In Deutschland die Fleischindustrie, in Spanien die Landwirtschaft

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In einigen Gegenden im spanischen Staat sind Infektionszahlen hochgeschnellt und ganze Gebiete in Lugo in Galicien oder Lleida in Katalonien wurden wieder unter Ausgangssperre gestellt

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Die miesen Bedingungen auf Arbeitsstellen und bei der Unterbringung in Massenunterkünften in der deutschen Fleischindustrie sind über den Wiederausbruch von Coronavirus ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Was die Fleischindustrie in Deutschland ist, ist die Frucht- und Gemüseindustrie in Spanien. Dort werden oft unter fatalen Bedingungen Erntehelfer gehalten. Das hatte in seinem Bericht der UNO-Sonderberichterstatter für extreme Armut schon vor der Corona-Pandemie heftig kritisiert, dass die "Ärmsten in Spanien im Stich gelassen werden".

In Corona-Zeiten wirken sich Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft fatal aus, wie man nun auch im spanischen Staat gut sehen kann. Ein Neuausbruch (rebrote) war zunächst in Huesca (Aragon) unter Erntehelfern verzeichnet worden - aber auch unter den Plastikplanen in Murcia -, die auch dort in Massenunterkünften zusammengepfercht werden. Das Virus findet dort besonders gute Ausbreitungsbedingungen.

Aus Huesca haben Erntehelfer, meist junge Menschen aus Afrika, die asymptomatisch bleiben, das Virus unbewusst auch über die nahe katalanische Grenze in die Provinz Lleida getragen. Denn die jungen Wanderarbeiter müssen von Region zu Region reisen, um sich einen kärglichen Lebensunterhalt zu verdienen. In Dörfern im Landkreis Segrià verdoppelt sich während der Obsternte derzeit zum Teil die Zahl der Einwohner, weil Tausende Menschen zum Arbeiten in die Region strömen.

Die katalanische Regierung nimmt die Situation sehr ernst und hat den an Huesca angrenzenden Landkreis Segrià, der vom intensiven Obst- und Gemüseanbau geprägt ist, deshalb schon vergangene Woche wieder unter Ausgangssperre gestellt. Betroffen sind dort erneut gut 200.000 Menschen. Niemand darf die Region nun wieder verlassen oder in sie hinein, außer um zur Arbeit zu gelangen, denn Ansteckungen sind in Segrià in wenigen Tagen explodiert.

Doch trotz der Maßnahmen bekommt man die Lage offenbar in der Region nicht in den Griff. Wurden am 19. Juni im Durchschnitt wöchentlich noch 5,4 Ansteckungen pro 100.000 Einwohner festgestellt, waren es am 3. Juli schon fast 40. Das ist 20 Mal so viel wie im katalanischen Durchschnitt, in dem die Region noch Mitte Juni lag. In der vergangenen Woche wurde fast die Hälfte aller gut 1.100 Infizierten im Landkreis Segrià verzeichnet.

Die nächste Welle

Es ist aber nicht nur die Zahl der Infektionen deutlich gestiegen, sondern auch die Zahl derer, die wieder im Krankenhaus behandelt werden müssen. In Krankenhäusern des Landkreises sind nun wieder 57 Menschen wegen Coronavirus eingeliefert. Das ist ein Anstieg gegenüber dem Wochenende um 50%. Davon mussten acht Personen auf Intensivstationen behandelt werden. Man bereitet sich in der Provinz Lleida auf Schlimmeres vor und erhöht die Ressourcen im Gesundheitswesen deutlich.

Aus Quellen der katalanischen Regierung ist derweil schon zu hören, dass über eine Ausweitung der Quarantäne über den Landkreis an der Grenze zu Aragon hinaus in Barcelona bei den Verantwortlichen nachgedacht wird. Zwischenzeitlich will man als Präventionsmaßnahme eine Maskenpflicht auch dann in ganz Katalonien einführen, um eine Verbreitung und eine zweite Welle so gut wie möglich zu verhindern. Die Maßnahme wird vermutlich noch heute oder am Mittwoch beschlossen, ist ebenfalls aus Barcelona zu vernehmen.

Allerdings sollte hier eine Sache angemerkt werden. Nur weil in einer Region oder einem Land - anders als Katalonien oder Portugal - derzeit keine Maßnahmen ergriffen werden, heißt das nicht, dass sie frei vom Coronavirus sind. So steht Madrid mit 574 festgestellten Infektionen pro 100.000 Einwohner in den letzten zwei Wochen auf dem Spitzenplatz.

Das sind mehr als doppelt so viele wie in ganz Katalonien. Doch die ultrakonservative Regionalregierung tut nichts, um Ökonomie und Tourismus nicht zu beeinträchtigen. Die sozialdemokratische Zentralregierung schaut dabei (wieder einmal) zu, was erneut fatale Folgen haben könnte wie im Frühjahr, als der zentrale Infektionsherd nicht abgesperrt wurde. Wer derzeit in den Urlaub fährt, sollte sich also genau über die reale Lage informieren.

Als zweiter großer Infektionsherd gilt derzeit Galicien. Dort ist besonders die Provinz Lugo betroffen, wo am Montag wieder 70.000 Menschen unter eine Ausgangssperre gestellt wurden. Betroffen sind bisher 14 Ortschaften im Gebiet von La Mariña in der Küstenregion Galiciens. Sie dürfen die Provinz Lugo nun nicht verlassen und andere dürfen die Provinz nicht betreten - auch hier findet sich wieder die zweifelhafte Anmerkung: "außer wenn es für berufliche Zwecke notwendig ist". Absurd ist, wenn auch leicht zu erklären, warum angesichts einer Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen die Maßnahmen auf fünf Tage beschränkt wurden.

Regionalwahlen

Die Erklärung ist, dass die ausgefallenen - vom Herbst auf das Frühjahr vorgezogenen - Regionalwahlen nun am Sonntag mit denen im Baskenland durchgeführt werden sollen. Um die nicht zu gefährden, geht man in Galicien nun deshalb etwas absonderlich mit dem Wiederaufflammen der Infektionen in Lugo um und verhängt Maßnahmen nur bis Freitag, obwohl auch hier die offiziellen Infektionszahlen weiter steigen. Waren es am Sonntag noch 99, wurden am Montag schon 119 registriert.

Man schließt zwar in der Regionalregierung in Santiago do Compostela eine Verlängerung der Maßnahmen über den Freitag hinaus bisher nicht aus, aber angesichts des Umgangs mit dem Virus und den betroffenen Menschen in Regionen, in denen, wie Galicien oder Madrid die rechte Volkspartei (PP) regiert, würde es niemanden wundern, wenn plötzlich erst nach den Wahlen am Sonntag höhere Infektionszahlen gemeldet werden.

In Madrid ließ man zum Beispiel alte Menschen - ohne Privatversicherung - keine medizinische Hilfe mehr zukommen und ließ sie schlicht in Altersheimen sterben. Fast ein Fünftel aller Bewohner in Madrid Altenheimen sind in wenigen Wochen verstorben, ist nun auch offiziell inzwischen geklärt.

Der galicische PP-Regionalpräsident will unbedingt schnell die Wahlen durchführen, um seine absolute Mehrheit zu verteidigen, bevor sich die gravierenden ökonomischen Probleme zeigen werden. Deshalb hatte Alberto Núñez Feijóo sie auf April vorgezogen. Nun spricht er sogar offen, allerdings in einem anderen Zusammenhang, von einem "wirtschaftlichen Erdbeben".

Er riskiert viel und hat sogar eine Koalition mit den rechts-neoliberalen Ciudadanos (Cs) ausgeschlagen. Dagegen tritt seine ultrakonservative PP im Baskenland aussichtslos gemeinsam mit den Cs an, die in Deutschland gerne als "liberal" bezeichnet wird, obwohl es nur eine Abspaltung der PP ist.

Geschönte Zahlen

Übrigens, was gefälschte oder geschönte Zahlen angeht, drängt nun die an dieser Stelle längst benannte Realität ans Tageslicht. Telepolis hatte stets dargelegt, dass die Infektions- und Todeszahlen aus Spanien absurd sind, da viele Menschen und verstorbene Menschen einfach nicht getestet werden. So kommt man bisher auf die absurd niedrige Zahl von 28.388 Corona-Toten und 251.000 bisher infizierte Menschen.

Nun gibt auch die Zentralregierung in einem internen Papier zu, das der Nachrichtenagentur Efe vorliegt, dass 27.359 bis 32.843 Menschen zusätzlich in Altenheimen gestorben sind. Allerdings bezieht sie sich auch dabei nur auf Daten zwischen dem 6. April und dem 20. Juni.

Die heftige Zeit Mitte März bis Anfang April wird nicht einmal berücksichtigt. So wird sogar bei mehr als 9000 Toten Covid-19 als Todesursache angegeben (32,9%). Bei weiteren fast 36% wurden zudem Symptome festgestellt, aber kein Test durchgeführt. Nur bei gut 31% geht man von anderen Ursachen aus.

Es zeigt sich, wie nahe ein Bericht an dieser Stelle schon im April an die Realität kam, als Daten aus Frankreich extrapoliert wurden. Demnach durfte man davon ausgehen, dass auf die offizielle Todeszahl aus Madrid mindestens 60% aufzuschlagen sind, um in Wirklichkeitsnähe zu kommen.

Man darf also nun getrost davon ausgehen, dass es etwa 50.000 Coronatote in Spanien gab. Damit käme das Land hinter den USA und Brasilien auf Platz 3 und stünde nicht hinter Italien, Mexiko und Frankreich erst auf Platz 7. Bei Toten pro Million Einwohner wäre es vermutlich sogar "Weltmeister".