Hochseilartisten in der Euro-Zirkuskuppel ratlos

Der Fehler der europäischen Währungskonstruktion war und ist, dass die Währungsunion ein Projekt der Eliten ist und keins der Bürger

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Der Europakult lebt. Doch mit hehren Worten und vollmundigen Versprechungen werden die EUROtiker die Geister, die sie mit ihrer absurden Macht-, Geld- und Schuldenpolitik vor Jahren gerufen haben, nun nicht mehr los. Die EURO-Zone droht sonst auseinanderzufliegen.

Letzte Woche jagte eine Hiobsbotschaft die andere. Zunächst stufte Standard & Poor's Portugals Anleihen auf "Default". Dann rückte Italien, Gründungsmitglied der EU und drittgrößte Volkswirtschaft der Union, in den Focus der Schuldenrichter. Schließlich setzte auch Moody’s die Papiere Irlands auf Ramsch. Der wachsende Ärger, der unter den Euro-Politikern laut wurde, war verständlich, torpedieren ihre Analysten doch immer wieder alle gut gemeinten "Rettungs-, Streckungs- und Umschuldungspläne".

Die Griechen sind […] nur die Kinder, welche nicht wissen, welches erhabene Spielzeug unter ihren Händen entstanden ist und - zertrümmert wird.

Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie

Orakel des Finanzmarktes

Dabei tun die "Schuldenrichter" nur ihre Pflicht. Sie prüfen und bewerten die Kreditwürdigkeit von Schuldnern und Kreditnehmern. Durch ihr Rating signalisieren sie potentiellen Kreditgebern, wie es um die Risiken eines Kreditausfalls steht. Ist die Bonität eines Unternehmens oder Landes schlecht, dann steigen auch die Aufschläge.

Dass die Agenturen auf Zahlen angewiesen sind, die andere liefern; dass sie gelegentlich von ihren Lieferanten hinters Licht geführt werden (wer schon mal mit Mitarbeitern gesprochen hat, der weiß, wie schwer es ist, Bilanzen von Unternehmen zu prüfen); und dass sie, zumal sie privatwirtschaftlich organisiert sind, auch gewinnorientiert arbeiten, weiß die Politik, seit sie die Agenturen selbst zu Orakeln des Finanzmarktes berufen hat.

Ablenkungsmanöver

Die Empörung, die sich von Merkel bis Barroso Luft machte, war an Scheinheiligkeit kaum noch zu überbieten. Mit ihrem konzertierten Bashing suchten sich die EUROtiker einen Buhmann oder Sündenbock, um von eigenen Fehlern, politischen Dummheiten und Misswirtschaft ablenken zu können, die sie selbst machten, als sie im Überschwang der Postmoderne die Währungsunion ins Leben riefen.

Nicht die Überbringer schlechter Nachrichten tragen Schuld, sondern diejenigen, die Schulden produzieren. Pflichtwidrig wäre es eher gewesen, wenn die Agenturen die Bilanzen Griechenlands, Italiens, Portugals oder Irlands geschönt oder gar aufgehübscht hätten.

Vor der Finanzkrise warf die Politik den drei Großen der Branche, Standard & Poor's, Moody's oder Fitch Ratings vor, die miesen Papiere von Banken allzu positiv bewertet zu haben und damit am Finanzcrash maßgeblich mitgewirkt zu haben. Sie hätten sich, so der Vorwurf, von Unternehmen bezahlen lassen und darum auf objektive und unabhängige Urteile verzichtet.

Nun, drei Jahre später, da es um die Bonität von Euro-Ländern geht, die Anleihen der Schuldner als das bewerten, was sie nach Meinung aller Finanzexperten auch sind, nämlich "Schrott" oder "Ramsch", regt sich die Politik erneut auf - zu Unrecht diesmal.

An die politische Kette

Anscheinend gelten für Unternehmen andere Regeln als für Staaten. Die jüngste Forderung der EU-Kommission, man müsse die Ratingagenturen an die politische Kandare nehmen, sie politisch besser "beaufsichtigen" oder ihnen gar einen "Maulkorb verpassen" (Barniers Maulkorb), lässt an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig. Sie zeigt, dass die EUROtiker gewillt sind, nur ihnen genehme Risikobeurteilungen zu akzeptieren.

Zumindest in einem Fall waren sie damit schon sehr erfolgreich: Sie haben es geschafft, die EZB an die politische Kette zu legen. Sie haben sie zum Spielball ihrer politischen Interessen gemacht. Mit dem Zwang, griechische Schrottpapiere en masse aufzukaufen, haben sie ihre Glaubwürdigkeit zerstört und aus einer Aufsichtsbehörde einen Mitspieler am Kapitalmarkt gemacht. Statt deren Lösung ist die EZB fortan auch Teil des Problems.

Schulden- statt Finanzkrise

Freilich wird jetzt, nachdem sich der Rauch der Lehman-Pleite langsam verzogen hat, auch deutlich, dass wir es weniger mit einer Finanz-, als vielmehr mit einer Schuldenkrise gigantischen Ausmaßes zu tun haben. Nicht private Banken, Versicherungen und Spekulanten tragen ursächlich Schuld an der Misere.

Gewiss haben sie durch lockere Kreditvergabepolitik die Finanzkrise ausgelöst und die Regierungen der Staaten zu dreistelligen Rettungsmaßnahmen gezwungen, was deren ohnehin hohe Verschuldung in Schwindel erregende Höhen getrieben hat. Dabei haben sie aber nur den Rahmen ausgenutzt, denen ihnen bekanntlich die Politik erlaubt.

Tatsächlich ist es eher ein "eurotisch-eurokratischer" Eliten-Verbund aus Politik, Publizistik und Kultur, der sich danach in sein selbst gesponnenes Netz aus politischen Visionen, Machtwillen und vollmundigen Versprechungen verstrickt und mit seiner hemdsärmelig-sorglosen Politik der letzten Jahre das Verschuldungsspirale in Gang gesetzt hat.

Hemdsärmelig und sorglos

Zuerst haben sie Jahrzehnte lang mit sozialen Wohltaten, Wahlgeschenken und Konjunkturpolitiken sich die politische Loyalität ihrer Bürgern erkauft. Indem sie Kredite aufnahmen, die nur durch neue Kreditnahmen zu tilgen sind, trieben sie die Verschuldung ihrer Länder auf diese Höchststände und begaben sich damit auch in die Abhängigkeit von Banken und anderen privaten Geldgebern, die ihr Erpressungspotential nun weidlich nutzen.

Später haben sie die Währungsunion wider aller wirtschaftlichen Vernunft beschlossen und politisch durchgesetzt (Europa - mon amour). Im politischen "Vereinigungsrausch" unterließen sie es nicht nur, Griechenlands getürkte Zahlen genauer zu prüfen, sie erlaubten es den Mitgliedsstaaten auch, die strengen Maastricht-Kriterien ständig zu überschreiten.

Jetzt, da sie gerade dabei sind, die selbst ausgehandelten Verträge zu brechen, etwa den Lissabon-Vertrag und die No-Bail-Out Klausel in Artikel 125, der es Euro-Ländern verbietet, anderen finanziell unter die Arme zu greifen, lassen sie es zu, dass sich die Union, die sich einst auf Währungsstabilität verpflichtet hat, in eine Transfergemeinschaft verwandelt.

Entmachtet die EUROtiker!

Schließlich haben genau die gleichen Politiker, obwohl die Probleme des Euro offenkundig wurden, mit ihrem ständigen Hin und Her und einem miserablen Management die Krise noch verschärft, sodass es nicht verwundert, wenn der irische Ministerpräsident diese Woche die Politik der EU heftig kritisiert. Nicht Griechenland sei das Problem, "Moody's hat kein Problem mit Irland", so Enda Kenny, "Irland hat ein Problem mit Europa."

Selbst Jens Weidmann sah sich diese Woche genötigt, das Krisenmanagement der Euro-Politiker heftigst zu rügen und die Agenturen in Schutz zu nehmen. Die Ratings, so der oberste deutsche Bundesbanker gegenüber der Wochenzeitung Die Zeit (Bundesbankpräsident attackiert deutsche Euro-Politik: http://www.zeit.de/wirtschaft/2011-07/weidmann-bundesbank-euro), spiegelten nur die wirtschaftliche Realität dieser Länder.

Darum führt es in die Irre, wenn ein Wirtschaftsprofessor dieses Landes im Focus die "Entmachtung der Ratingagenturen" fordern darf. Damit wird das Problem nicht gelöst, auch nicht durch andere, europäische oder asiatische Agenturen. Wenn, dann müsste es eher heißen: "Entmachtet die EURO-Politiker." Es ist die Politik der EUROtiker, stupid, die die Misere letztlich zu verantworten haben, und nicht die Ökonomie, der Neoliberalismus oder der Kapitalismus,

Nur die Spitze

Freilich wäre es völlig verkehrt, die Misere der Währungsunion allein und ausschließlich unfähigen oder leutseligen Politikern anzulasten, oder gar, wie viele das hierzulande gern tun, am Fall Griechenland festzumachen. Zwar vermutete schon Friedrich Nietzsche 1887 in einem Brief an Franz Overbeck, dass "die Fälscherei [der Griechen] eigentliches Handwerk" war, mithin "die ganze europäische Psychologie an den griechischen Oberflächlichkeiten [krankt]."

Und schon davor in Die Geburt der Tragödie (Kap. 15) hegte er den Verdacht, "dass die Griechen unsere und jegliche Kultur als Wagenlenker in Händen haben, dass aber fast immer Wagen und Pferde von zu geringem Stoffe und der Glorie ihrer Führer unangemessen sind, die dann es für einen Scherz erachten, ein solches Gespann in den Abgrund zu jagen: über den sie selbst, mit dem Sprunge des Achille, hinwegsetzen."

Doch der Anteil des Landes am Gesamtaufkommen der EU ist eher gering, um Nietzsches prinzipiellen Verdacht zu bestätigen. Gerade mal 4 Prozent macht es aus. So wie die Griechen ihre Kredite verfrühstückten, so machten das die anderen auch. Die einen haben die niedrigen Zinsen, die ihnen die EU nach ihrem Beitritt gewährt haben, konsumiert ohne selbst produktiv zu sein; die anderen wiederum haben mit dem Verkauf der Waren und Güter, die sie selbst im Überfluss hatten, ihren Reibach gemacht. Mit dem Finger auf sie zu zeigen, ohne die Profiteure dabei zu benennen, wäre daher grundlegend falsch.

Traumtänzer und…

Daher sollte man bei der Krisenaufarbeitung und -bewältigung auch andere Eliten nicht außen vor lassen, Intellektuelle, Publizisten und Kulturschaffende. Auch sie haben statt zur Vorsicht zu mahnen und mehr Überlegung einzufordern, mit ihren politisch überaus ambitionierten Diskursen (Kontinent der Vernunft), überzogenen Erwartungen und Projekten (Vision und Votum) das Desaster publizistisch befeuert - und das bis auf den heutigen Tag.

Erst jüngst hat Jürgen Habermas (Aufgeklärte Ratlosigkeit) der allseits bekannten Hegelschen Maxime, wonach die Wirklichkeit sich gefälligst nach der Idee zu richten habe, eine weitere Fußnote hinzugefügt. An der Humboldt-Universität kritisierte er die Eliten-Politik der Eurokraten und mahnte im überfüllten Hörsaal eine "Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse" in der Euro-Zone an (Hinter verschlossenen Türen).

…Tagträumer

Woher die Solidarität deutscher, österreichischer oder niederländischer Arbeitnehmer und Rentner mit griechischen oder portugiesischen kommen soll, wer den Taktstock dafür schwingen und wie und mit welcher Begründung diese "Umverteilung" geschehen soll, darüber schwieg sich der Philosoph geflissentlich aus. Von den Niederungen der Wirtschaft, so gab er unumwunden zu, habe er, der allenfalls Möglichkeiten prüfe, die Realität am Ideal messe und Normen und Werte einfordere, keine Ahnung.

Gleiches gilt für Münchner Soziologen Ulrich Beck. Auch er hatte kürzlich in der Zeit wieder konsequent und stur an den Realitäten Europas vorbeigedacht (Nein, wir schaffen das nicht allein). Auf die Finanz- und Wirtschaftlage ging er nicht ein. Dafür verbreitete er erneut die Mär vom "kosmopolitischen" Europa (Nur der Kosmopolitismus kann uns noch retten), das mit Hilfe einer "europäischen Finanz-, Umwelt- und Sozialpolitik" von einer neuen rot-grünen Regierung geschaffen werden soll.

In Ideen und Visionen vernarrt

Dass es keine zwei Europas gibt, ein faktisches und ein kontrafaktisches, wollen gewisse Lautsprecher bis heute nicht wahrhaben. Und dass "Zwangssolidaritäten" weder aus der Portokasse zu bezahlen noch mit Sonn-, Feier- oder Festtagsworten herbeigeredet werden können, konnte man bereits nach der deutschen Wiedervereinigung erkennen.

Schon an ihr hatte sich gezeigt, dass Transformationen, wirtschaftliche wie soziale, nicht nach Plan ablaufen, sondern nicht-linearen und rekursiven Prozessen folgen. Zwar können sie intendiert, aber nicht unmittelbar gesteuert werden. Das liegt am Beobachter, der in alle diese Abläufe verstrickt ist. Und das liegt an jenen Elementen, die die Veränderung bestimmen und von dieser selbst erst hervorgebracht werden.

Kommunizierende Röhren

Jede Transformation wird somit zu einem Vorgang mit ungewissem Ausgang, sie unterzieht die per Gemeinschaftswährung Zwangsvereinigten einem Veränderungsprozess, der in aller Regel nach Art kommunizierender Röhren abläuft. Während der Starke Hilfszahlungen leisten, missverstehen die Schwachen das als Aufforderung, ihre Schuldenpolitik munter fortzusetzen. Zumal den Starken sie weiter alimentieren müssen.

In die Vorstellung, dass das zu einer Win-Win-Situation führen könnte, sind vor allem jene Publizisten vernarrt, die von der "Idee einer besseren Gesellschaft" besessen sind. Die Hoffnungen und Erwartungen, dass es dazu kommt, sind allerdings gering. Die Erfahrung lehrt, dass man sich mittelfristig, wird diesem Unfug nicht vorher politisch ein Ende bereitet, auf einem mittleren Niveau trifft. Der Starke wird nach unten, der Schwache nach oben gezogen.

Großmannssucht

Der Webfehler der europäischen Währungskonstruktion war und ist es bis auf den heutigen Tag, dass die Währungsunion ein Projekt der Eliten ist und keins der Bürger. Sie wollte man daran nicht teilhaben lassen, höchstens als Claqueure. Die Politik, begleitet vom publizistischen Trommelfeuer der Kontrafaktischen, preschte voran und hörte weder auf Mahner und Warner noch auf wirtschaftliche und soziale Fakten und Zahlen (Reboot Europa), ein Fehler, den schon Gorbatschow in den 1980ern beging, als er Glasnost vor der Perestroika einführte.

Im politischen Macht- und Expansionsstreben, durch die Veränderungen im Osten Europas begünstigt (Experiment Europa), ging unter, dass man wirtschaftlich, sozial und mental so unterschiedlich gearteten Staaten wie Frankreich, Österreich oder Portugal keine gemeinsame Währung verordnen kann, ohne damit im Land oder anderswo soziale oder wirtschaftspolitische Friktionen hervorzurufen.

Spielen Geldwert und Inflationsangst in südlichen Ländern kaum eine Bedeutung, reagiert man in Deutschland höchst allergisch auf inflationäre Tendenzen. Betreibt man in Frankreich oder Spanien aktive Sozialpolitik, setzt man hierzulande auf Schuldenbremsen, Abbau, Begrenzung und Rückführung von Schulden - auch wenn das in der Praxis eher misslingt. Wenn Herr Schäuble gerade die Nettoneuverschuldung der Bundesrepublik im nächsten Jahr auf dreißig Milliarden Euro als riesigen Erfolg feiert, dann weiß man, aus welchem Holz auch der deutsche Finanzminister geschnitzt ist.

Totengräber Euro

Gewiss steht Europa im scharfen Wettbewerb mit anderen, aufstrebenden Regionen und Mächten, es kann nur mithalten, wenn er sich als starke Macht nach außen präsentiert; gewiss haben die USA kein sonderlich großes Interesse an einem übermächtigen Europa; und gewiss haben sich die Gewichte nach Osten verschoben (Der Osten wird der "neue Westen"), nicht zuletzt die Entscheidung des IOC, die Winterspiele nach Südkorea zu vergeben, hat gezeigt, dass die Märkte der Zukunft in Asien liegen.

Die Frage ist allerdings: zu welchem Preis? Schon andere Mächte haben sich an ihren Ideen und Möglichkeiten verhoben. Die Liste maßlos sich aus- und überdehnender Mächte ist lang. Zuletzt mussten das die USA leidvoll erfahren (Portugiesische Marienkäferinvasion in Polen), als sie binnen eines Jahrzehnts von der unbestrittenen Nummer eins (Das Neue Rom) zum bloßen Akteur im Geopoly der Mächte geschrumpft sind (Das Machtspiel geht weiter).

Bereits Peter Glotz, ehemaliger Vordenker der SPD, hatte 2003 in einem Beitrag für einen Utopie-Band das Scheitern des Euro und "die Rückkehr der Euroländer zu den alten Währungen" prognostiziert (allerdings schon für 2009) und die "Verschweizerung" als Alternative zur europäischen Großmannssucht empfohlen.

Und auch der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Amartya Sen hat jüngst in einem Beitrag für Le Monde den Euro als Totengräber für Europa bezeichnet, weil er die Defizit-Länder zu einer strengen und möglicherweise gefährlichen "Blut, Schweiß und Tränen-Politik" nötige (L'euro fait tomber L’Europe), die ihnen eine Begleichung ihrer Schulden unmöglich macht.

Durchwursteln geht nicht mehr

Mit gutem Zureden und hehren Worten ist die Krise nicht zu lösen. Erst gestern hat Hans-Dietrich Genscher im Tagesspiegel die Euro-Politiker zu entschlosseneren Schritten aufgefordert und ein mehr an Europa gefordert. "Die betroffenen Länder müssen durch entschlossene Haushaltsentscheidungen und Strukturverbesserungen ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen."

Und mit Aussitzen und dem Versuch, sich irgendwie über die Zeit zu retten, erst recht nicht Mittlerweile scheint die Realität auch in den Köpfen der EUROtiker angekommen zu sein. Sie schließen eine Umschuldung Griechenlands nicht mehr völlig aus. Möglicherweise dürfen die Griechen ihre Papiere zu Dumpingpreisen zurückkaufen und damit ihre Alt- und Schrottautos gegen nagelneue Audis und BMWs tauschen. Und auch anderen PIGS-Staaten, die jetzt im Focus stehen, könnte ein solcher Haircut bevorstehen.

Entscheidung kommt

Olli Rehn, der EU-Kommissar für Währungsfragen, spricht endlich auch von einer "systemischen Krise", von einer Krise, die den gesamten Euro-Raum erfasst habe. Die Wahl, die noch bleibt, so ein deutscher Wirtschaftsweiser, ist die zwischen "Pest und Cholera". Auf einem Sondergipfel am Donnerstag, der ursprünglich schon dieses Wochenende stattfinden sollte, soll das gesamte Angebot auf den Tisch und man will Entscheidungen treffen.

Für den Fall, dass das alles nicht hilft, die EURO-Zone auseinanderfliegt und die EU sich auflöst, hat der Soziologe und Ökonom Gunnar Heinsohn jüngst einen Vorschlag gemacht. Europa könnte neue Blöcke bilden und sich nach regionalen, wirtschaftlichen und kulturellen Schwerpunkten neu aufstellen. So könnten die finanzstarken Nordländer die Kalmarer Union neu beleben, eine größere Gruppe um die Schweiz könnte eine Alpenföderation bilden, während die Südländer eine mediterrane Gemeinschaft bilden, die mit Solarenergie, Öko- und Kulturnahrung Touristenströme abfängt und das Baltikum eine Neuauflage der Rzeczpospolita probiert. Wahrscheinlich ist das selbstverständlich nicht.

Katechon "Recht"

Doch wer könnte in der Lage sein, den schleichenden Wahnsinn weiterer Rettungsschirme gepaart mit "alternativloser Politik" aufzuhalten? Die letzte Bastion, die das in der Demokratie noch leisten kann, ist das Recht. Neulich hat ein Münsteraner Gericht unter Vorsitz des Richters Hans Bertram den Haushalt der rot-grünen Regierung in NRW für nicht verfassungsgemäß erklärt und damit die Schuldenpraxis dieser Provinzpolitiker gestoppt. Genauso könnte auch das Bundesverfassungsgericht unter Vorsitz des Richters Wilhelm Voßkuhle und seines Berichterstatters Udo di Fabio den EUROtikern Hürden aufbauen und ihrem Ansinnen rechtliche Grenzen setzen

Groß ist die Hoffnung nicht. Schon die Anhörung hat das gezeigt. Trotzdem wird es spannend sein zu beobachten, ob und wie stark sich das oberste Gericht den Begehrlichkeiten und jüngsten "Erpressungsversuchen" der Politik, die sich neuerdings ständig auf irgendeinen "Notstand" (Flächenbrand verhindern, Schaden vom Land zu nehmen) beruft, widersteht. Wird es im internen Machtkampf der "drei Gewalten" Eigenständigkeit beweisen und für die Verbindlichkeit des Rechts kämpfen? Oder wird es sich von so schwammigen und eher nichtssagenden Erklärungen der Bundesregierung, sie müsse sich zu ihrer "europäischen Verantwortung" bekennen, überzeugen lassen und die Verschuldungspraktiken absegnen?

Verbindlichkeit des Rechts

Auch für Rechtslaien ist erkennbar, dass die Bundesregierung mit ihrem Jawort zu immer neuen und dauerhaften Rettungsschirmen sowohl gegen den Geist und die Fundamentalnormen der europäischen Verträge als auch gegen die in der deutschen Verfassung fixierten Prinzipien des Parlamentarismus und der Haushaltsautonomie verstößt. Sollte das Höchste Gericht der Bundesregierung Recht geben, dann würde deutlich, dass es um die staatliche Souveränität Deutschlands geschehen ist.

Folgt das Bundesverfassungsgericht jedoch seinen eigenen Verlautbarungen und Grundsätzen und befindet nicht über Wirtschaftspolitik und die Zukunft der EU, dann müsste sie den Klägern, Peter Gauweiler und Co., zumindest in Teilen Recht geben.

Aushöhlung der Demokratie

Denn mit dem Notstandsparagraphen und der daraus resultierenden "Ermächtigungspolitik", die das Parlament zum Abnicken degradiert und die Entscheidung in die Hinterzimmer irgendwelcher Expertenrunden, Regierungschefs oder Räten verlegt, lassen sich vielerlei Dinge rechtfertigen, die abrupte Energiewende genauso wie die Aushebelung des Parlamentarismus, der Demokratie und des Rechts.

In jedem Fall würde ein greiser Staatsrechtler, würde er noch leben, ein lebhaftes Interesse an Verfahren und Urteil zeigen, das im Herbst zu erwarten ist. Laut Christian Meier, dem geschätzten Altphilologen an der Münchner LMU, hat Carl Schmitt einst im vertrauten Kreis darüber sinniert, dass die Politiker jederzeit in der Lage sind, mit einer Zwei-Drittel Mehrheit die Verfassung in einem ihnen genehmen Sinne zu verändern. Bei den Diätenerhöhungen etwa, auch wenn das mit unserer Problematik nun wirklich nichts zu tun hat, kann man diese solche Einigkeit Jahr für Jahr beobachten.

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