Hochseilartisten in der Euro-Zirkuskuppel ratlos

Seite 3: In Ideen und Visionen vernarrt

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Dass es keine zwei Europas gibt, ein faktisches und ein kontrafaktisches, wollen gewisse Lautsprecher bis heute nicht wahrhaben. Und dass "Zwangssolidaritäten" weder aus der Portokasse zu bezahlen noch mit Sonn-, Feier- oder Festtagsworten herbeigeredet werden können, konnte man bereits nach der deutschen Wiedervereinigung erkennen.

Schon an ihr hatte sich gezeigt, dass Transformationen, wirtschaftliche wie soziale, nicht nach Plan ablaufen, sondern nicht-linearen und rekursiven Prozessen folgen. Zwar können sie intendiert, aber nicht unmittelbar gesteuert werden. Das liegt am Beobachter, der in alle diese Abläufe verstrickt ist. Und das liegt an jenen Elementen, die die Veränderung bestimmen und von dieser selbst erst hervorgebracht werden.

Kommunizierende Röhren

Jede Transformation wird somit zu einem Vorgang mit ungewissem Ausgang, sie unterzieht die per Gemeinschaftswährung Zwangsvereinigten einem Veränderungsprozess, der in aller Regel nach Art kommunizierender Röhren abläuft. Während der Starke Hilfszahlungen leisten, missverstehen die Schwachen das als Aufforderung, ihre Schuldenpolitik munter fortzusetzen. Zumal den Starken sie weiter alimentieren müssen.

In die Vorstellung, dass das zu einer Win-Win-Situation führen könnte, sind vor allem jene Publizisten vernarrt, die von der "Idee einer besseren Gesellschaft" besessen sind. Die Hoffnungen und Erwartungen, dass es dazu kommt, sind allerdings gering. Die Erfahrung lehrt, dass man sich mittelfristig, wird diesem Unfug nicht vorher politisch ein Ende bereitet, auf einem mittleren Niveau trifft. Der Starke wird nach unten, der Schwache nach oben gezogen.

Großmannssucht

Der Webfehler der europäischen Währungskonstruktion war und ist es bis auf den heutigen Tag, dass die Währungsunion ein Projekt der Eliten ist und keins der Bürger. Sie wollte man daran nicht teilhaben lassen, höchstens als Claqueure. Die Politik, begleitet vom publizistischen Trommelfeuer der Kontrafaktischen, preschte voran und hörte weder auf Mahner und Warner noch auf wirtschaftliche und soziale Fakten und Zahlen (Reboot Europa), ein Fehler, den schon Gorbatschow in den 1980ern beging, als er Glasnost vor der Perestroika einführte.

Im politischen Macht- und Expansionsstreben, durch die Veränderungen im Osten Europas begünstigt (Experiment Europa), ging unter, dass man wirtschaftlich, sozial und mental so unterschiedlich gearteten Staaten wie Frankreich, Österreich oder Portugal keine gemeinsame Währung verordnen kann, ohne damit im Land oder anderswo soziale oder wirtschaftspolitische Friktionen hervorzurufen.

Spielen Geldwert und Inflationsangst in südlichen Ländern kaum eine Bedeutung, reagiert man in Deutschland höchst allergisch auf inflationäre Tendenzen. Betreibt man in Frankreich oder Spanien aktive Sozialpolitik, setzt man hierzulande auf Schuldenbremsen, Abbau, Begrenzung und Rückführung von Schulden - auch wenn das in der Praxis eher misslingt. Wenn Herr Schäuble gerade die Nettoneuverschuldung der Bundesrepublik im nächsten Jahr auf dreißig Milliarden Euro als riesigen Erfolg feiert, dann weiß man, aus welchem Holz auch der deutsche Finanzminister geschnitzt ist.