Im Schattenhaus: Bei den Geistern der Vergangenheit
- Im Schattenhaus: Bei den Geistern der Vergangenheit
- Henker und Privatmann
- Drachen und Schattengewächse
- Gott kämpft mit den Faschisten
- Mit einem Vampir im Aufzug
- Vampire, Schlachtvieh und Konsumenten
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Mit Christopher Lee im Lande des spanischen Diktators, Teil 2
Teil 1: Dracula und die Faschisten: Mit Christopher Lee im Lande des spanischen Diktators
1974 veröffentlichte der Vatikan die Namen der beiden gefährlichsten Filmemacher Spaniens, damit die Gläubigen wussten, vor wem sie sich zu fürchten hatten. Die Unholde hießen Luis Buñuel und Jess Franco. Alles richtig gemacht, mag sich Pere Portabella dabei gedacht haben. In Spanien paktierte die katholische Kirche mit der Diktatur, und wer von ihr zum Feind erklärt wurde war ein potentieller Verbündeter. 1961 hatte Portabella Buñuels Skandalfim Viridiana produziert, und 1969 hatte er mit Cuadecuc Vampir parallel zu Jess Francos Nachts, wenn Dracula erwacht einen eigenen, subversiven Film gegen den Diktator gedreht, mit dem die Amtskirche in seinem Land im Bett lag.
Bei dieser Vorgeschichte braucht man sich nicht zu wundern, dass Portabella nach dem Tod des Generalísimo Francisco Franco die Gelegenheit ergriff und mit einem Kamerateam aufbrach, um das Bett des Diktators zu inspizieren. Das geschieht im Film Informe general, von dem Portabella sagt, dass er die Öffentlichkeit mit Meinungen und Informationen versorgen sollte, die in den Jahrzehnten der Franco-Diktatur von den Massenmedien völlig ferngehalten worden waren. In Informe general wird viel geredet, und zwischen den Diskussionsrunden gibt es Bilder, die mehr sagen als tausend Worte.
Von Buñuel stammt der berühmte Satz, dass er dem Zuschauer das Gefühl geben wolle, nicht in der besten aller möglichen Welten zu leben. Das könnte auch von Portabella sein. In Informe general zeigt er uns das Schlafzimmer des Diktators, der sich am liebsten Caudillo de España nennen ließ, Oberhaupt von Spanien. Irgendetwas stimmt da nicht. Es ist das Kruzifix über den Ehebetten. Dieses Kreuz ist nicht das Symbol des Christentums sondern einer politisch instrumentalisierten Religion, die der Macht diente und nicht der Nächstenliebe. In Portabellas avantgardistischen Vampirfilmen ist das Kruzifix denn auch nur Bühnenzauber und kein Schutz vor Monstern.
Abendessen beim Diktator
Ein paar Jahre vor Informe general war der Protzpalast des Caudillo für einen wie Portabella noch fest verschlossen. Aber Jonathan Harker in die Burg von Graf Dracula zu schicken, das ging, weil Jess Franco nichts dagegen hatte, dass Portabella die Dreharbeiten zu El conde Drácula (Nachts, wenn Dracula erwacht) mit der eigenen, von Manel Esteban bedienten Kamera begleitete. Im Roman von Bram Stoker wird Dracula im Lauf der Handlung immer jünger, vitalisiert durch frisches Blut. Im Film von Jess Franco ist das eines der werkgetreuen Elemente, die Harry Alan Towers, der Produzent, seinem Star Christopher Lee versprochen hatte, und somit auch in Cuadecuc.
Am Anfang sieht der Graf so alt aus wie Jess Francos Namensvetter, der Spanien regierte wie ein Feudalherr früherer Jahrhunderte. Der Caudillo feierte seinen 76. Geburtstag, als die beiden Filme gedreht wurden. Wie Dracula residierte er in einem Schloss. Das Essen war für ihn kein Vergnügen, weil er unter einem blutenden Magengeschwür litt (ein paar Jahre später wurde ihm der Magen entfernt). Wie das wohl gewesen wäre, ein Abendessen mit dem Diktator in seinem Palast? So wie in Cuadecuc vielleicht?
Abendessen beim Diktator (14 Bilder)
Harker sitzt an einer Tafel im Kaminzimmer und nimmt ein Nachtmahl ein. Mit am Tisch sitzt ein alter Mann und schaut ihm zu. Der Greis isst selber nichts, fletscht aber hin und wieder die Raubtierzähne, weil er ein Vampir ist. Seine Gefährlichkeit blitzt kurz auf, als ein Bild aus Harkers Brieftasche fällt. Beim Anblick der jungen Frau kann der Vampir seine Gier kaum zügeln. In Nachts, wenn Dracula erwacht ist es ein Photo; in Cuadecuc ein Bewegtbild in Form eines Medaillons. Soledad Miranda als Lucy wird auf die Kamera aufmerksam, lächelt und nickt uns freundlich zu.
Das dient wieder der Illusionsdurchbrechung. Zugleich macht es den Vampir monströser, weil wir keine zur Photographie erstarrte Lucy sehen, sondern eine sehr lebendige junge Frau. Dracula ist das Ungeheuer, das anderen das Leben aussaugt, um das eigene zu verlängern. Für viele Spanier dürfte das den Franquismus recht gut getroffen haben. Spanien war für sie ein graues Land mit einem Herrscher, der sich - metaphorisch gesprochen - vom Blut seiner Untertanen ernährte, parasitär in einem Schloss wohnte und offenbar nicht sterben wollte.
In den letzten Jahren seiner Regentschaft war Franco ein sehr alter und sehr kranker Mann. Seine Umgebung tat alles, um seinen Tod so lange wie irgend möglich hinauszuzögern, weil seine Anhänger Veränderungen fürchteten, die sich mit einem lebendigen Patriarchen besser abwehren ließen. Seine Diktatorenexistenz beendete er als lebender Leichnam. Obwohl keine Gehirnaktivitäten mehr feststellbar waren ließ man sich sehr viel Zeit, ihn für tot zu erklären. Die Beisetzung in der unterirdischen Basilika im Tal der Gefallenen, diesem riesigen Massengrab, war eigentlich kein schlechter Abschluss für ein Gespensterleben.
Totenkult
Nachdem Francisco Franco im November 1975 doch noch gestorben war setzte Portabella die Geschichte fort, mit Informe general. Erst nehmen wir die Grabplatte in der Gruselkirche im Valle de los Caídos in Augenschein und vergewissern uns, dass die Beisetzung des Diktators keine Illusion war. Dann nimmt uns der katalanische Schauspieler Francesc Lucchetti mit auf eine Besichtigungstour durch das Vampirschloss. Durch eine Parkanlage geht es zum Palast El Pardo, Francos Wohnsitz. Am Eingang wartet ein livrierter Diener, macht das Tor auf und zeigt Lucchetti, wie man zu den Gemächern des Verstorbenen kommt.
Der Palast ist menschenleer. Das kennt man von den Vampiren, jedenfalls bei Tag. In Stokers Roman streift Harker durch Draculas Schloss, ohne jemandem zu begegnen. Was er stattdessen findet ist ein Haufen Geld: Münzen aus aller Herren Länder, mit einer Staubschicht überzogen, als würden sie da schon länger herumliegen. Lucchetti stößt auf die Insignien der Macht und auf den Prunk, mit dem sich der Diktator in seiner Residenz umgab. Alles ist mit Repräsentationsmöbeln und anderem Zeug zugestellt, als habe der Mann an einem Horror vacui gelitten.
Totenkult (22 Bilder)
Irgendwo muss die im Bürgerkrieg erbeutete Raubkunst sein, mit der Franco den Palast ausstaffieren ließ. In beleuchteten Vitrinen sind Paradeuniformen ausgestellt, und auch das schon erwähnte Schlafzimmer dürfen wir besichtigen. Wie verbrachte er also die Nacht, der Generalísimo? In einem pompösen Ehebett, wie es scheint. Von der Operettenhaftigkeit darf man sich nicht täuschen lassen. Hier schlief ein Putschist und Kriegsverbrecher. Damit man das nicht vergisst besucht Portabella die Ruinenstadt Belchite. Der Ort war 1937 Schauplatz eines blutigen Häuserkampfes und wurde fast vollständig zerstört.
Auf Anordnung des Caudillo ließ man die Ruinen stehen, um an die Schlacht von Belchite zu erinnern. Allerdings sollte die zerstörte Stadt weniger zum Frieden mahnen als vielmehr ein Denkmal für die rund 7.000 Nationalisten sein, die den Ort bis zum letzten Mann verteidigten, was den Fortgang des Krieges zu Francos Gunsten beeinflusste. Der Faschismus feierte schon immer gern den Opfermut seiner Kämpfer, um andere zu motivieren, ebenfalls für irgendeinen Führer und eine pervertierte Idee vom Vaterland ihr Leben zu geben. Auch bei den Nazis, die halfen, Franco an die Macht zu bomben, stößt man dauernd auf diesen Totenkult.
Republikaner wie Nationalisten kämpften in Belchite mit äußerster Brutalität und Gnadenlosigkeit. Für Portabella ist das kein Ort, an dem man für eine der beiden Seiten Partei ergreift. In Belchite wird Informe general ein paar Minuten lang zum Horrorfilm. Es gibt weder Lucchetti noch sonst einen Menschen, der als Vermittler auftreten könnte. Wir sind allein mit der Kamera, die durch die Ruinen dieser Geisterstadt streift und mit der elektronischen Musik von Carles Santos, die klingt, als sei es dem Komponisten gelungen, das Seufzen der toten Seelen hörbar zu machen.
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