassende Untersuchung durch. "Kinder sollten nicht als Kriegsbeute angesehen werden", so Khan.

Die russische Regierung weist in einer ersten Reaktion darauf hin, dass Russland den IStGH nicht anerkennt. Russlands Außenamtssprecherin Maria Sacharowa sagte: "Die Entscheidungen des IStGH haben für unser Land auch aus rechtlicher Sicht keine Bedeutung."

Bislang hatte sich schon der Internationale Gerichtshof (IGH) mit der russischen Invasion befasst, die Initiative dazu kam aus der Ukraine. Nach Artikel 93 Abs. 1 UN-Charta sind alle Mitglieder der Vereinten Nationen automatisch auch Vertragsparteien des Statuts des Internationalen Gerichtshofes.

Die Ukraine hatte kurz nach dem Einmarsch Russlands einen Eilantrag gestellt, um vom IGH feststellen lassen, dass die Intervention unter dem Vorwand, die ukrainische Bevölkerung vor einem vermeintlichen Völkermord zu schützen, völkerrechtswidrig sei.

Dass Kiew damit Erfolg hatte, war nicht selbstverständlich. Denn die UN-Mitgliedschaft allein begründet keine Jurisdiktion des IGH über die Parteien eines Rechtsstreites, so stellte es damals auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags fest. Gemeinhin sei der IGH nur dann für eine Streitigkeit zuständig, "wenn beide Streitparteien ihre Zustimmung hierzu erteilt haben, sich also der Gerichtsbarkeit des IGH unterworfen haben".

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