Improvisation mit Bomben

Ein Künstler-Blogger aus Beirut leistet mit Bildern, Musik und Kommentaren "Widerstand"

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Das Web bietet die Möglichkeit, auch im Krieg, sofern die Kommunikation nicht unterbunden wird, Informationen, persönliche Berichte, Überlegungen, Meinungen und Gefühle zu publizieren und zu lesen, aber auch miteinander in Kontakt zu treten und über die Lage zu diskutieren. Das kann in zuvor nicht möglicher Weise nicht nur den Horizont derjenigen erweitern, deren Länder am Konflikt direkt beteiligt sind, sondern eröffnet auch den Menschen auf der ganzen Welt einen direkteren und schnellen, nicht über Massenmedien geregelten Zugang zu den Menschen vor Ort und dem Konflikt. Bei dem Krieg zwischen der israelischen Armee und der Hisbollah sind mit Israel und dem Libanon Länder beteiligt, in denen im Unterschied etwa zu Afghanistan und Irak viele Menschen einen Internetzugang besitzen. Über die Fronten hinweg, die auf der individuellen Ebene oft anders verlaufen als auf der politisch-militärischen, findet bereits ein reger Austausch zwischen Bloggern und anderen Internetnutzern statt (Der etwas andere Dialog über den Krieg im Libanon).

Bild: Mazen Kerbaj

Aus Beirut, das von der israelischen Luftwaffe bombardiert wird, berichtet der 31-jährige Mazen Kerbaj, ein Comic-Zeichner und Musiker, der auch eine Website besitzt. Angeblich hat er seinen Blog, den er schon zwei Jahre angemeldet, aber seitdem nie benutzt hatte, erst mit den Angriffen begonnen. Mazen versichert, er habe sich aus den Konflikten der Region heraushalten wollen und mache keinen politischen Blog. Seine ersten Worte am 14. Juli:

i'll begin then by thanking israel who burned in one night two years of efforts to avoid getting myself trapped in this adventure. good job guys! especially the airport party. and the bridges. no way to leave the country. nothing else to do than this blog. after all, we all need sometimes a valid reason to start to work, and a good old war soundscape is ok as a starting point.

Mazen versucht es mit böser Ironie, um damit fertig zu werden, nun zum möglichen Ziel von Luftangriffen geworden zu sein und nichts dagegen machen zu können, zumal auch die Fluchtmöglichkeiten beschnitten werden. Mazen versucht seine Angst und Wut in Bildern zum Ausdruck zu bringen und diese seltsame Situation zu bewältigen, plötzlich in einem Krieg gefangen zu sein. Eigentlich sollte er auf eine Tour in die USA gehen. Aber wie könnte er in ein sicheres Land abhauen, so überlegt er, während der Libanon brennt? Die Bomben kommen inzwischen näher. Es ist die Nacht vom 15. auf den 16. Juli:

every 15 minutes, a new attack. one or two bombs only each time. just enough to keep you up the whole night. these guys are real artists. a fucking huge bomb just arrived while i am writing. how to describe this fucking feeling with words? so yeah, the israeli pilots are real artists. they know how to keep their audience attentive. they never give you time to fall asleep; each time you feel the action is slow, they bring in some new emotional material to get you in again.

"in the bad times, like in the good times, raed and i are chatting in a café: "art / music / war / trumpet / beer / recording / massacre / double-bass / dance / exodus / sound / destruction / laughs / drawing / death / blood / tyr / coffee". it's weird, there is words we are not used to use. Bild: Mazen Kerbaj

Dann hat Mazen eine Idee. Er ist Künstler. Und Bomben sind nicht nur ein beeindruckendes visuelles Spektakel, sondern auch ein auditives. Vielleicht ist die Explosion, die man nur hört, wenn eine Bombe auftrifft, und sich zwangsweise vorstellt, welche Zerstörung sie anrichtet, noch unheimlicher. Mazen überlegt, wie man den Sound der Bomben in eine Comic-Zeichnung aufnehmen könnte. Er setzt sich auf den Balkon und improvisiert zum Geräusch der Bomben auf der Trompete. Es ist kein wirklich gelungenes, aber doch ein beeindruckendes Stück, dem er den Titel "Sternklare Nacht" gibt und so beschreibt: "mazen kerbaj/trumpet vs the israeli goverment/bombs". Eine Session mit oder gegen die Bomben

Manchmal kann auch die Stille beunruhigend sein, wenn man weiß, dass nichts zu Ende ist und es jederzeit weiter gehen kann:

it's 2 am
there's no electricity
there is no internet
there is no news
and we cannot hear the bombs falling on Beirut
and we're cut from everything?

"silence here is more frightening than the most frightening bomb. Bild: Mazen Kerbaj

Mazen regt sich auf, dass Israel das Recht auf Selbstverteidigung für die Angriffe in Anspruch nimmt - und dass Bush dies bekräftigt. In seiner Verzweiflung wird er zynisch und sarkastisch, wenn er nicht zeichnet und Musik macht. Aber er erhält auch viele Emails, steht in Kontakt mit der Welt, lernt andere Blogger kennen. Und macht eine Zeichnung: "We resist." Was gemeint ist, liegt bei ihm auf der Hand. Er will sich durch die Bombardierung nicht klein kriegen lassen, er will nicht fliehen, mit seinem Stift will er dokumentieren und sich Mut machen. Aber das verstehen offenbar viele in Israel anders. Mazen ist entrüstet:

Bild: Mazen Kerbaj

Aber er fordert die israelischen Menschen, die ihn unterstützen oder verstehen, auf, ihm weiterhin zu schreiben oder Kommentare zu schicken. Mazen will in Beirut bleiben und mit dem Stift Widerstand leisten. Er zeichnet und schreibt den Alltag, in dem jederzeit der Tod drohen kann. Der Alltag ist zum Ausnahmezustand angesichts dessen geworden, was nun mehr und mehr als "exzessive Gewalt" kritisieren. Mazen ist nicht politisch, er ist kein Hisbollah-Anhänger, eigentlich ist er ein Kosmopolit, der in einen Konflikt wieder Willen gefangen genommen wird, weil er dort lebt, wo er lebt. Er ist stellvertretend für die Mehrzahl der Menschen, die keinen Krieg wollen, aber in ihn hineingezogen, sein Opfer werden. Mazen kann sich ausdrücken, sprachlich, bildlich, musikalisch. Sein Blog ist für das Internetzeitalter, was vielleicht Picassos Guernica war, aber die Welt kann nun fast gleichzeitig erfahren, wie es den Menschen ergeht, die keiner Konfliktpartei angehören. Wenn er nicht da bliebe, würde eine Stimme fehlen, denn nur das, was mitgeteilt wird und irgendwie authentisch - im Unterschied zu den offiziellen Verlautbarungen der Regierungen und Konfliktparteien, aber auch zu den Berichten der distanzierten Medienvertreter - ist, kann vielleicht etwas verändern oder bewegen.

Im Augenblick steht der Nahost-Konflikt, der Krieg zwischen Hisbollah und Israel, in den Schlagzeilen und verdrängt die vielen anderen Konflikte, in denen ebenfalls Menschen sterben, verletzt werden, in denen sie Angst haben und leiden müssen, aus der globalen Aufmerksamkeit. Die Selektion ist mindestens ebenso brutal wie die Ereignisse selbst. Mazen findet jetzt Gehör, viele haben gar nicht die Möglichkeit, sich an ein globales Publikum zu wenden, oder ihre Stimmen verhallen in der Leere. So schreibt ein Blogger aus Simbabwe:

You see it has become apparent that Zimbabweans are on the opposite end of the global totem pole than the Israelis. How else are supposed to process the reality that: it has taken the death of less than 50 Israelis (in this latest episode of longranging dispute) to garner global media attention and bring diplomatic initiatives around the globe to a virtual standstill.

Less than 50 deaths, and every major media outlet across the USA and Western Europe has been fixated on the crisis. ….

Hundreds were killed during Operation Murambatsvina. Over three thousand people are dying in Zimbabwe every week. Where is our global spotlight? Where's our Charlie Gibson, Washington Post,BBC, AFP, or carnival in the blogosphere?

Some lives have more intrinsic value than other lives--I guess.

Zurück zu Mazen, der durch seine Bilder und seine Idee einer musikalischen Improvisation prominent im In- und Ausland wurde. Er weiß es zu schätzen, aber da dies dank eines Krieges passiert, an dem er "gewinnt", zumindest an Aufmerksamkeit, bleibt er skeptisch. Das zeichnet ihn aus.

the thing is that today i feel a sort of responsibility, and it is like i have to make my voice heard to continue the job i am already doing on the blog. i am doing it and will still do it. but it put me in the position of a sort of hero defending the lebanese citizens with my art, while the sad reality is that i can do nothing to even protect myself. people are dying under the bombs and i am giving interviews!!! anyways, i'll continue drawing, fraking out, playing music and blogging (i hate this word) until i find something more intelligent/helpful to do.