Die Macht in Pakistan: Was passiert am 8. Februar 2024?

Bild: US-Army / CC BY 2.0 Deed

Fall Imran Khan: Armee, Elite und Deep State brauchen USA nicht, um interne Verhältnisse zu regeln. Wer immer oben bleibt, erklärt unser Autor.

Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass das Vorgehen der USA zur Entmachtung des pakistanischen Premierministers Imran Khan im April 2022 geführt hat, gefolgt von seiner Verhaftung aufgrund des Vorwurfs der Korruption und Spionage sowie seiner Verurteilung in dieser Woche zu zehn Jahren Haft wegen Spionage.

Jeffrey D. Sachs, Der Sturz von Imran Khan durch die USA

In Pakistan werden in der kommenden Woche, am 8. Februar, wichtige Wahlen abgehalten – und der populärste demokratische Politiker des Landes sitzt im Gefängnis, seine Partei wird "unerbittlichen Angriffen, politischen Morden, Medienverboten und anderen schweren Repressionen ausgesetzt", und an allem sei die US-Regierung in höchstem Maße mitschuldig.

So sieht es Jeffrey D. Sachs in einem viel gelesenen und kommentierten Artikel an dieser Stelle:

Die US-Regierung hat sich vorerst durchgesetzt – und ein atomar bewaffnetes Land mit 240 Millionen Einwohnern in seinen Fundamenten destabilisiert.

Jeffrey D. Sachs

Fakt ist, dass es Khan mit der Armee verdorben hatte und die Wirtschaftskrise nicht in den Griff bekam. Dass sich seine Gegner in diesem Punkt einig waren und Imran Khan sie so lange provozierte, bis sie agieren mussten.

Fakt ist auch, dass man in Washington den pakistanischen Premierminister nur zu gerne aus dem Amt fliegen sah. Man konnte ihn für US-Interessen nicht brauchen und man konnte ihn auch nicht leiden.

Um ihn loszuwerden, mussten sie aber nichts unternehmen.

Was man gut kann in Pakistan

Das kann man im Land schon ganz gut selbst erledigen. Khan erging es wie Zulfiqar Bhutto, Benazir Bhutto traf es zweimal und Nawaz Sharif dreimal. Sie wurden gestürzt – und das nicht auf Anweisung aus Washington.

Am 30. Januar, wenige Tage vor der Wahl, wurden Imran Khan und sein Parteivize Shah Mahmood Qureshi zu zehn Jahren Haft im sogenannten Cipher Case verurteilt. Am Tag darauf folgte das nächste Urteil, im sogenannten Toshakhana Case wurden Khan und seine Frau Bushra Bibi zu insgesamt 14 Jahren Gefängnis verurteilt.

Besonders dieses Urteil erscheint hart und unfair, weil sich auch sämtliche Amtsvorgänger Khans, sonstige Politiker und Minister und auch Richter, Bürokraten und Generale an Staatsgeschenken illegal bereichert haben.

Pakistan im Superwahljahr 2024: Worum es geht

Nach Taiwan geht das globale Superwahljahr 2024 in Pakistan. Das Land mit der weltweit fünftgrößten Bevölkerung geht an die Urnen. Bei der aktuell prekären Sicherheitslage, der oft rudimentären Infrastruktur und der allgemeinen Ressourcenknappheit ist das schon ein bemerkenswertes Ereignis.

Aus geopolitischer Sicht ist der Werdegang der Atommacht Pakistan wichtig und für die Akteure selbst ist der Ausgang der Wahlen von einiger Bedeutung: Es geht es um die Verteilung der Pfründe, Macht und Einfluss, und es geht um richtiges Geld.

Zwei Faktoren, die den Ausgang bestimmen

Zwei schwer einzuschätzende Faktoren werden den Ausgang bestimmen: Wie wird der jüngst aus dem Exil zurückgekehrte mehrfache Expremier Nawaz Sharif von der PML-N (Pakistan Muslim League-Nawaz) beim Wahlvolk ankommen?

Und wie hoch ist der Zuspruch für die noch immer zugelassene PTI (Pakistan Tehreek-e Insaf, Gerechtigkeitsbewegung) von Imran Khan?

Er selbst sitzt hinter Gittern und hat den Vorsitz abgegeben, doch inoffiziell ist er weiter der Chef. Auf ihm und seiner Partei lastet am stärksten der Druck der Armee, der wahren Macht im Staat (die natürlich nicht zur Wahl steht).

Andererseits weiß die Armee im Gegensatz zu früher nicht so richtig, auf welches Pferd sie setzen soll. Auch das macht den Ausgang ungewisser.

Pakistan: Ein anderes Konzept von Zeit und ein Verfassungsbruch

Dass in Pakistan ein anderes Konzept von Zeit gilt, bestätigten mal wieder die mehrfachen Verschiebungen des Termins. Laut Gesetz muss spätestens fünf Jahre nach der letzten Wahl erneut abgestimmt werden. Das letzte Mal war am 25. Juli 2018, die Wahlen sind somit mehr als sechs Monate überfällig.

Doch im Chaos vor, während und nach der Amtsenthebung Imran Khans am 9. April 2022 behielt nicht einmal mehr das Supreme Court, das höchste Gericht des Landes, den Überblick, wann die neue Regierung unter Shahbaz Sharif (PML-N), dem jüngeren Bruder von Nawaz Sharif, auf ihrem Schlingerkurs verfassungskonform handelte und wann nicht.

Am 9. September 2023 löste der jüngere der Sharif Brüder das Parlament auf und übergab das Amt an den neutralen Caretaker (Aufpasser, Verwalter) Premier Anwar-ul Haq Kakar. Unmissverständlich ist in diesem Fall die Rechtslage. Nach der Auflösung des Parlaments müssen innerhalb von 90 Tagen die nächsten Wahlen abgehalten werden, das wäre um den 9.November 2023 gewesen.

Dass dies nicht geschah, war ein eindeutiger Verfassungsbruch, der allerdings dem allgemeinen Durcheinander und niemand im Besonderen angelastet werden musste. Und es drohten mehrfach weitere Verzögerung, am Ende werden sich die meisten Involvierten glücklich schätzen, am 8. Februar endlich die Stimme abgeben zu können.

Die Aussichten von Nawaz Sharif

2017 schien die politische Karriere von Nawaz Sharif, dem dominierenden Politiker seit den 1990er-Jahren und früheren Günstling der Armee, endgültig beendet. Aufgrund des Finanzskandals um die Panama Papers wurde er vom Obersten Gerichts seines Amts als Premierminister enthoben, auch seine dritte Amtszeit endete damit vorzeitig.

Ein Jahr später verurteilte ihn das gleiche Gericht zu zehn Jahren Gefängnis und schloss ihn bis zum Lebensende von der Ausübung eines öffentlichen Amts aus. Um sich wegen Herzproblemen in London behandeln zu lassen, kam er auf Bewährung frei, kehrte aber 2019 nicht von dort zurück.

Nawaz war damit ein flüchtiger Krimineller, doch dank der ungewöhnlichen britisch-pakistanischen Beziehungen drohte ihm keine Verhaftung und Auslieferung. Vermutlich wird (wie häufig) in einigen Jahren ans Tageslicht kommen, welche Deals zu seiner Rehabilitation führten.

Große Verzweiflung im Oberkommando

Jedenfalls muss im GHQ (General Headquarters, Oberkommando der Armee) in Rawalpindi die Verzweiflung groß gewesen sein, wenn diesem erklärten, zwar nicht Feind, aber sicher auch nicht Sympathisant der Armee nicht nur die Rückkehr in seine Heimat, sondern in die Politik und womöglich an die Macht geebnet wurde.

Am 21. Oktober 2023 schwebte Nawaz Sharif wieder einmal aus dem Exil in Islamabad ein. Die Urteile der Korruptionsverfahren wurden aufgehoben, ebenso das Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter. Am 8. Februar wird er im Wahlkreis NA-130 Lahore XIV kandidieren.

Die genaue Arbeitsteilung in der Sharif Familie (und damit in der Partei PML-N) ist unbekannt, jedoch wird Shahbaz seinem älteren Bruder den Vortritt lassen. Auf ihren großen Auftritt wartet Nawaz' Tochter Maryam seine designierte Nachfolgerin und Oberste Vizevorsitzende der PML-N.

Ob er sich im Fall eines Sieges nochmal auf den Schleudersitz des Premiers begibt, ist ungewiss, er ist schwer krank und hat mehrere große Herz-OPs hinter sich. Allerdings ist ein Sieg keinesfalls gewiss, ein klarer praktisch ausgeschlossen.

Wahlprognosen und Umfragen sind in Pakistan mit noch größerer Vorsicht zu genießen als woanders. Hier kommen alle Möglichkeiten des Militärgeheimdienstes ISI zum Einsatz.

Bei den letzten halbwegs verlässlichen Umfragen im Juni 2023 war die PTI doppelt so populär wie die PML-N. Damals war jedoch Imran Khan noch auf freiem Fuß und Nawaz Sharif in England.

Wie es nun aussieht, weiß man, wenn überhaupt, im GHQ und im Geheimdienst ISI.