Heuchelei zu Krim-Unabhängigkeitsbestrebungen

Seite 3: Katalanen, Basken, Schotten …

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Vom Anwalt Gysi sollte man aber erwarten, dass er sich über völkerrechtliche Fragen informiert. Zwar ist seine Position im Gegensatz zu der Merkels und anderen wenigstens kohärent, aber er sollte zur Kenntnis nehmen, dass das Thema längst völkerrechtlich entschieden ist und kein "Gewohnheitsrecht" neues Völkerrecht schaffen muss. Denn der Internationale Gerichtshofs (IGH) hat im Fall des Kosovos schon 2010 geurteilt: "Die Erklärung vom 17. Februar 2008 hat das allgemeine internationale Recht nicht verletzt." Der Gerichtshof in Den Haag erklärte eindeutig, dass es keine internationale Rechtsnorm gibt, die es einer Bevölkerung verbiete, sich auch einseitig für unabhängig zu erklären. Und das gilt eben auch für die Krim, die sich mit Blick auf den Kosovo gerade ebenfalls einseitig unabhängig erklärt hat (Die "Republik Krim" erklärt sich für unabhängig).

In den spanischen Gebieten, die klar nach Unabhängigkeit streben, betonen Basken und Katalanen allerdings, die Vorgänge in ihren Gebieten seien nicht mit denen in der Ukraine vergleichbar. Aber Alfred Bosch spricht von einer "fast krankhaften Besessenheit", verbieten zu wollen, dass "Menschen abstimmen können". Der Parlamentarier der Republikanischen Linken (ERC) im spanischen Parlament weist darauf auch mit Blick auf Madrid hin. Denn die spanische Regierung verweigert sich jeder Debatte und will das katalanische Referendum am 9. November mit allen Mitteln verhindern.

Denn die Katalanen wollen 300 Jahre nach dem Fall Kataloniens 1714 unter die spanische Krone ihre Souveränität zurückerlangen und sich damit den Schotten anschließen (2014: Neue Staaten in Europa?). Nach Umfragen ist eine klare Mehrheit in Katalonien dafür, weil man sich immer stärker von Spanien gegängelt fühlt. Dass Sprachenrechte beschnitten und über das Verfassungsgericht und nationale Gesetze die Autonomie seit dem Ende der Diktatur ausgehöhlt werden, ließen das Fass überlaufen und trieb Millionen zum friedlichen Protest auf die Straße. In der Wirtschaftskrise wurde auch bedeutend, dass milliardenschwere Transferleistungen aus Barcelona nach Madrid fließen, während Katalonien unterfinanziert und hoch verschuldet ist. Die 7,5 Millionen Katalanen tragen überdurchschnittlich stark zur spanischen Wirtschaftsleistung bei.

Der katalanische Regierungschef Artur Mas hofft, dass die Positionen zur Krim in der EU dem Anliegen der Katalanen nicht schaden. Er verweist darauf, dass es schließlich im Umgang in der EU mit derlei Vorgängen auch große Unterschiede gäbe. So haben sich Großbritannien und Schottland auf ein Referendum über die Unabhängigkeit in diesem Jahr geeinigt. "Sie haben sich nicht nur auf eine Abstimmung geeinigt, sondern auch darauf, welche Konsequenzen sie haben wird", betont der Christdemokrat.

Auf die Vorgänge in Schottland bezieht sich auch die Chefin des russischen Föderationsrates. Wenn Schottland über seine Unabhängigkeit abstimmen dürfe, dann auch die Krim, sagte Valentina Matwijenko. Der katalanische Regierungschef verweist allerdings darauf, dass man es weder in der Ukraine noch auf der Krim mit legitim gewählten demokratischen Regierungen zu tun hat. Er will mit allen Mitteln verhindern, dass es zu gewalttätigen Konflikten kommt, wie es die Strategie Spaniens vorsieht.

Im Baskenland, wo seit langem auch Jahrzehnte heftig für die Unabhängigkeit gekämpft wurde, werden ebenfalls die Unterschiede hervorgehoben. Allerdings, verteidigt Igor Lopez de Munain gegenüber Telepolis grundsätzlich das "Selbstbestimmungsrecht". Der Parlamentarier der Linkskoalition Bildu (Sammeln) im baskischen Parlament meint, dieses Recht hätten die Ukraine und die Bevölkerung auf der Krim. Die Positionen der linken Unabhängigkeitsbewegung finden ebenfalls immer mehr Anhänger, denn Bildu ist inzwischen zweitstärkste Kraft im Baskenland und wie in Katalonien schwenken auch die Christdemokraten auf einen neuen Kurs ein.

Ähnlich wie Wagenknecht argumentiert auch der baskische Parlamentarier, die Unabhängigkeit der Krim sei erst über einen "Putsch in der Ukraine" und über den "Ausbruch der Gewalt" auf die Tagesordnung gerückt. Letztere lehnt die linke Unabhängigkeitsbewegung ab und hat die Untergrundorganisation ETA dazu gebracht, den Kampf aufzugeben und nun auch die Waffen abzugeben. "Der Konflikt mit Spanien und Frankreich muss unter Abwesenheit jeglicher Gewalt gelöst werden und unser Selbstbestimmungsrecht einschließen", resümiert er, denn der Kampf der ETA hat der Bewegung mehr geschadet als genutzt.

Weil Basken ein geteiltes Land vereinen wollen, haben sie es aber gleich mit zwei starken Gegnern zu tun. Denn anders als die Krim wollen sie sich keinem Staat anschließen. Und weil die Krim mit Russland einen starken Verbündeten hat, könnte die Halbinsel ihr Ziel schnell erreichen. Bildu kritisiert, dass sowohl die EU und Russland in ihren Positionen "absolut inkohärent" seien. Die EU habe im Kosovo und Mazedonien die Abtrennung von Jugoslawien aktiv betrieben, um das Einflussgebiet gegenüber einer militärischen und ökonomischen Macht wie Russland zu erweitern.

Doch dagegen stellte sich Russland damals. Das zeige, dass "aus geopolitischen und ökonomischen Interessen" Unabhängigkeitsbewegungen von Großmächten zum Leidwesen der jeweiligen Bevölkerung mal gefördert oder hart bekämpft werden. So hatte die EU die Abtrennung Kosovos einst betrieben, um Gebiete außerhalb der EU zu destabilisieren und um einen "Verteidigungsring" gegenüber Russland näher an das Land zu verlegen. Innerhalb Europas drohe man dagegen heute Schottland und Katalonien mit dem Rauswurf aus der EU und mit wirtschaftlichen Nachteilen, um die Bevölkerungen abzuschrecken.

Die Frage die sich nun auch stellt, nachdem Russland bisherige Positionen zur Unabhängigkeit von Regionen im Fall der Krim aufgegeben hat, ob das große Land nicht auch seine Position zu den Unabhängigkeitsbestrebungen von Flandern, Schottland, Katalonien, Baskenland und anderen ändert. Bisher konnten die jeweiligen europäischen Nationalstaaten hier auf Russlands Unterstützung zählen. In einer Zuspitzung der Konfrontation könnte Russland als Retourkutsche nun den Spieß ebenfalls umdrehen. Ob diese Zuspitzung in einer immer noch angeschlagenen Euro-Zone mit ihre Abhängigkeit von russischem Gas nicht für Europa zu einem Schuss ins Knie wird, ist zudem eine weitere interessante Frage.

ukraine.htm