Im Schattenhaus: Bei den Geistern der Vergangenheit

Seite 4: Gott kämpft mit den Faschisten

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In einer nachgestellten Szene in Informe general dringt die Geheimpolizei in eine Wohnung ein, in der Franco-Gegner Flugblätter drucken. Das ist der Überfall eines Schlägertrupps, der andere Leute demütigen will. Mit Rechtsstaatlichkeit hat das wieder nichts zu tun. Über die Bilder von der Polizeibrutalität legt Portabella Texte mit einzelnen Artikeln aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Was wir sehen sind Verstöße gegen die dort niedergeschriebenen Prinzipien. Zu den Artikeln 5 (Verbot der Folter) und 10 (Anspruch auf rechtliches Gehör) wird gefoltert und geschlagen. Gehör findet man höchstens beim Chef der Geheimpolizisten.

Ein Text weist auf die internationalen Pakte über bürgerliche, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hin, die am 16. Dezember 1966 in zwei Resolutionen der Vollversammlung der Vereinten Nationen einstimmig verabschiedet wurden, auch von Spanien. Mit diesen beiden Pakten (abgekürzt: IPBPR und IPWSKR) stellte die UNO die Erklärung von 1948 auf eine neue rechtliche Basis, zumindest theoretisch. In der Praxis, im Spanien der Franco-Diktatur, wird der von Francesc Lucchetti gespielte Aktivist einer Vorform des Waterboarding unterzogen.

Gott kämpft mit den Faschisten (Informe general) (25 Bilder)

Informe general

In der nächsten Szene holt Lucchetti die Rollen mit Raza aus dem Archiv, dem 1940 von Francos Schwager gedrehten Propagandafilm. Raza, sagt Lucchetti, stehe exemplarisch für die neue spanische Gesellschaft, die nach dem mit Francos Sieg endenden Bürgerkrieg entstanden sei. Dann sehen wir eine von Portabella montierte Kurzfassung über den aufopferungsvollen Kampf der christlichen Familie, der katholischen Kirche, der uniformierten Gesellschaft und der ihren Feinden überlegenen Rasse gegen - so der Film - die Dekadenz der Volksfront und der Kommunisten, die Spaniens Traditionen zerstören und das Land in einen Abgrund an Barbarei führen würden, wenn da nicht der Faschismus wäre.

Nach dem Sieg der Faschisten über Demokratie und Republik küsst sich das durch die Kommunisten getrennte und nun wieder vereinte Liebespaar, bei Paraden wird ausgiebig marschiert, und schon die kleinen Kinder tragen Uniform, weil das der Aufbruch in eine neue Zeit ist, wie es bei den Nazis hieß, in Hitlerjunge Quex. Durch den Zusammenschnitt wird deutlich, warum sich Portabella nicht für konventionell erzählte Geschichten interessiert. Man muss andere, die geistige Aktivität des Publikums stimulierende Formen finden, um der gehirnerweichenden Kraft der Kinopropaganda zu begegnen.

Daneben muss man die Propaganda als solche entlarven wo man kann. In Umbracle schneidet Portabella Schlüsselszenen aus El frente infinito hintereinander, einem Bürgerkriegsdrama von Pedro Lazaga aus dem Jahr 1959, in dem das Hohelied auf den ewigen Marsch des Faschismus gegen die Mächte des Bösen gesungen wird. Am Anfang redet ein Offizier einem feigen Militärpfarrer ins Gewissen und macht ihm klar, dass das auch sein Krieg ist (in dem die Kommunisten mit Geschützen auf Krankenhäuser schießen). Dann erleben wir mit, wie die katholische Kirche in einer geschlossenen Schlachtreihe mit den Faschisten gegen die Republikaner kämpft, und wir erfahren, dass Gott auf Seiten Francos steht.

Gott kämpft mit den Faschisten (Umbracle) (24 Bilder)

Umbracle

Nachdem ihn - im Vertrauen auf Gott und den Franquismus zum Helden geworden - das Geschützfeuer der Republikaner nicht am Segnen der Hostie hindern konnte und die Guten zum Gegenangriff übergegangen sind greift sich Hochwürden das Gewehr eines gefallenen Soldaten. Das Kreuz wird politisch instrumentalisiert und so zu einer Waffe, die nicht das Heil, sondern den Tod und die Unterdrückung von Andersdenkenden bringt. Portabella kommentiert das mit Hilfe von Christopher Lee. In seiner Funktion als Franco-Ersatz macht Lee einen Ausflug auf einen Berg, in hochkontrastigen Bildern wie in Cuadecuc. Das könnte im Tal der Gefallenen sein oder in der Gegend, in der Lazaga den Bürgerkrieg inszenierte.

Lee setzt sich - mehr schemenhaftes Wesen aus einer Zwischenwelt denn Mensch aus Fleisch und Blut - auf einen Felsen, nimmt die Sonnenbrille ("Franco privat") ab und liest ein Buch. Die Vögel singen. Ein junger Mann in einer Mönchskutte kommt dazu. Der Mönch sieht Lee zuerst nur von hinten und erschrickt. Lee dreht sich um. Voller Angst rennt der Mönch davon. Lee blickt ihm nach und entdeckt die Bibel, die der Mann in seiner Angst fallengelassen hat. Er hebt sie auf, lächelt und legt sein eigenes Buch darüber: Bram Stokers Dracula. Bibel, Kreuz, Hostie und Weihwasser, die traditionellen Abwehrmittel des Christentums, heißt das, haben ihre Macht über den Vampir längst verloren.

Die katholische Kirche, sagt Umbracle, ist in einer Illusion gefangen, wenn sie glaubt, dass sie das Schreckgespenst, mit dem sie sich zur Erhaltung ihrer gesellschaftlichen Stellung, ihres Grundbesitzes und ihrer Privilegien ins Bett gelegt hat, lenken und kontrollieren kann. Dracula gibt den Ton an und nicht die kirchlichen Würdenträger, die sich an ihn verkauft haben. Im Nachhinein wirkt die Einstellung mit dem hämisch lächelnden Christopher Lee wie die vorweggenommene Reaktion auf Papst Paul VI., der im September 1975 an Francos Christentum appellierte und ihn bat, Txiqui und die anderen Verurteilten zu begnadigen. Der Diktator hörte gar nicht hin.

Nevermore

Einmal wendet sich Christopher Lee "direkt" an die Kamera (asynchron; mal von vorne, mal von hinten und mal von der Seite) und kündigt an, dass er jetzt für sich selbst sprechen und etwas tun werde, das nicht im Drehbuch steht und das der Regisseur nicht vorbereitet hat. Er werde ein Lied singen, weil er die Musik liebe und weil er ein Sänger sei und weil er das noch nie gemacht habe in einem Film. Dann bringt er auf einer Bühne eines leeren Theaters zwei Opernarien zu Gehör, aus Richard Wagners Der fliegende Holländer und aus Fausts Verdammnis von Hector Berlioz. Anschließend trägt er "The Raven" vor, das berühmte Gedicht von Edgar Allan Poe.

Man könnte meinen, dass Portabella Lee erlaubte, zwischendurch seinen Hobbys zu frönen, um den Star, der vermutlich ohne Gage mit ihm arbeitete, bei Laune zu halten. Da täuscht man sich. Umbracle ist sorgfältig durchdacht und konstruiert; nur eben anders als gewohnt. Die Lieddarbietungen folgen einem ästhetischen Konzept der Befreiung von gängigen Erzählschemata und der Rückkehr zum Kino der Attraktionen aus der Frühzeit der Kinematographie, als sich Filme noch an den Nummernrevuen der Varietés und der Vaudevilles orientierten, nicht an der Abgeschlossenheit bürgerlicher Kunstformen.

Nevermore (19 Bilder)

Umbracle

Vor der Gedichtrezitation erklärt uns Lee, was er an "The Raven" (Der Rabe) für so bemerkenswert hält. Ein Mann hört ein Klopfen am Fenster, öffnet es und herein stolziert ein Rabe, der sich auf einer Büste im Zimmer des Mannes niederlässt. Der Mann beginnt, mit dem Vogel zu reden und merkt, dass der Rabe nur ein Wort sagen kann: "Nevermore". Dieses Wort lässt den Mann immer verzweifelter werden. Ganz egal, welche für ihn sehr wichtige Fragen er stellt, über seine verlorene Liebe, über sein Leben, über seine Zukunft, der Rabe antwortet immer nur mit "Nevermore".

Er wisse von keinem anderen Gedicht, sagt Lee, in keiner der ihm bekannten Sprachen - nach deutsch (Wagner) und französisch (Berlioz) sind wir jetzt bei englisch -, wo sich das gesamte Werk um ein einziges Wort drehe: "Nevermore". Man sitzt einsam in einem Zimmer und begreift mit zunehmender Hysterie, dass der Todesvogel, mit dem man konfrontiert ist, auf alle für einen selbst existentiellen Fragen nur eine Antwort kennt: Nein. Nimmermehr. Nie wieder. Das ist doch eigentlich eine sehr zutreffende Beschreibung der Gefühlslage vieler Spanier, die sich in ihrem Land wie in einem Gefängnis fühlten und mit wachsender Verzweiflung darauf warteten, dass der zu allem Nein sagende Diktator endlich sterben möge.

Am Schluss kommt Portabella sogar ein Missverständnis zugute, wie zur Bestätigung der von ihm gewählten Vorgehensweise. Nach seiner Einführung weist Lee darauf hin, dass die Kamera weiter läuft, obwohl abgesprochen war, die Gedichtrezitation in einem eigenen Take zu drehen. "Cut! Cut!", ruft Portabella. Schnitt. Lee trägt das (gekürzte) Gedicht vor. Jetzt ist aber zu wenig Film in der Kamera, weil sie zuvor zu lange weitergelaufen ist. Das letzte "Nevermore" des Gedichts gibt es nur auf der Tonspur, nicht im Bild. Also wird eine neue Filmrolle eingelegt.

Lee wiederholt das letzte Wort des Gedichts und das einzige Wort, das für den greisen, zu seinem eigenen Standbild erstarrten und jeden (politischen) Fortschritt ablehnenden Diktator relevant war. Nur dieses eine Wort: "Nevermore". Besser hätte man die Negativität des Franco-Regimes nicht herausstellen können. Bevor die alte Filmrolle zu Ende war haben wir noch von den dämonischen Augen des Raben gehört, der auf der Büste sitzt wie auf einem Thron und seinen Schatten auf die Seele des Erzählers wirft. Jetzt starrt Christopher Lee in die Kamera. Mehr als eine halbe Minute lang, ohne ein einziges Mal zu blinzeln. Gruselig. In diesem Zimmer mit dem Raben will man ganz bestimmt nicht sein.

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