Humanitäre Heuchelei
Haben nur Flüchtlinge aus den Ländern Chancen auf Asyl, die sich gerade im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit befinden?
Das Sommerlochdrama um das Schiff der Flüchtlingshilfsorganisation Cap Anamur (Die Nigeria-Connection) geht noch immer weiter. Der Chef von Cap Anamur Elias Birdel bleibt weiterhin in Haft, den afrikanischen Flüchtlingen droht die Abschiebung und jetzt soll gar das Cap-Anamur-Schiff verschrottet werden, weil es für eine in den Augen der italienischen Behörden strafbare Handlung, das illegalen Einschleusen von Flüchtlingen, verwendet wurde.
Die italienischen Behörden wollen ein Exempel statuieren. Die zerstrittene italienische Rechtsregierung kann am Fall Cap Anamur ihr eigenes Wählerklientel wieder hinter sich sammeln. Schließlich sind sich Lega-Nord Chef Bossi und der Vorsitzende der postfaschistischen AN Fini, so zerstritten sie sonst auch sind, in dieser Frage einig. Armutsflüchtlinge sollen draußen bleiben. Dabei überbieten sich beide Rechtsformationen schon in den letzten Jahren gegenseitig an populistischer Stimmungsmache gegen Flüchtlinge. Bossi wollte sogar schon vor Jahren auf Flüchtlingsschiffe schießen lassen (Mit Kanonenkugeln oder Internierung in "Regionalen Schutzzonen" außerhalb der EU).
Doch auch die deutsche Bundesregierung kann sich in diesem Fall nicht einfach zurücklehnen. Während einige Grüne und Sozialdemokraten die italienische Regierung wegen ihrer harten Haltung kritisieren, lehnt es die Bundesregierung kategorisch ab, den Afrikanern Asyl zu gewähren. Bundesinnenminister Schily äußerte sogar Verständnis für die italienische Regierung. Die Angaben über die Herkunft der Flüchtlinge sei falsch gewesen, ließ er erklären: "Der Zusammenhang, der hier gemacht worden ist mit der Bürgerkriegskatastrophe im Sudan, ist offensichtlich nicht gegeben."
Hier wird die ganze Heuchelei der europäischer Flüchtlingspolitik deutlich. Denn wären alle Schiffsinsassen aus dem Sudan gewesen, hätten sich vielleicht sowohl die italienische als auch die deutsche Regierung zu einer humanitäre Geste hinreißen lassen und Asyl gewährt. Denn das Land befindet sich seit einigen Wochen im internationalen Scheinwerferlicht. Politiker aus den USA und Deutschlands überbieten sich gegenseitig mit Warnungen an die Machthaber in Khartum (Schon wieder ein humanitärer Krieg?). Die Drohungen mit einem militärischen Eingreifen sind deutlich.
Dazu wird die Situation in der sudanesischen Provinz Darfur zum Anlass genommen, eine humanitäre Katastrophe mit vielen Toten zu beschwören (Späte Entdeckung der Menschenrechte). In ein solches Szenario würden mit letzter Kraft gerettete Flüchtlinge sehr gut passen. Um so harscher die Reaktionen, als sich herausstellte, dass ein Teil der Flüchtlinge nicht aus dem Sudan, sondern aus anderen afrikanischen Krisenregionen stammen. Den Schiffsinsassen wird nicht unterstellt, dass sie keine Gründe für ihre Flucht hätten und dass sie in ihren Heimatländern nicht genau so um ihr Leben fürchten müssen, wie die Mitglieder der afrikanischen Ethnie in Darfur. Sie haben nur das Pech, aus Regionen dieser Welt zu stammen, auf die die Scheinwerfer der großen Politik gerade nicht gerichtet sind. Interventionspläne liegen dort nicht vor.
In diesem Spiel sind allerdings auch Organisationen wie Cap Anamur längst wichtige Akteure, die sich jetzt nicht als Opfer der italienischen Regierung gerieren sollten. Denn auch diese Organisationen erkennen immer dort einen Handlungsbedarf, wo die Scheinwerfer der Weltpolitik gerade drauf leuchten. Sie decken Kriege, die unter dem Oberbegriff "humanitäre Intervention" firmieren so zivilgesellschaftlich ab.
Das Agieren von Cap Anamur-Begründer Rupert Neudeck, der sich gerne als Menschenretter bezeichnet lässt, im jugoslawischen Bürgerkrieg ist dafür ein gutes Beispiel. Er hat im Vorfeld des Jugoslawienkrieges, als die Scheinwerfer auf Serbien fielen, mit seiner Kampagne mit dazu beigetragen, dass in Deutschland die letzten Hemmungen fielen, ausgerechnet dort wieder militärisch zu intervenieren, wo die Wehrmacht verbrannte Erde und Menschen hinterlassen hat. Es gab auch für Neudeck in der Regel nur Flüchtlinge als Folge der Politik aus Belgrad. Serbische Flüchtlinge wurden lieber nicht erwähnt. Sie hatten eben das Pech in der falschen Region geboren zu sein, wie ein Großteil der unglücklichen Insassen vom Cap Anamur Schiff.