Im Ramadan wird viel Geld an wohltätige Organisationen gespendet

Spenden für wohltätige Zwecke ist eine religiöse Pflicht für jeden Muslim, das Geld fließt aber auch zu radikalen Organisationen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Vor wenigen Tagen endete der muslimische Fastenmonat Ramadan mit dem Fest Eid ul-Ftir. 30 Tage lang hatten rund 1,2 Milliarden Muslime weltweit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Essen und Trinken verzichtet. Der Ramadan ist gewöhnlich der Monat, in dem es die meisten Anschläge gibt, in dem die besten Fernsehserien laufen, in dem die Lebensmittelhändler den höchsten Umsatz machen und das meiste Geld an wohltätige Organisationen gespendet wird, was natürlich den US-Sicherheitsbehörden besondere Kopfzerbrechen bereitet.

Am 18. September, eine Woche vor Beginn des Ramadan, durchsuchte das FBI das Hauptquartier von Life for Relief and Development in Detroit. Sie ist eine der größten islamischen Organisationen in den USA, die für humanitäre Zwecke Spenden sammelt und Büros im Irak, in Pakistan, Jordanien, Israel, Syrien und Sierra Leone unterhält. Nach eigenen Angaben hat „Life for Relief“ bisher insgesamt über 50 Millionen Dollar an 13 Millionen Hilfsbedürftige weitergeleitet. Das FBI beschlagnahmte zahlreiche Dokumente und Briefe, mit dem Verdacht auf kriminelle Aktivitäten. „Das Büro wurde weder geschlossen, noch Klage erhoben oder jemand verhaftet“, sagte Mohammed Alomari, der Sprecher von „Life for Relief“. „Sie suchten wohl nach finanziellen Informationen.“

Die Hausdurchsuchung durch das FBI ist ein Resultat von zahlreichen Maßnahmen, die die US-Behörden nach den Anschlägen vom 11. September trafen, um den Finanzfluss von islamischen, nicht-staatlichen Wohltätigkeitsorganisationen an „Terroristen“ zu unterbinden. Nach Angaben der CIA unterstützt ein Drittel aller islamischen NGOs, die jährlich Milliarden von Dollar als Spenden bekommen, „Terrorgruppen oder haben Angestellte, die im Verdacht stehen, terroristische Verbindungen zu haben“. 1994 seien von islamischen NGOs alleine rund 150 Millionen als Hilfe nach Bosnien überwiesen worden.

Bei den Ermittlungen der US-Behörden genügen oft nur Verdachtsmomente, um Organisationen zu schließen und deren Konten einzufrieren. So geschehen 2003 bei Interpal, einer der führenden islamischen Wohltätigkeitsorganisationen in Großbritannien. Die US-Regierung hatte behauptet, Interpal unterstütze terroristische Aktivitäten der Hamas in Palästina und habe Gelder der verbotenen dänischen Al-Aqsa-Stiftung erhalten. Beweise konnte Washington allerdings keine erbringen. Interpal durfte in Großbritannien wie gewohnt weiterarbeiten und auch für Palästina sammeln. „Life for Relief“ aus Detroit, die überraschenden Besuch von FBI-Agenten bekamen, sammelte ebenfalls Hilfsgelder für Palästina, was sie offensichtlich so verdächtig machte, wie die britische Organisation. Nur mit dem Unterschied, dass das FBI in Großbritannien keine Hausdurchsuchung durchführen konnte.

Spenden für wohltätige Zwecke ist eine religiöse Pflicht für jeden Muslim

„Zakat“ gehört neben dem täglichen fünfmaligen Gebet, der Pilgerfahrt nach Mekka, dem Glaubensbekenntnis und dem Fasten im Ramadan zu den fünf Säulen des Islams. Wörtlich bedeutet „Zakat“ eigentlich „reinigen“, indem man einen Teil seiner irdischen Besitztümer an die Armen und Mittellosen gibt. 2,5 Prozent von dem, was man erspart oder angelegt hat, soll gespendet werden. Wer selbst nicht errechnen kann, was er abzugeben hat, für den gibt es, selbst im Internet, zahlreiche Zakat-Kalkulatoren sowie FAQ-Kataloge. Wer sein Geld nicht direkt einem Bettler oder Bedürftigen geben will, wendet sich an eine der vielen islamischen Hilfsorganisationen, die weltweit operieren. Für diejenigen, die sich nicht entscheiden können, wem sie wie viel geben, gibt es sogar Zakat-Agenturen, die das Geld in einen humanitären Fonds einbezahlen oder an ausgewählte, gemeinnützige Stiftungen weiterleiten.

Bei 1,2 Milliarden Muslimen weltweit und der Popularisierung islamischer Religiosität der letzten Jahre sind es ungeheuere Summen, die den Besitzer wechseln. Alleine in Saudi-Arabien waren es nach Angaben der Tageszeitung Saudi Gazette 3 bis 4 Milliarden Dollar 2005, die an insgesamt 300 nationale NGOs gespendet wurden. Im Vergleich dazu klingen die 300 Millionen Dollar an Organisationen im Ausland relativ wenig. Für das Jahr 2006 wird jedoch ein signifikanter Spendenrückgang prognostiziert. Verantwortlich dafür sollen die neuen Regelungen der „Saud Arabian Monetary Agency“ (SAMA) sein, die entscheidet, welche Organisationen spendenwürdig sind. Dazu muss jede NGO ihr gesamtes Vermögen auf ein Bankkonto legen, von dem keine Barauszahlungen möglich sind. Sämtliche Informationen über einen Geldtransfer müssen registriert werden und bleiben 10 Jahre lang gespeichert. Fünf Jahre länger, als es die EU in ihrem Geldwäschegesetz vorschreibt. Wer gegen diese Richtlinien verstößt, riskiert wegen Geldwäsche eine Gefängnisstrafe bis zu 15 Jahren und eine Geldbuße von maximal 1,86 Millionen Dollar.

Saleh Al-Wohaiby , der Vorsitzende der „Assembly of Muslim Youth“ (WAMY), sprach Anfang Oktober in Riyadh von einer “Ermordung der Wohltätigkeitsarbeit”. Die strenge Überwachung und strikten Regelung beim Buchungsverfahren seien dafür verantwortlich: „Gerade kleine Organisationen können sich den großen Aufwand nicht leisten und verschwinden langsam.“ Die WAMY hätte zwar noch Büros in den USA, Kanada und Brasilien, werde sie aber, sofern sich der Spendenrückgang auch im Ramadan bestätigen sollte, schließen müssen. „Eines unserer Studentenaustauschprogramme mussten wir bereits aufgeben“, sagte Saleh Al-Wohaiby.

Der Geldfluss lässt sich kaum unterbinden

In Saudi-Arabien, das ein Zentrum radikaler Islamisten ist, wurden von der SAMA bisher 41 Konten mit rund 5,5 Millionen Dollar eingefroren. Die meisten aufgrund von Informationen aus den USA, für die die Golf-Region ein Spenden-Krisengebiet ist. Alleine aus Saudi-Arabien kamen bisher Jahr für Jahr 50 Prozent des Haushaltes der als terroristisch eingestuften Hamas. Rund fünf Millionen Dollar, die wohl auch trotz des neuen Geldwäschegesetzes weiter fließen werden.

Wie auch all die anderen Gelder, die an „aufständische Gruppen“ im Irak, an Märtyrer in Palästina, an die Hisbollah im Libanon, für Koranschulen in Kanada, Spanien, Nigeria oder Indonesien, wo ein wahabitischer Islam saudischer Prägung gelehrt wird. Werden bisherige Transferwege unmöglich, sucht man sich eben neue. Eine Binsenweisheit, mit der sich auch die Spezialabteilung des FBIs, „Terrorist Financing Operations Section“, nach jahrelanger akribischer Arbeit abfinden musste. „Ich mache mir keine Illusionen“, sagte Stuart Levely, beim US-Finanzministerium für Terrorismus zuständig, „dass das FBI den Geldfluss auf Null reduzierte.“ Nach wie vor bekomme die Hamas große Summen auch aus den USA.

Man muss tatsächlich kein Spezialist sein, um zu wissen, wie man Geld unentdeckt, außerhalb normaler Bankwege, transferiert. Bankautomaten gibt es auch im Nahen Osten, Kreditkarten funktionieren ebenso; man kann Kuriere schicken, die größere Summen aus Europa oder unverfänglichen eingestuften arabischen Ländern wie Jordanien nach Palästina, Irak oder Afghanistan bringen. Internet-Banking vereinfacht Transaktionen mit ein paar Mausklicks. Nicht zu vergessen das traditionelle „Hawala“ (Das Banksystem der Armen). Ein System, bei dem selbst große Summen auf Vertrauensbasis von Privatbankern, die in einem Lebensmittelgeschäft oder Elektroladen sitzen können, rund um die Welt verschicken. Tausende von pakistanischen oder philippinischen Gastarbeitern in Saudi-Arabien übermitteln so, Monat für Monat, Teil ihres Lohnes an die Familien in der Heimat. Indirekt kann auch über Investitionen in Bauvorhaben, Grundstücken oder Firmenbeteiligungen „Finanzmittel“ überwiesen werden.

Die Spender werden sich diese Mühe machen, schließlich geht es um ideologische Unterstützung, in ihren Augen, um den Kampf für eine bessere Welt. Ganz besonders im Falle von Palästina, denn Hamas und andere militante palästinensische Organisationen werden in der islamisch-arabischen Welt nicht als Terrorgruppen, sondern als Befreiungsbewegungen wahrgenommen. Nicht anders mit der libanesischen Hisbollah, die durch das „Zakat“ im Ramadan etliche Millionen für den Wiederaufbau nach dem Krieg mit Israel bekommen haben dürfte. Zahlen gibt es darüber nicht, jede Schätzung wäre eine Spekulation ins Blaue.

Die Unterstützung der „Aufständischen“ im Irak bringt dagegen aber konkrete Zahlen. Der Krieg ist ein Hauptfaktor für den international hohen Ölpreis, der den Staatshaushalt Saudi-Arabiens binnen weniger Jahre sanierte. 2006 sind 163 Milliarden Dollar an Gewinn für Saudi-Arabien aus Ölgeschäft prognostiziert, das 90 Prozent aller Exporterlöse des Landes ausmacht. Selbst wenn sich das saudische Königreich mit neuer Geldwäsche-Gesetzgebung ein sauberes Gesicht geben will, Korruption ist weit verbreitet und macht alles möglich.