Imran Khans politisches Schicksal: Aufstieg und Fall eines Hoffnungsträgers
Imran Khans Weg vom gefeierten Premierminister zum Gefangenen zeichnet ein turbulentes Bild von Pakistan. Sein Fall wirft Fragen über Demokratie und Machtspiele auf.
Knapp 130 Millionen Wähler sind heute aufgerufen, ihre Stimme abzugeben – in Pakistan sind immer große Zahlen im Spiel. Auch militärisch ist es ein Riese, es brüstet sich, die größte Armee aller muslimischen Nationen zu besitzen und als einzige Atomwaffen.
Diese geballte Macht lastet auf dem drittärmsten Volk Asiens (HDI-Index, nur Afghanistan und Jemen sind ärmer) und sorgt seit der Staatsgründung für Ärger.
In diesen Staat hat die Armee ihren eigenen eingepflanzt, hier ist der Tiefe Staat kein Hirngespinst, sondern äußerst real. Deshalb sind "Demokratie" und "Wahlen" so dehnbar. Womöglich kann der Tiefe Staat gar nicht mehr entfernt werden, ohne den anderen zu zerstören.
Die meiste Zeit haben der wichtigste Verbündete der Armee (nicht Pakistans), die USA, diese Entwicklung begünstigt, oft auch forciert.
Die pakistanische Armee und die USA
Sie war schon sehr von Nutzen für die USA, die Armee Pakistans. Fast alle zivilen Politiker, auch diejenigen, die jetzt wieder an den Start gehen, haben sich an der Armee abgearbeitet und sind gescheitert. Sie respektieren nun die von der Armee gesetzten Spielregeln. Vorerst … man ist in Pakistan.
Der Letzte, der Schiffsbruch erlitt, war der früher so hochgelobte Imran Khan. Dieser sitzt seit August letzten Jahres hinter Gittern, seine Partei nur noch ein Schatten ihrer selbst. Wenn er eins hat, kann er die Wahlen auf dem Handy mitverfolgen. Man fragt sich: Wie scheiterte Imran Khan?
Haben die USA Imran Khan gestürzt?
Die Intention dieses Artikels ist es, die These oder Verschwörungstheorie zu widerlegen, Imran Khan, der frühere Premierminister Pakistans, sei nicht an den Umständen seines Landes und an sich selbst gescheitert, sondern von den US-Amerikanern gestürzt worden.
Die Antwort ist ein klares Nein, das geben die bis jetzt angeführten Beweise nicht her.
Historisch erwiesen ist eine Kette US-amerikanischer Manipulationsversuche (und umgekehrt) und es wird mit hoher Sicherheit noch einiges folgen, doch die Absetzung Imran Khans gehört nicht dazu. Sie war für örtliche Verhältnisse sogar ziemlich legal.
Diese Feststellung ist besonders für Pakistan wichtig, denn obwohl vorerst eine Zukunft ohne die USA nicht vorstellbar ist, korrodieren Verschwörungstheorien und Antiamerikanismus Politik und Gesellschaft.
Pakistan braucht den USA keine falschen Vorwürfe zu machen, es gibt berechtigte genug. Die werden durch falsche nur entwertet. Zum Fortschritt Pakistans gehört endlich damit aufzuhören, alles Versagen und Übel immer nur auf die US-Amerikaner abzuwälzen.
Aufstieg und Fall Imran Khans
Imran Khan profitierte wie kein anderer vom Niedergang Nawaz Sharifs, seines größten politischen Konkurrenten. Dieser begann seine Karriere als Zögling des Establishment, wie man das Netzwerk um das Militär und seine Geheimdienste in Pakistan nennt.
Das änderte sich als er 1999 während seiner zweiten Amtszeit von einem General gestürzt wurde und beinahe an den Galgen kam. Im April 2016 begann in seiner dritten Amtszeit der Skandal um die Panama Papers, ihn und seine Tochter Maryam in den Abgrund zu ziehen.
Das Establishment nutzte die Chance, einen unsicheren Kantonisten kaltzustellen, Sharif musste auch diese Amtszeit verfrüht beenden und wanderte mit der Tochter ins Gefängnis. Als zivile Fassade kam nur noch ein Politiker infrage: Imran Khan.
Dieser gewann die nächsten Wahlen und wurde am 18. August 2018 zum Premierminister ernannt. Die Euphorie hielt nicht lange, zur typischen Tendenz der Politiker, im Angesicht der gewaltigen Probleme zu versagen, kam Pech in Form von Corona. Wirtschaftskrise und galoppierende Inflation, die bis heute andauern, nahmen ihren Anfang.
Gegen Ende 2021 hatte Khan den meisten Kredit beim Volk verspielt.
Legal vorzeitig abgesetzt
Seine Gegner rauften sich zusammen, mit einem Ziel: Khan zu entmachten. Das gelang ihnen, mit demokratischen Mitteln, ohne Hilfe des Establishment – oder sonst wem. Kein Premier Pakistans hat je seine volle Amtszeit abgedient.
Und keiner wurde bis dato legal so einwandfrei vorzeitig abgesetzt wie Khan. Die Niederlage konnte er nicht verwinden, in seiner Wut attackiert er nicht nur politische Gegner, sondern auch seine eigentlichen Gönner vom Establishment.
Den ersten Volley gegen sie feuerte er noch, ohne es richtig zu wollen – den Cipher, ein angeblich äußerst wichtiges Dokument. Genaueres mehr weiter unten.
Mit voller Wucht gegen das Establishment
Khan behauptet anhand dieses Dokuments, eine ausländische Verschwörung sei im Gange. Damit wirft er Armee und ISI automatisch Unfähigkeit oder Mittäterschaft vor. Seine unüberbrückbare Feindschaft zu Sharif ist ausschließlich persönlich, sie entstand aus gekränktem Ego und Rachsucht. Aus dem gleichen Grund verbeißt er sich nun ins Establishment, die Hand, die seinen Aufstieg möglich machte.
Khan feindet es in einem Ausmaß an, wie es noch nie jemand öffentlich wagte. Er polarisiert und eskaliert, setzt seine Gegner unter immer größeren Druck. Die – zivil und in Uniform – müssen reagieren, um nicht das Gesicht völlig zu verlieren. Allen ist klar, was das bedeutet.
Im März 2023 widersetzt er sich in wilden Straßenschlachten um seine Residenz in Lahore mehrfach seiner Verhaftung. Am 9. Mai greift der Staat zu. Seine Anhänger attackieren selbst Einrichtungen der Armee, nie dagewesene Vorgänge. Das ist der Rubikon, es gibt keinen Weg zurück. Das Establishment greift durch und zeigt, wer Herr im Hause ist.
Die PTI wird gerupft, viele Mitglieder fliehen in Panik. Sie bleibt bestehen, doch nur als Fassade. Die anderen Parteien solidarisieren sich nicht mit Khan und der PTI, obwohl sie alle schlechte Erfahrungen mit dem Establishment gemacht haben.
Doch dieser hat auch die zivile Gesellschaft fast unversöhnlich gespalten, außerhalb der PTI hat niemand mehr Sympathie für Khan.
Khan und die Ukraine-Krise
Als Khan Premier wurde, machte man sich bei der CIA wenig Gedanken, Wichtiges besprach man mit der Armee. Während Corona wurde es relativ still, jeder hatte mehr als genug eigene Sorgen. Als gegen 2021 die Stimmung gegen Khan zu kippen begann, war man in Washington hauptsächlich mit der beginnenden Ukraine-Krise befasst.
Die US-Amerikaner und ihre Verbündeten waren verständlicherweise nicht erfreut, als wenige Stunden nach der russischen Invasion Khan im Kreml erschien und im Blitzlichtgewitter die Hand Wladimir Putins schüttelte.
Vergessen wird oft, dass dies ein Zufall war, der Besuch Khans war lange vorher vereinbart worden. Die USA und andere versuchten Khan zu einer Verurteilung Russlands zu drängen.
In welchem Maß oder wie wichtig ihnen das war, kann so nicht beurteilt werden. Pakistans Rolle sollte nicht überbewertet werden, seine Beziehungen zu Russland sind viel zu geringfügig, um eine Bedeutung zu haben.
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Mehr Sorgen machte dem Westen eindeutig Indiens Haltung, das sich nicht nur wie Pakistan und weitere 33 Länder in der UN Vollversammlung der Stimme enthielt, sondern am 27. Februar 2022 als temporäres Mitglied auch im UN-Sicherheitsrat.
Khan führte mittlerweile seine Amtsgeschäfte öffentlich, während seiner zahllosen Reden. In einer empörte er sich auf seine polarisierende und aggressive Art, mit der er auch im Inland immer heftiger aneckte, über den Druck der EU.
Es kann durchaus sein, dass vor allem der Ton dieser Reden einen Einfluss darauf hatte, was Donald Lu, Assistant Secretary of State for South and Central Asian Affairs, an diesem berühmt-berüchtigten 7. März 2023 beim Abschiedsessen für den pakistanischen Botschafter Asad Majeed Khan zu sagen hatte.
Das Treffen fand in Pakistans Botschaft in Washington statt. Das Protokoll – man muss annehmen, dass die Amerikaner über den Vorgang informiert waren – wurde als verschlüsseltes Geheimdokument nach Islamabad geschickt.
Am 27. März streckte Imran Khan den Cipher in den Nachthimmel über Islamabad und nannte es "den Beweis für eine ausländische Verschwörung".
Was belegt einen US-amerikanischen Umsturzversuch?
Washington wies Khans Vorwürfe entschieden zurück. Am 31. März tagte Pakistans Nationaler Sicherheitsrat und nannte Donald Lus Gebaren eine "... unverhohlene Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Nation" und übermittelte eine Protestnote an die US-Botschaft in Islamabad.
Am 22. April tagte der Nationale Sicherheitsrat wieder und nannte den Cipher keinen Beweis für eine ausländische Verschwörung.
Interessanterweise kam gleichzeitig ans Licht, dass Khans Mitarbeiter ihm das Protokoll zunächst vorenthielten – man würde gerne wissen, warum. Gefährlich wurde für Khan die Frage, ob er womöglich Geheimnisverrat begangen hatte (am 30. Januar 2024 wurde er deswegen in einem dubiosen Prozess hinter Gittern zu weiteren zehn Jahren Haft verurteilt).
Cipher: Die Enthüllung durch The Intercept
Am 9. August 2023, etwas mehr 16 Monate nach der verhängnisvollen Nacht auf dem Parade Ground in Islamabad publizierte das unabhängige amerikanische Netznachrichtenmagazin The Intercept den Cipher in voller Länge.
Kurz zusammengefasst (und mangelhaft zitiert): Under Secretary Donald Lu bringt das Missfallen von US-Amerikaner und Europäern in Bezug auf Pakistans "aggressiver Neutralität" gegenüber der Ukraine zum Ausdruck. Dann sinniert er, in Washington würde alles vergessen, falls das Misstrauensvotum Erfolg hätte.
Pakistan macht sich Sorgen, Afghanistan könnte bei den Supermächten vom Schirm verschwinden. Und spielt mehrfach auf Indien an, das einerseits bessere Verbindungen zu den USA besitzt, aber weniger für seine enge Beziehung zu Russland getadelt wird.
Am Ende wundert sich Majeed, warum Khans Moskau-Besuch für so viel Wirbel sorgte, wenn sich Washington doch nicht für Pakistans Position interessiert. Und wie viele Male davor fühlt sich Pakistan vernachlässigt und für seine den USA erwiesenen Dienste nicht ausreichend honoriert. Mehr steht in dem allgemein zugänglichen Dokument nicht drin.
Belegt dies einen Versuch der USA, Imran Khan zu stürzen?
Die Drohung
Im Vergleich zu Amerikas extremstem Eingriff in die Politik Pakistans ist der Cipher nicht einmal eine Lappalie. Kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde General Musharraf aufgefordert, im war on terror für oder gegen die USA zu entscheiden – mit allen Konsequenzen. Musharraf hatte nur wenige Stunden, um in dieser existenziellen Frage abzuwägen.
Lu sagte im Prinzip nur, in Washington würde Khans Moskau-Besuch schnell vergessen sein, falls er seines Amts enthoben würde. Auch The Intercept schreibt in seinem Aufmacher von "Secret Pakistan Cable Documents US Pressure To Remove Imran Khan", von Druck, keiner Verschwörung.
Amerikanischer Druck auf Pakistan sieht anders aus, siehe oben. Lu bleibt schwammig: "... . Otherwise, I think it will be tough going ahead." Das stellt keine konkreten Forderungen, das ist keine Erpressung.
Der Cipher ist so wie ihn Pakistans Nationaler Sicherheitsrat am 22.4. 2022 sieht: Undiplomatisch, in zu rauem Ton, doch kein Beleg einer ausländischen Verschwörung.
Der Vorwurf, die politischen Parteien wie PML-N und PPP seien instrumentalisiert worden, ist absurd. Sollen Hunderte Politiker und Abgeordnete über Monate manipuliert worden sein, um ein Misstrauensvotum durchzusetzen – für die USA? Alles vorbei am ISI?
Selbst mit dessen Unterstützung wäre das zu viel der Ehre für CIA & Co.
Die Vorbereitungen für das Misstrauensvotum begannen lange vor Khans Handschlag mit Wladimir Putin. Verständlicherweise wurde der Cipher zwischen USA und Pakistan bald vergessen, es stand nichts wirklich Wichtiges drin.
Da haben die "Verbündeten" ganz anderes erlebt und es liegen noch viele Skelette im Schrank. Am Ende fiel das Dokument nur dem auf die Füße, der versuchte, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. Mancher wird gedacht haben: Wieder mal typisch Imran Khan.
Woran Khan wirklich scheiterte
Imran Khan brauchte keine amerikanische Verschwörung, um zu scheitern, wie alle Präsidenten und Premierminister vor ihm, gewählt oder nicht, in Zivil oder Uniform. Dafür sind die Probleme zu groß und die Ressourcen, die eine Regierung hat, viel zu gering.
Womöglich ist neben Staatsgründer Jinnah noch immer Zulfiqar Bhutto der einzige Führer, dem überhaupt bewusst war, wie groß die Aufgabe ist, der er sich stellte.
Imran Khan versprach bei seinem Amtsantritt nicht etwa harte Arbeit und bescheidenen Fortschritt, sondern einen Wohlfahrtsstaat wie zu Zeiten der vier Rechtschaffenen Khalifen, einen muslimischen Idealstaat, die maximale Annäherung an das Reich auf Erden. Dies zeugt von einem großen Ego, das immer mehr zur Hybris, zur maßlosen Selbstüberschätzung, neigte.
Auf eine Art verständlich bei einem Mann (wir sind in Pakistan …), dem zunächst alles in den Schoß zu fallen schien: Sportlicher Erfolg, Geld, (westliche) Frauen und immer mehr Ruhm bis zum Status des einzigen wahren Nationalhelden.
Natürlich, seine Anfänge in der Politik waren hart und Khan musste viele Rückschläge und Erniedrigungen hinnehmen, bis er nach 20 Jahren sein Ziel erreichte. Das spricht für seine Ausdauer und seinen Geist, aber auch wieder für ein zu unerschütterliches Selbstvertrauen.
Als nach Corona der Lack ab und er nur noch ein gewöhnlicher Politiker und kein Hoffnungsträger oder Messias mehr war, suchte Khan Schuldige und fühlte sich von Verschwörern umringt. Er brach sämtliche Tabus der Politik.
Zunächst hatte er damit sogar Erfolg, doch hätte er nach seinem Abgang einfach nur stillhalten müssen, denn die Krise, die ihn das Amt gekostet hatte, begrub nun seine Gegner. Doch er hänselte sie alle, ob in Zivil oder Uniform und goss in fast selbstzerstörerischer Absicht Öl ins Feuer.
Er schien seinen Sturz zu fordern und er bekam ihn. Psychologen können das Phänomen Imran Khan wohl besser erklären als Historiker und Politologen.