Im Schattenhaus: Bei den Geistern der Vergangenheit
Seite 2: Henker und Privatmann
In Belchite führt Portabella fort, was er (mit Hilfe von Jess Franco) in Cuadecuc begonnen hat. Vom Vampir magisch angezogen, schlafwandelt Lucy dort durch das Gotische Viertel von Barcelona. Mina folgt ihr. Jess Franco - in seiner Rolle als Faktotum im Irrenhaus - bekreuzigt sich. In Nachts, wenn Dracula erwacht ist das recht atmosphärisch. In Cuadecuc ist es gespenstisch. Wir sind im Reich der Phantome (Jess Franco und seine Filmcrew inklusive). Es ist, als wären wir in eine andere Dimension geraten, und doch bleiben wir immer im Spanien des Diktators - in einem Land, in dem die Zeit stehengeblieben schien, seit der Caudillo an der Macht war.
Dracula ist der Untote, der seinen Opfern erst den freien Willen raubt, um sie dann auszusaugen. Nachdem er seinen Durst gestillt hat bettet er sich zur Ruhe. Lee steigt, ein wenig Kunstblut an den Lippen, in den Sarkophag mit "seinem" Namen (Dracula) und wird mit künstlichen Spinnweben überzogen. Dann macht jemand den Deckel zu. Wenn man das gedanklich mit dem Schlafzimmer im Pardo-Palast verbindet erhält man die zwei Seiten einer Doppelgängerexistenz. Auf der einen, der Tagseite, gibt es den würdevollen Patriarchen und den Chef eines Staates, der in die EU will (bestimmt kommt täglich die Putzkolonne, um im Palast Staub und Spinnweben zu entfernen).
Henker und Privatmann (23 Bilder)
Auf der Nachtseite treibt das Monster aus der Gruft des Horrorfilms sein Unwesen. Bevor Lee in den Sarkophag steigt greift er plötzlich nach der Kamera wie nach einem lästigen Insekt. Zugleich ist er der nette Opa, der für uns Kinder den Vampir spielt. In einer Drehpause geht er zu Vogelgezwitscher durch den Wald, winkt der Kamera freundlich zu und nimmt die Sonnenbrille für uns ab. Solche Momente, in denen gegen die Sehgewohnheiten verstoßen und die stillschweigende Übereinkunft aufgehoben wird, dass die Schauspieler von der Existenz der Kamera und des Publikums nichts wissen, gehören zu den beunruhigendsten des Films.
Eigentlich ist nichts Bedrohliches daran, wenn wir Christopher Lee als ihn selbst sehen, nicht als Graf Dracula. Unheimlich ist es trotzdem. Hier zahlt sich Portabellas Strategie aus, die Grenzen zwischen Schauspieler und Rolle zu verwischen, zwischen Spielfilm und dokumentarischem Making of. Wenn Christopher Lee lacht und in die Kamera winkt, schreibt Rosalind Galt in einem lesenswerten Text über die Barcelona-Schule, dann sei das wie eine dieser Wochenschau-Aufnahmen von Diktatoren, die sich daheim entspannen und den jovialen Patriarchen herauskehren, obwohl sie Henker sind.
Galt beschreibt ein Paradoxon: Durch die Filmaufnahmen vom Diktator privat wird die politische Gewalt unsichtbar gemacht, und sie scheint umso stärker durch, je unsichtbarer sie geworden ist. Ob das auch gilt, wenn deutsche TV-Historiker Hitler auf dem Obersalzberg zeigen, um Geschichte als Tütensuppe aufzubereiten, weiß ich nicht genau. Bei Portabella klappt es gut. Das hat damit zu tun, dass die Gewalt, ob sichtbar oder unsichtbar, aus den genreüblichen Zusammenhängen des Horrorfilms gelöst und deshalb frei anschließbar ist.
Beim Vampirfilm lässt sich trefflich darüber diskutieren, was die Pfählung zu bedeuten hat. Schlägt das Patriarchat zurück, indem es einen phallischen Pflock in den Körper der Frauen rammt, deren Sexualität durch Draculas Biss erwacht ist? Fragen wie diese laufen bei Cuadecuc ins Leere, weil die Gewalt nicht als die Trägerin bestimmter Botschaften fungiert. Die Gewalt ist die Botschaft. Draculas Schatten legt sich auf eine Gesellschaft, in der niemand sicher ist. Einmal steht Dracula in seinem Schloss. Harker liegt neben ihm auf dem Boden und ist ihm schutzlos ausgeliefert. Das ist das Bild dafür.
Tod den Vampiren
Soledad Miranda schreitet als Vampirin durch die Nacht, als würde sie den Boden kaum berühren, dreht sich um und lächelt uns an. Für Fans der als Kultfigur verehrten Soledad ist Cuadecuc ein Muss. Lounge-Musik umschmeichelt eine Schminkszene, aber das ist nur die Vorbereitung auf die Pfählung, vorgenommen von drei Männern an einer Frau hinter Gittern. Jack Taylor als Lucys Verlobter inspiziert fast zärtlich den Sarg, bevor er die zierliche Soledad hineinhebt. Dann kommt Herbert Lom mit Pfahl und Hammer. Alles nur gespielt, könnte man sich erleichtert sagen, wenn Cuadecuc nicht ein Film der harten Kontraste wäre.
Hier ist es der Kontrast zwischen Schminken und Zuschlagen, zwischen Zärtlichkeit und Brutalität, zwischen Lounge-Musik und Synthesizer-Hämmern, der das Pfählen nur noch schlimmer macht. Nach Van Helsing tritt der Verlobte an den Sarg, um Lucy mit einem Spaten die Kehle zu durchtrennen. Die Männer sehen erschöpft aus, nach vollbrachter Tat. Ob sich so die Folterknechte fühlen, die in Umbracle den Mann auf dem Gehsteig in ein Auto zerren? Ohne Dialoge kann keiner über die Pflichterfüllung reden, über die Abwehr von Gefahren, den Dienst am Vaterland. Die üblichen Begründungen fallen weg. Was bleibt, ist die Gewalt.
Tod den Vampiren (1) (22 Bilder)
Lucys zweiter Tod, dieses Mal als Vampirin, wird mit Friedhofsbildern eingeleitet, mit Grabsteinen für die Verstorbenen. Wenn Van Helsing und seine Helfer ihre Arbeit getan haben sieht man Grashalme am Rande eines Feldwegs. Vielleicht wächst das Gras auf einem der Massengräber aus der Zeit des Bürgerkriegs, die bis heute nicht geöffnet sind. Die Opfer zu bergen, zu identifizieren und ordentlich zu bestatten, damit die Angehörigen wenigstens einen Platz haben, an dem sie trauern und sich erinnern können, ist eine alte Forderung, die lange ignoriert wurde. Im neuen Jahrtausend ging man die Aufgabe endlich an, meistens auf Initiative von Privatleuten. Das offizielle Spanien bleibt sehr zögerlich.
Vollends zum surrealen Albtraum wird die Pfählung von Draculas Bräuten. Die Mischung aus Vampirdrama und "Behind the scenes" distanziert nicht, sie betont den industriellen und geschäftsmäßigen Charakter des Geschehens. Carles Santos liefert retardierende Klangeffekte dazu, die sich anhören, als sei noch vor dem ersten ganzen Ton die Platte hängen geblieben. Man fühlt sich als Gefangener einer Endlosschleife, was das Fluchtbedürfnis nur verstärkt. Maria Rohm steht in ihrem Produzentengattinnenoutfit dabei, als hätte sie sich von einer Schickeriasendung des Boulevardfernsehens hierher verirrt. Das macht die Seh- und Hörerfahrung nicht angenehmer.
Tod den Vampiren (2) (30 Bilder)
Wenn das Ganze vorbei ist nimmt Christopher Lee die Kontaktlinsen heraus und hält die Vampiraugen (bei Jess Franco sind sie rot) grinsend in die Kamera. Das ist einer der Buñuel-Momente in Cuadecuc (man vergleiche das zerschnittene Auge in Der andalusische Hund). Einen anderen, den Buñuel’schen Schuh-Fetischismus, bescheren uns Maria Rohm und eine der Vampirinnen. Die Braut ist bei der Pfählung barfuss, schlüpft auf dem Weg zum Sarg aber rasch in ein Paar Pumps, ehe Rohm autoerotisch ihre Glitzerbeine streichelt und uns die Kamera die Schuhe zeigt, in denen diese stecken.
Cuadecuc endet mit den beiden einzigen Takes mit Direktton. Christopher Lee sitzt in einer Garderobe und wundert sich darüber, wie kurz Draculas Tod in Bram Stokers Roman abgehandelt wird. Dann liest er vor, wie die Vampirjäger den Grafen zur Strecke bringen. "Cut!" ruft Portabella im Off und der Film ist aus. Das ist der ziemlich unverhohlene Wunsch, dass der Diktator endlich sterben möge. Fünf Jahre später, 1975, war es soweit und Portabella konnte mit der Arbeit an Informe general beginnen, seiner Bestandsaufnahme aus einer Zwischenwelt: einer Reflektion über Spanien zwischen Franco-Diktatur und Demokratie.
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