Hisbollah setzt sich durch

Im Libanon ist zumindest vorübergehend wieder Ruhe zwischen den streitenden Parteien und Milizen eingekehrt

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In Beirut und im Rest von Libanon ist nach einer Woche von Kämpfen, bei denen 62 Menschen ums Leben kamen, wieder Ruhe eingekehrt. Eine Delegation der Arabischen Liga versucht, zwischen den verfeindeten Lagern der Opposition und Regierung einen Kompromiss auszuhandeln.

Vor einer Woche hatte alles mit einem Streik des Gewerkschaftsbundes für höhere Löhne begonnen, der von der christlichen Freiheitsbewegung und Hisbollah angeführten Opposition unterstützt wurde. Mit Aktionen des zivilen Ungehorsams, Straßensperren und brennenden Autoreifen wollte man auch gleichzeitig gegen den Beschluss der libanesischen Regierung protestieren, die das militärische Telekommunikationsnetz Hisbollahs für illegal erklärte (Libanon vor einem Bürgerkrieg?). Als Anhänger der Regierungskoalition mit Waffengewalt gegen die Protestierenden vorgingen, eskalierte die Situation. Das Oppositionsbündnis schoss nicht nur zurück, sondern eroberte Westbeirut und schloss alle wichtigen Zufahrtsstraßen Beiruts. Hassan Nasrallah, der Generalsekretär der Hisbollah sprach in einer Pressekonferenz von einer „neuen Ära“ und nannte die Regierung eine kriminelle „Gang“.

Alle Medienbetriebe des Multi-Milliardärs Saad Hariri, gleichzeitig Führer der Zukunftspartei, wurden besetzt. Das Sendegebäude von Future TV setzten Milizionären der Syrischen Sozialen Nationalpartei in Brand. Im ganzen Land entbrannten Kämpfe, meist zwischen rivalisierenden politischen Gruppen einer Sekte. In Chouf Bergen beschossen sich Drusen gegenseitig - und zwar die Anhänger von Walid Jumblatt und Talal Arslan. In der nordlibanesischen Stadt Tripoli gingen die Auseinandersetzungen zwischen Sunniten noch weiter, als in Beirut bereits die Waffen schwiegen. Von einem Kampf zwischen verschiedenen Religionsgruppen konnte keine Rede sein. Es ging um differierende politische Ansichten von Anhängern der Opposition und Regierung, die sich beide aus Christen, Schiiten, Sunniten und Drusen zusammensetzen.

Die Regierung will der Opposition im Kabinett keine zusätzlichen Stimmrechte geben, aus Angst vor einem Vetorecht, was die Opposition wiederum als eine Notwendigkeit einer nationalen Einheitsregierung ansieht. In diesem Machtgerangel konnte man sich nach dem Amtsende von Staatspräsident Emile Lahoud im November 2007 bisher auf noch keinen Nachfolger einigen. Am vergangenen Dienstag verschob Parlamentspräsident Nahib Berri die Wahl zum 20. Mal auf einen Termin im Juni.

Nach der Besetzung Beiruts durch mehrere oppositionelle Milizen rief Premierminister Fuad Siniora die nationale Armee auf, wieder Ruhe und Ordnung herzustellen. Ein Schachzug, der zu gelingen schien. Den Aufruf der Armee, alle Bewaffneten müssten von den Straßen verschwinden, wurde, wenn auch zögerlich, befolgt. Nur die Militärführung revidierte gleichzeitig auch zwei Entscheidungen der Regierung. Der geschasste Sicherheitschef des Beiruter Flughafens, der zu Hisbollah freundlich gewesen war, wurde wieder eingesetzt und das Problem des militärischen Telekommunikationsnetzes von Hisbollah wird von der Armee selbst geregelt. Für Premier Siniora und seine Koalition ein Faustschlag ins Gesicht. Hisbollah hatte erreicht, was sie wollte. Etwas, das prominente Politiker der Regierung bisher nicht zugeben wollen. Noch sträubt man sich, die beiden Entscheidungen auch im Kabinett offiziell zu revidieren.

Besonders hartnäckig zeigt sich Samir Geagea , der Führer der christlichen Lebanese Forces. Gerade für den Rechtsradikalen käme es einer Demütigung gleich, wenn er der schiitischen Hisbollah Zugeständnisse machen müsste. Hisbollah ist für seine Anhänger ein Erzfeind und ihr Status als Widerstandsbewegung unzumutbar.

Geageas Miliz war an den Kämpfen nicht beteiligt, aber mit Sicherheit setzt er großes Vertrauen in sie. Bekanntermaßen sind sie gut ausgebildet und bewaffnet, zudem rücksichtslos und brutal. Die Kampfverbände von Saad Hariri setzen sich hingegen meist aus nur sehr unerfahrenen, jungen Leuten zusammen und konnten in Beirut denen der Opposition nicht lange Paroli bieten. Auch Jumblatts Männer verloren, trotz schwerer Bewaffnung, die militärische Kontrolle im Drusengebiet. Saad Hariri erklärte zwar am Dienstag, er werde einer Bewaffnung der Sunniten im Libanon nicht zustimmen, wie einige der Glaubensgemeinschaft forderten, hat aber damit nicht seine eigene Truppe gemeint, die in Beirut kämpfte.

Delegation der Arabischen Liga will Konflikt lösen

Die Straße zum Flughafen ist immer noch von Hisbollah gesperrt. Mitglieder tragen aber keine Kalaschnikows mehr, sondern rauchen Wasserpfeifen und essen Sonnenblumenkerne. Für den gestrigen Besuch der Delegation der Arabischen Liga wurde die Zufahrtsstraße kurz geöffnet.

Ob diese Delegation mit den Außenministern aus Algerien, Dschibuti, Marokko, den Vereinigten Arabischen Emiraten, angeführt vom Premier- und Außenminister Katars, Erfolg haben werden, steht in den Sternen. Die Arabische Liga konnte die libanesische Opposition und Regierung, trotz mehrfacher Versuche, nicht einmal zur Wahl eines Präsidenten bringen. Für die Außenminister wird es ein Gesprächsmarathon, denn auf dem Programm stehen alle am Konflikt Beteiligten: Premier Fouad Siniora; Parlamentspräsident Nahib Berri, dessen Amal-Miliz großen Anteil an der Eroberung Beiruts hatte; Armeechef General Suleiman, der der neue Staatspräsident werden soll; Michel Aoun von der christlichen Freien Patriotischen Bewegung, ein Verbündeter Hisbollahs; der Drusenführer Walid Jumblatt und natürlich auch Saad Hariri von der Zukunftsbewegung.

Vor der libanesischen Küste muss bald der Flugzeugträger USS Cole eintreffen, der sich bei Beginn der Krise in Richtung Mittelmeer auf den Weg machte. Für die USA ein Zeichen, dass man zur Regierung steht und gewillt ist, seine Interessen im Libanon zu vertreten. Ob das allerdings zur Stabilität der Lage beiträgt, steht zu bezweifeln. Zu befürchten sind außerdem neue Attentate gegen libanesische Politiker, die für weitere Turbulenzen sorgen könnte. Der israelische Geheimdienst arbeitet an der Ermordung Hassan Nasrallahs, dem Hisbollah-Generalsekretär, aber auch der Tod Saad Hariris oder Walid Jumblatts von der Regierungskoalition sowie Michel Aoun von der Opposition würden unter diesen krisenhaften Umständen die Verhältnisse gewaltig zum Wackeln bringen.