Hochseilartisten in der Euro-Zirkuskuppel ratlos

Seite 2: Entmachtet die EUROtiker!

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Schließlich haben genau die gleichen Politiker, obwohl die Probleme des Euro offenkundig wurden, mit ihrem ständigen Hin und Her und einem miserablen Management die Krise noch verschärft, sodass es nicht verwundert, wenn der irische Ministerpräsident diese Woche die Politik der EU heftig kritisiert. Nicht Griechenland sei das Problem, "Moody's hat kein Problem mit Irland", so Enda Kenny, "Irland hat ein Problem mit Europa."

Selbst Jens Weidmann sah sich diese Woche genötigt, das Krisenmanagement der Euro-Politiker heftigst zu rügen und die Agenturen in Schutz zu nehmen. Die Ratings, so der oberste deutsche Bundesbanker gegenüber der Wochenzeitung Die Zeit (Bundesbankpräsident attackiert deutsche Euro-Politik: http://www.zeit.de/wirtschaft/2011-07/weidmann-bundesbank-euro), spiegelten nur die wirtschaftliche Realität dieser Länder.

Darum führt es in die Irre, wenn ein Wirtschaftsprofessor dieses Landes im Focus die "Entmachtung der Ratingagenturen" fordern darf. Damit wird das Problem nicht gelöst, auch nicht durch andere, europäische oder asiatische Agenturen. Wenn, dann müsste es eher heißen: "Entmachtet die EURO-Politiker." Es ist die Politik der EUROtiker, stupid, die die Misere letztlich zu verantworten haben, und nicht die Ökonomie, der Neoliberalismus oder der Kapitalismus,

Nur die Spitze

Freilich wäre es völlig verkehrt, die Misere der Währungsunion allein und ausschließlich unfähigen oder leutseligen Politikern anzulasten, oder gar, wie viele das hierzulande gern tun, am Fall Griechenland festzumachen. Zwar vermutete schon Friedrich Nietzsche 1887 in einem Brief an Franz Overbeck, dass "die Fälscherei [der Griechen] eigentliches Handwerk" war, mithin "die ganze europäische Psychologie an den griechischen Oberflächlichkeiten [krankt]."

Und schon davor in Die Geburt der Tragödie (Kap. 15) hegte er den Verdacht, "dass die Griechen unsere und jegliche Kultur als Wagenlenker in Händen haben, dass aber fast immer Wagen und Pferde von zu geringem Stoffe und der Glorie ihrer Führer unangemessen sind, die dann es für einen Scherz erachten, ein solches Gespann in den Abgrund zu jagen: über den sie selbst, mit dem Sprunge des Achille, hinwegsetzen."

Doch der Anteil des Landes am Gesamtaufkommen der EU ist eher gering, um Nietzsches prinzipiellen Verdacht zu bestätigen. Gerade mal 4 Prozent macht es aus. So wie die Griechen ihre Kredite verfrühstückten, so machten das die anderen auch. Die einen haben die niedrigen Zinsen, die ihnen die EU nach ihrem Beitritt gewährt haben, konsumiert ohne selbst produktiv zu sein; die anderen wiederum haben mit dem Verkauf der Waren und Güter, die sie selbst im Überfluss hatten, ihren Reibach gemacht. Mit dem Finger auf sie zu zeigen, ohne die Profiteure dabei zu benennen, wäre daher grundlegend falsch.

Traumtänzer und…

Daher sollte man bei der Krisenaufarbeitung und -bewältigung auch andere Eliten nicht außen vor lassen, Intellektuelle, Publizisten und Kulturschaffende. Auch sie haben statt zur Vorsicht zu mahnen und mehr Überlegung einzufordern, mit ihren politisch überaus ambitionierten Diskursen (Kontinent der Vernunft), überzogenen Erwartungen und Projekten (Vision und Votum) das Desaster publizistisch befeuert - und das bis auf den heutigen Tag.

Erst jüngst hat Jürgen Habermas (Aufgeklärte Ratlosigkeit) der allseits bekannten Hegelschen Maxime, wonach die Wirklichkeit sich gefälligst nach der Idee zu richten habe, eine weitere Fußnote hinzugefügt. An der Humboldt-Universität kritisierte er die Eliten-Politik der Eurokraten und mahnte im überfüllten Hörsaal eine "Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse" in der Euro-Zone an (Hinter verschlossenen Türen).

…Tagträumer

Woher die Solidarität deutscher, österreichischer oder niederländischer Arbeitnehmer und Rentner mit griechischen oder portugiesischen kommen soll, wer den Taktstock dafür schwingen und wie und mit welcher Begründung diese "Umverteilung" geschehen soll, darüber schwieg sich der Philosoph geflissentlich aus. Von den Niederungen der Wirtschaft, so gab er unumwunden zu, habe er, der allenfalls Möglichkeiten prüfe, die Realität am Ideal messe und Normen und Werte einfordere, keine Ahnung.

Gleiches gilt für Münchner Soziologen Ulrich Beck. Auch er hatte kürzlich in der Zeit wieder konsequent und stur an den Realitäten Europas vorbeigedacht (Nein, wir schaffen das nicht allein). Auf die Finanz- und Wirtschaftlage ging er nicht ein. Dafür verbreitete er erneut die Mär vom "kosmopolitischen" Europa (Nur der Kosmopolitismus kann uns noch retten), das mit Hilfe einer "europäischen Finanz-, Umwelt- und Sozialpolitik" von einer neuen rot-grünen Regierung geschaffen werden soll.