Historisches SETI-Signal ohne Kosmogramm
Seite 4: Neue Kometenthese
Mit einem völlig anderen Ansatz warteten Anfang 2016 die amerikanischen Physiker Antonio Paris vom St. Petersburg College in Florida und Evan Davis vom Explorers Club auf. Wie diese im "Journal of the Washington Academy of Sciences" spekulierten, war der Urheber der Quelle des 'Wow!'-Signals aller Wahrscheinlichkeit nach nicht eine kommunikationsfreudige außerirdische Kultur. Vielmehr stamme dieses aus unserem Sonnensystem, hervorgerufen von zwei vorbeiziehenden Kometen, die das Kürzel "266P/Christensen" und "P/2008 Y2 (Gibbs)" tragen.
In ihrem Fachaufsatz erklären beide Forscher, dass der Grund für das damals aufkommende ungewöhnlich starke Funkfeuer mit den großen Wasserstoffmengen zusammenhängen könnte, die Kometen während ihrer Passage an der Sonne abgeben. Trifft das ultraviolette Sonnenlicht auf das Wassereis eines Kometen, bricht dieses auf. Als Folge dieses Prozesses legt sich eine Wolke aus Wasserstoffgas um den Kometen, die sich Millionen von Kilometern um den Schweifstern selbst ausbreiten kann. Würde ein Komet in relativer Erdnähe driften, könnte das Wasserstoffgas just ein Signal in der Intensität und auf der gleichen Frequenz wie jenes vom August 1977 erzeugen. "Sollten die Kometen im Jahr 1977 tatsächlich vor dem 'Big Ear'-Teleskop vorbeigezogen sein, könnten sie ein kurzzeitiges Signal ausgelöst haben, welches das Teleskop auffing und das daher bei den folgenden Observationen an gleicher Stelle nicht mehr auffindbar gewesen war", vermuten die Physiker.
Um Nägel mit Köpfen zu machen, nahmen Paris und sein Team von Ende November 2016 bis Ende Februar 2017 den Kometen 266P/Christensen näher unter die Lupe. Im Rahmen von 200 Suchläufen analysierten sie das Radiospektrum des Schweifsterns mit einer 10-Meter-Schüssel, an der ein Spektrometer und ein Horn angeschlossen waren. Als der kalte Gesteinsbrocken ins Blickfeld kam und die ersten Radiosignale eintrafen, drehte das Team das Teleskop um ein Grad zur Seite.
"Während dieses Experiments verschwand das auf 1420,25 Megahertz emittierende Signal. Als wir das Radioteleskope wieder in seine ursprüngliche Position in Richtung des Kometen 266/P Christensen brachten, erschien das Signal wieder bei 1420,25 Megahertz", schreibt Paris in seinem jüngsten Paper. "Aus dieser Untersuchung lässt sich daher folgern, dass ein Kometenspektrum bei 1420 Megahertz observierbar ist, und dass die Quelle des 'Wow!'-Signals von 1977 ein natürliches Phänomen war, verursacht von einem Himmelskörper im Sonnensystem."
Abgesang als verfrühtes Geburtstagsgeschenk
Vielleicht war Paris selbst darüber erstaunt, wie groß das Interesse der internationalen Presse an seinem Fund war und wie emotional die Kommentare zu seinem Fazit ausfielen. Dass die sich anschließenden Diskussionen um seine Entdeckung auch in akademischen Kreisen Züge eines Hypes annahmen, dürfte ihn dabei am meisten überrascht haben. Könnte das Ergebnis dieser Studie wirklich das Aus für das über die Jahre so glorifizierte und verklärte 'Wow!'-Signal bedeuten?
Viele Journalisten stellten sich diese Frage und stimmten in einen Chor ein, der wie ein Abgesang auf das mysteriöse Funkfeuer klang. Kurz vor dem 40. Geburtstag des bislang besten First-Contact-Anwärters schlugen vor allem deutsche Reporter und Journalisten in die Kerbe. "Aus für Außerirdische" titelte der deutsche Wissenschaftsjournalist Lars Fischer in dem Online-Ableger von Spektrum der Wissenschaft, ohne seine Überschrift mit einem Fragezeichen zu versehen. "Lange Zeit galt das 1977 aufgezeichnete 'Wow!'-Signal als bester Kandidat für einen Kontakt mit Außerirdischen. Nun jedoch steht fest: Der Strahlungspuls war natürlichen Ursprungs", konstatiert Fischer.
Das "Handelsblatt", sicherlich nicht die erste Adresse für geistes- und naturwissenschaftliche Sujets, sieht das Ende des 'Wow!'-Signals nahe. "Das war’s wohl mit der Botschaft aus dem All: Das 'Wow!'-Signal, das seit 1977 als mögliches Signal einer außerirdischen Zivilisation gehandelt wird, lässt sich auf eine natürliche Quelle zurückführen", schreibt der Autor des Beitrags selbstsicher.
Selbst das Computermagazin CHIP lockt mit der reißerischen Überschrift "Nach 40 Jahren: Rätsel um 'Alien-Signal' offenbar gelöst" ihre Leser auf eine falsche Fährte.
Scharfe Kritik an Kometentheorie
Geht es nach Yvette Cendes von der University of Toronto, dann führt Antonio Paris die Wissenschaft auch mit seiner Kometenstudie in die Irre. In einem Reddit-Post kritisiert die ungarisch-amerikanische Doktorandin und Radioastronomin die wissenschaftliche Vorgehensweise des Teams mit teils heftigen Worten. "So I read this paper, and it screamed bullshit to me!", so der Originalwortlaut an einer Stelle ihres Beitrages.
Ihrer Ansicht nach habe der Autor wissenschaftlich nicht sauber gearbeitet und es an der nötigen Akkuratesse missen lassen. "Das Paper geht in der Tat wirklich, wirklich, wirklich sehr sparsam mit Details um", moniert Cendes. So sei der Autor weder auf Hardware noch auf das verwendete Radioteleskop eingegangen. Über die Art der Schüssel und ihren Standort erhalte der geneigte Leser keine näheren Informationen. Ohnehin sei es fragwürdig, dass Paris seine beiden Studien in einer eher unbekannten Fachzeitschrift veröffentlicht habe, die darüber hinaus mit radioastronomischen Themen kaum Erfahrung habe. Außerdem sei es schlichtweg falsch, die Signalstärken in Dezibel aufzuführen. Hier hätte der Verfasser die Einheit für spektrale Flussdichte Jansky verwenden müssen.
Weniger an Paris' methodische Fehler als vielmehr an dessen Kernaussage und Folgerungen stört sich Seth Shostak, der zu den weltweit führenden SETI-Astronomen zählt und das 'Wow!'-Signal in der Vergangenheit schon oft kritisch kommentiert hat. Nach dem Studium der Forschungsresultate von Antonio Paris kommt er jedenfalls zu einem eindeutigen Ergebnis:
In meinen Augen funktioniert die Kometenthese nicht. (…) Ich habe noch niemals davon gehört, dass irgendjemand starke, von einem Kometen stammende 1420-Megahertz-Strahlung gemessen hat. Und ich habe eine Menge Zeit mit Radioteleskopen verbracht, die auf den Bereich dieser Frequenz eingestellt waren.
Das stärkste Argument gegen die Kometenthese sei das Schweigen der zweiten Antenne. Dass damals nur ein Reflektor das 'Wow!'-Signal aufzeichnete, spräche eindeutig gegen diese Theorie. Denn die langsam aus den Tiefen des Sonnensystems kommenden Kometen bewegen sich einfach nicht schnell genug, um einerseits von der ersten Antenne registriert und Minuten später von der zweiten Antenne nicht mehr detektiert zu werden. "Das ist nicht logisch, Captain!", posaunt Shostak.
Der britische Astronom Alan Fitzsimmons von der Queens University in Belfast (Nordirland) bezeichnet die Kometenstudie im US-Online-Magazin "Astronomy Now" sogar als "Müll". Schließlich gebe es keinen Fall in der Literatur, der belege, dass Schweifsterne auf einer Frequenz von 1420 Megahertz Strahlung abgeben. Der größte Schwachpunkt der Studie sei aber ein anderer:
Als Paris den Kometen beobachtete, war dieser mehr als vier astronomische Einheiten von der Sonne entfernt, was bedeutet, dass dieser tatsächlich sehr inaktiv gewesen war. Dort wäre somit keine Wasserstoffwolke um den Kometen zu entdecken gewesen, und daher kann er den Kometen nicht gesehen haben.
Der ehemalige Ohio-SETI-Forscher Robert Dixon verweist vor allem auf die Tatsache, dass der Komet zum Zeitpunkt der Entdeckung im August 1977 überhaupt nicht im Sichtfeld des Antennen-Tandems gewesen war. Wenn überhaupt, dann sei dieser 55 Minuten vorher ins Blickfeld der Anlage geraten. Mit nicht minder deutlichen Worten verleiht auch der Entdecker des legendären Signals gegenüber dem "Discover Magazine" seiner Skepsis Ausdruck:
Ich erhielt eine Kopie des Artikels aus dem 'Journal of the Washington Academy of Sciences', und ich studierte diesen sorgfältig. Dabei sind meine Kollegen und ich übereinstimmend zu der Schlussfolgerung gelangt, dass keiner der beiden Kometen das 'Wow!'-Signal erklären kann.
Jerry Ehman
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