Hamas will auf Anschläge in Israel verzichten

Nach dem Rückzug Israels aus dem Gazastreifen sollen alle palästinensischen Organisationen an der Verwaltung beteiligt werden

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Am 29. April wird die israelische Regierungspartei Likud über den Plan ihres Ministerpräsidenten Ariel Scharon zum Rückzug aus dem Gazastreifen abstimmen. Die Palästinenser bereiten sich unterdessen auf die Verwaltung des seit 1967 besetzten Gebiets vor. Ein "Nationaler Plan" soll den Rahmen für die Zusammenarbeit der derzeitigen Autonomiebehörde unter Jassir Arafat und den Oppositionsgruppen definieren. Der palästinensische Präsident stellt aber Bedingungen. "Die Beteiligung der Hamas an der Verwaltung des Gazastreifens nach einem israelischen Rückzug oder jede andere Form der Zusammenarbeit hängt völlig von der Entscheidung der Hamas-Führung ab, Selbstmordanschläge komplett zu stoppen", so Arafat am Karfreitag gegenüber einer Delegation israelischer Friedenskräfte in Ramallah.

Der Mitte letzter Woche veröffentlichte Entwurf des Nationalplans betont "das Recht zur Gewalt gegen die (israelische) Besatzung und die Siedlungen (in den besetzten Gebieten), während ein Angriff auf die Zivilisten beider Seiten vermieden werden soll". Im Klartext: Die Selbstmordanschläge innerhalb Israels, für die meist die Hamas verantwortlich zeichnete, werden ein Ende haben. Das Papier ist das Ergebnis von Gesprächen aller Organisationen, die unter ägyptischer Vermittlung bereits vor zwei Jahren begannen. Aber noch ist der Plan nicht verabschiedet und damit nicht bindend.

In Israel rechnet man zumindest noch mit einem großen Anschlag (Hamas-Gründer bei Raketenangriff in Gaza getötet) als Reaktion auf die Tötung des Hamasführers Achmad Jassin vor drei Wochen (Eskalation im Nahen Osten unvermeidbar). Israel hat nach der Militäroperation zwar eine "vollständige Abriegelung der besetzten Gebiete" bis Ende April verkündet. Die Realität sieht aber anders aus. "Noch nie war ich so schnell bei der Arbeit, als seit der Ermordung Jassins", so ein Palästinenser aus Ramallah, der jeden Tag den schwerbewachten Kontrollpunkt Kalandia nach Jerusalem überqueren muss.

Der Nationalplan wird als Kompromiss zwischen der Autonomiebehörde und den Islamisten verstanden. "Wir wollen Teil der offiziellen palästinensischen Strukturen sein", erklärte Said Sijam, ein ranghohes Hamas-Mitglied. Allerdings wolle man nicht in die derzeitige Autonomiebehörde aufgenommen werden. Die wird, nicht nur von der Hamas, als korrupt und Erfüllungsgehilfe Israels gesehen. "Die Hamas hat nicht vor, den bewaffneten Kampf aufzugeben, solange die Besatzung anhält", so Sijam weiter. Man will sich aber unter die Führung Arafats unterordnen. Mittelfristig steht die Aufnahme in die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) im Vordergrund, die zugleich wiederbelebt werden soll. In der PLO sind außer der Hamas alle palästinensischen Organisationen vertreten.

Die geplante Teilhabe aller Gruppen an der Verwaltung des Gazastreifens soll nach dem Abzug Israels durch Wahlen bestimmt werden. Dort genießt die Hamas wegen ihrer Sozialarbeit und ihren basisdemokratischen, ehrlichen Strukturen hohe Glaubwürdigkeit. "Wir stimmen der Bildung einer einheitlichen Führung einschließlich von Hamas und dem Islamischen Dschihad zu", sagte Hani al-Hassan, Mitglied des Zentralkomitees der Fatah-Bewegung Jassir Arafats. Palästinensische Analysten sind der Meinung, dass die derzeitige Führung auch gar keine andere Wahl hat, will sie ihr Vertrauen im Gazastreifen nicht völlig verspielen. Die dortige Bevölkerung nimmt die Hamas als stärkste Widerstandsbewegung wahr, während die offiziellen Sicherheitskräfte nichts zum Schutz der Menschen beitrugen. Trotzdem kann der neue Plan eine neue Etappe im Nahostkonflikt einleiten, in der die wahllose Tötung zumindest der israelischen Zivilisten der Vergangenheit angehört.

Die USA lehnen eine Machtbeteiligung der Hamas ab. Sie müsse "ausgegrenzt, ihrer Macht und ihrem Einfluss beraubt werden", so ein Sprecher des Außenministeriums in Washington. Die USA führen die Hamas in ihrer Liste terroristischer Organisationen.

Im Nationalplan fordern die Palästinenser den vollständigen Abzug Israels aus allen seit 1967 besetzten Gebieten. Obwohl Hamasführer bereits seit mindestens einem Jahr von der "Befreiung ganz Palästinas" Abstand nehmen, hält der Plan diese Haltung zum ersten Mal schriftlich fest. Diese indirekte Anerkennung Israels wäre ein Grundstein für einen Frieden in der Region. Außerdem hat die Teilnahme der Oppositionsparteien an einer künftigen Selbstverwaltung auch weitreichende Konsequenzen für die palästinensische Innenpolitik. Beispiele aus Nachbarländern zeigen, dass vormals militante islamistische Bewegungen sich schnell in die parlamentarische Arbeit einfügen und die Waffen niederlegen. Unter den Anforderungen täglicher Realpolitik müsste auch die Hamas nicht nur öffentliche Strukturen aufbauen und sich damit angreifbarer machen. Koalitionsverhandlungen und Verwaltungsarbeit verpflichten auch zu Kompromissen.

Allerdings wird jeder palästinensische Reformplan Makulatur bleiben, wenn die israelische Regierung ihre Ankündigungen nicht wahr macht. In den besetzten Gebieten und israelischen Friedenskreisen hält man die Reden Scharons über den Rückzug aus dem Gazastreifen nur für leere Phrasen, die von den massiven Landenteignungen im Westjordanland und dem dortigen Mauerbau ablenken sollen. Die gewaltfreien Proteste dagegen, an denen sich auch israelische Linke beteiligen, werden vom Militär mit Waffengewalt niedergeschlagen.

Im Falle eines Rückzugs aus dem Gazastreifen sollen dort nach Ansicht Scharons keine staatlichen Strukturen entstehen. In mehreren aktuellen Interviews hat der Premier erklärt, dass sich Israel das Recht zu "Aktionen gegen terroristische Strukturen" vorbehalte. In anderen Worten: die Luftangriffe und Panzerinvasionen im Gazastreifen werden kein Ende haben. Ein Gefühl der Sicherheit soll bei den Palästinensern nicht entstehen. Insgesamt geht es Scharon um die völlige Verhinderung palästinensischer Eigenstaatlichkeit. "Wenn man Gebiete und Ortschaften im Westjordanland einzäunt, dann beendet man viele (palästinensische) Träumereien", erklärte Scharon gegenüber der Tageszeitung Ma'ariv vor einer Woche. "Mein Plan ist hart für die Palästinenser. Ein tödlicher Stoß."