Ideologie Ganztagsschule

Optimale Lernumgebung für alle? Ganztagsschule St.Pauli. Foto: Olli Klein. Lizenz: CC BY 3.0

Nicht für jedes Kind bieten Klassenzimmer die ideale Lernumgebung

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Die Bertelsmann-Stiftung hat eine Studie zur Ganztagsschulen erstellen lassen, in der beklagt wird, dass in Bayern im Schuljahr 2015/2016 nur 16 Prozent solche Einrichtungen besuchten, während es in Hamburg 91,5 Prozent waren. Bereits das Vorwort weist darauf hin, dass diese Studie nicht ganz ergebnisoffen durchgeführt worden sein könnte. So heißt es dort etwa: "Wenn wir unsere Ambition als Bildungsrepublik ernst nehmen und allen Kindern und Jugendlichen ganztägiges Lernen mit Blick auf eine größere Leistungsfähigkeit und Chancengerechtigkeit des Schulsystems ermöglichen wollen, dann braucht es eine neue Offensive für gute Ganztagsschulen in Deutschland."

Einen Zusammenhang zwischen dem Ganztagsschüleranteil und der Bildungsqualität bleibt die Studie trotz ihrer knapp sechzig Seiten jedoch schuldig. Dass es so einen Zusammenhang gibt, ist insofern zweifelhaft, als in der am 13. Oktober veröffentlichten IQB-Bildungstrendstudie zu Mathematik- und Deutschkenntnissen von Viertklässlern Bayern ganz vorne und Hamburg ziemlich weit hinten liegt (vgl. Viertklässlervergleich: Baden-Württemberg abgestürzt). Diese eher negative Korrelation muss freilich nicht heißen, dass das schlechte Abschneiden von Städten wie Hamburg an den Ganztagsschulen liegt, obwohl ein Beitrag dazu nicht ganz ausgeschlossen ist.

"Kein kompensatorischer Effekt"

Eine andere Studie, die die Bertelsmann-Erziehungsforscher in ihrer Ganztagsschulstudie nicht berücksichtigt haben, ist die vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), vom Deutschen Jugendinstitut (DJU), vom Institut für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund (IFS) und von der der Universität Gießen erstellte Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen 2005 - 2011 (StEG). Dort stellten die möglicherweise etwas ergebnisoffener forschenden Erziehungswissenschaftler anhand von etwa 300 untersuchten Schulen fest, dass sich durch die Ganztagspädagogik keine "unmittelbare Effekte auf die Entwicklung der fachlichen Kompetenzen zeigten". "Auch für Jugendliche aus niedrigeren sozialen Schichten oder mit Migrationshintergrund" ließ sich "kein Effekt der reinen Ganztagsschulteilnahme auf ihre Schulleistungen nachweisen", weshalb man zum Ergebnis kam, dass Ganztagsunterricht "keinen kompensatorischen Effekt" auf "bildungsbenachteiligte Schülergruppen" hat.

Berliner Bildungspolitiker verwiesen bezüglich einer Erklärung für das sehr unterschiedliche IQB-Abschneiden von Bundesländern wie Bayern und Sachsen auf der einen und Ländern wie Berlin und Baden-Württemberg auf der anderen Seite auf eine "zunehmend heterogene soziale Zusammensetzung der Klassen". "Heterogen" (beziehungsweise "divers") waren Klassen in den letzten Jahren nicht nur durch unterschiedliche Sprachen, Kulturen und soziale Strukturen, sondern auch durch eine staatlich verordnete "Inklusion". Je kompromissloser die jeweiligen Bildungsminister die (nun im Synonym "Heterogenität" versteckte) Ideologie einer "Diversität" verfolgten, desto mehr wurden Regelschulen nicht nur mit gut beschulbaren körperbehinderten Kindern bestückt, sondern auch mit geistig behinderten und verhaltensauffälligen Schülern, die durch Lautstärke und Aggression auch den Lernerfolg ihrer Klassenkameraden maßgeblich stören konnten (vgl. Ideologie Inklusion).

Mehr Wahlmöglichkeiten

In einer Ganztagsschule können schwer oder gar nicht beschulbare Inklusionsschüler einige Stunden länger stören als in einer regulären Schule, nach der andere Kinder am Nachmittag die Chance haben, das am Vormittag in einer nicht unbedingt lernoptimalen Atmosphäre Verpasste am Nachmittag im Selbststudium nachzuholen. Darüber hinaus können sie dort - anders als in der Schule - selbst entscheiden, mit was sie sich beschäftigen. Früher war das manchmal durchaus zukunftstauglicher als das, was in den Lehrplänen stand, in denen die Stenographie und das technische Zeichnen mit Tuschestiften länger überlebten als in der realen Wirtschaftswelt, weil Pädagogen ihre Steckenpferde nicht aufgeben wollten.

Man könnte sich deshalb - anstatt das alleinige Bildungsheil nur in Ganztagsschulen zu suchen - auch fragen, ob man Schülern nicht mehr Wahlmöglichkeiten lässt, wo und wie sie lernen wollen. Eine Möglichkeit, das zu verwirklichen, wäre die Zulassung von E-Learning-Modellen im Hausunterricht. Diesem Hausunterricht hängt in Deutschland noch der Geruch religiöser Fanatiker an - und er ist bis auf wenige Ausnahmefälle verboten. In der Schweiz und in Österreich ist Hausunterricht dagegen erlaubt. Das Problem, wie man ohne Schulen die Nachkommenschaft von "bildungsfernen Eltern" mit einem gewissen Grundinstrumentarium an Bildung versehen kann, wurde dort durch eine regelmäßige zentrale Überprüfung des Wissenstandes gelöst.

Die Schiefertafeln verschwanden, der zentrale Ort blieb

Das Modell Schule stammt aus einer Zeit, als Informationsträger sehr teuer waren und aus Kostengründen mit Kreide auf eine Schiefertafel geschrieben werden musste. Die Schiefertafeln verschwanden, der zentrale Ort blieb. Und mit ihm seine Nachteile: Im Vergleich zum bequemen Lernen am eigenen Bildschirm mit relativ freier Zeiteinteilung ist die Situation einer Schule mit langem Schulweg, starren Zeiten (vgl. Frühes Aufstehen führt zu Dauer-Jetlag) und einer aggressions- und stressgeladenen Atmosphäre durchaus eine Strafe. Warum sie also nicht als solche einsetzen?

Wer in den regelmäßigen zentralen Prüfungen zu schlecht ist, könnte in einem E-Learning-Modell zur "Strafe" bis zur nächsten bestandenen Prüfung mit einer Schulpflicht belegt werden. Das würde Anreize für Bildung erzeugen, die sehr unmittelbar wirken. Je schlechter ein Schüler ist, desto länger müsste er in der Schule bleiben. Erreicht ein Schüler dagegen bei der Jahresprüfung die geforderte Punktzahl, dürfte er es im nächsten Jahr wieder ohne Schule probieren (vgl. Schule als Strafe).