Instabile Westantarktis

Thwaites-Gletscher. Bild: NASA/OIB/Jeremy Harbeck

Die Energie- und Klimawochenschau: Temperaturrekord in der Antarktis, Heuschrecken in Ostafrika und weniger Kohle in Europa

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Nicht nur der Winter in nördlichen Hemisphären ist zu warm, auch in der Antarktis wurde unlängst ein neuer Temperaturrekord verzeichnet. Am 6. Februar wurden an der argentinischen Forschungsstation La Esperanza an der Nordspitze der antarktischen Halbinsel 18,3 Grad Celsius gemessen. Die bisherige Höchsttemperatur lag bei 17,5 Grad am 24. März 2015. Ob tatsächlich ein neuer Rekord für den antarktischen Kontinent vorliege, müsse noch überprüft werden, so die Weltorganisation für Meteorologie (WMO).

Der neue Rekord würde jedoch ins Bild passen, da die antarktische Halbinsel zu den Weltregionen gehört, die sich am schnellsten erwärmen. Innerhalb der letzten 50 Jahre sind die Durchschnittstemperaturen dort um 3 Grad angestiegen.

Durch die Erwärmung verlieren auch die Gletscher der Westantarktis an Stabilität. Der Pine-Island-Gletscher zeigt immer mehr Risse und verliert durch Abbrüche ins Meer und durch ein Abschmelzen von unten an Masse. Die Beobachtungen am benachbarten Thwaites-Gletscher der letzten Jahre sind ebenfalls beunruhigend. Einige Klimaforscher sind der Meinung, dass dieser seinen Kipppunkt bereits überschritten hat und er komplett ins Meer abfließen könnte, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet.

Genauer wird diese Frage von internationalen Forschungsteams in der International Thwaites Glacier Collaboration untersucht. Ende Januar gelang es, durch ein Bohrloch einen Roboter auf die Unterseite des Gletschers zu bringen, um den Schmelzprozess von unten zu dokumentieren. "Wir wissen, dass wärmeres Meerwasser viele Gletscher der Antarktis erodieren lässt, aber wir sind besonders besorgt über den Thwaites-Gletscher. Die neuen Daten werden neue Perspektiven auf die dort ablaufenden Prozesse bieten, sodass wir zukünftige Veränderungen sicherer voraussagen können", erklärt der an den Untersuchungen beteiligte Meeresforscher Keith Nicholls.

Gletscher schmelzen von unten, wenn sie ihre Auflage auf dem Meeresboden verlieren und vergleichsweise warmes Meereswasser an ihre Unterseiten gelangen kann. Genauere Kenntnisse der Topographie unterhalb des Gletschers ermöglichen es den Wissenschaftlern daher, zukünftige Schmelzprozesse bzw. ein Abfließen ins Meer besser einzuschätzen. Allein der Thwaites-Gletscher enthält eine Wassermenge, die zu einem Anstieg des Meeresspiegels um einen halben Meter führen könnte.

Sich gegenseitig verstärkende Krisen

Der steigende Meeresspiegel - verursacht durch schmelzende Gletscher in Grönland und der Antarktis, aber auch durch die thermische Ausdehnung des sich erwärmenden Wassers - bedroht weltweit Millionen von Küstenbewohnern und die Existenz ganzer Inselstaaten. Dabei ist der steigende Meeresspiegel nur eine der Bedrohungen, denen die Menschheit heute ausgesetzt und für die sie gleichzeitig mitverantwortlich ist.

Die Organisation Future Earth warnt indessen davor, nur die einzelnen Krisen zu betrachten, die derzeit das Leben auf der Erde bedrohen. Die besondere Gefahr liegt darin, dass die Krisen miteinander verbunden sind und sich gegenseitig bis hin zum "globalen Systemkollaps" verstärken könnten. Laut dem Bericht "Future on Earth 2020" stellen der Klimawandel, Extremwetterereignisse von Wirbelstürmen bis hin zu Hitzewellen, der Verlust von Artenvielfalt und Ökosystemen, Bedrohung der Ernährungssicherheit und schwindende Süßwasserreservoirs die größten Risiken dar.

Die Verbindungen zwischen den einzelnen Risiken sind oftmals deutlich erkennbar. Die globale Erwärmung führt zu mehr Extremwetterereignissen, u.a. durch Hitzewellen und Brände werden mehr Treibhausgase freigesetzt, die wiederum die globale Erwärmung verstärken. Die Erwärmung lässt Süßwasserreserven verschwinden und Hitze, Stürme und Wassermangel führen wiederum zu Ernteausfällen. Biodiversität kann manche Effekte abmildern, ein Verlust von Biodiversität bedeutet also auch steigende Risiken in anderen Bereichen.

Dazu passt eine aktuelle Veröffentlichung in Science, in der ein Rückgang der Gesamtzahl von Hummeln als auch von Hummelarten in Nordamerika und Europa festgestellt wird. Der Rückgang sei in erster Linie auf die Klimaerwärmung zurückzuführen, da Hummeln an kühlere Klimate angepasst sind, Hitze hingegen schlecht vertragen. Pestizide und Landnutzungsveränderungen tragen ihren Teil zum Rückgang der Hummelpopulationen bei. Hummeln sind wichtig für die Bestäubung von Pflanzen und somit letztlich auch für landwirtschaftliche Erträge.

Klimaveränderungen können einzelnen Arten auch zu verbesserten Lebensbedingungen verhelfen, und auch dies kann negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft haben. Derzeitige Heuschreckenplagen in Ostafrika und Südasien, denen ganze Ernten zum Opfer fallen könnten, sind auch die Folge extremer klimatischer Bedingungen. Starke Regenfälle haben dafür gesorgt, dass die Insekten in feuchten und warmen Böden optimale Brutbedingungen gefunden haben. Wirbelstürme mit starken Regenfällen werden wiederum durch wärmere Meerestemperaturen begünstigt. Nach Angaben der Welthungerhilfe handelt es sich um die schlimmste Heuschreckenplage seit 25 Jahren.

Der oben angeführte Bericht von Future Earth geht nicht nur auf naturwissenschaftliche Zusammenhänge ein. Beklagt wird, dass die Selbstverpflichtungen der Staaten zur Reduktion von Emissionen - selbst wenn sie eingehalten würden - nicht ausreichen, um die globale Erwärmung auf 2 Grad, geschweige denn auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dabei ist daran zu erinnern, dass zwischen einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad oder um 2 Grad ein bedeutender Unterschied besteht. Bei 2 Grad würden beispielsweise tropische Korallenriffe komplett absterben.

Nicht nur politische Untätigkeit im Kampf gegen die Krisen stellt ein Problem dar, sondern auch der Aufstieg des Rechtspopulismus in verschiedenen Teilen der Welt. Der Rechtspopulismus tendiere dazu, komplexe Zusammenhänge zu reduzieren, so auch beim Klimawandel. Dieser wird entweder komplett negiert oder man wird seiner Komplexität nicht gerecht.

Auf der anderen Seite stehen dem autoritären Populismus neue soziale Bewegungen, aber auch sehr weit zurückreichende soziale Bewegungen gegenüber, etwa von Indigenen, die seit über 500 Jahren die Ökosysteme verteidigen, von denen sie leben. Eine soziale Bewegung, die erfolgreich gegenüber autoritärem Populismus sein will, muss nicht nur Klima- und Ökologiebewegung sein, sondern auch eine Bewegung der sozialen Gerechtigkeit, wird in dem Bericht ausgeführt.

Weniger Kohlestrom in der EU

Was die aktuellen Klimaschutzbemühungen angeht, gibt es in der EU gemischte Signale. Positiv zu berichten ist, dass die Kohlendioxidemissionen aus Kraftwerken im Jahr 2019 um 12 Prozent oder um 120 Millionen Tonnen gegenüber dem Vorjahr gesunken sind. Dies teilt der Thinktank Agora Energiewende mit: "Der Grund dafür ist ein Einbruch der Stromerzeugung von Stein- und Braunkohlekraftwerken: Sie verminderte sich EU-weit um beinahe ein Viertel und erreichte ein Rekordtief."

Hier zeigt das europäische Emissionshandelssystem mit Zertifikatpreisen von mehr als 25 Euro pro Tonne mittlerweile Wirkung. Dieses Niveau müsse allerdings gehalten werden. Aktuell würden in der EU etwa 300 Millionen Zertifikate mehr ausgegeben als verbraucht. Damit der Zertifikatspreis nicht wieder einbricht, müsste diese Menge schneller als bislang vorgesehen verringert werden.

Die Stromerzeugung aus Stein- und Braunkohle wurde zum einen durch erneuerbare Energien, zum anderen durch Strom aus Gaskraftwerken ersetzt. Der Anteil der Erneuerbaren lag EU-weit bei 34,6 Prozent, der von Gas bei 21,7 Prozent. Der Zubau der Photovoltaik hat sich im vergangenen Jahr auf 16,7 Gigawatt verdoppelt, die Windenergie legte mit 13,8 Gigawatt nicht ganz so stark zu. "Trotz der positiven Entwicklung muss das Zubautempo noch weiter beschleunigt werden", sagt Matthias Buck, Leiter Europäische Energiepolitik bei Agora Energiewende. Um das Ausbauziel für 2030 zu erfüllen, sei ein Wachstum von 97 Terawattstunden Strom jährlich bis 2030 nötig - also 33 Terawattstunden mehr als 2019.

Wenngleich der Ausbau der Erneuerbaren und der Rückgang der Kohleverstromung positive Nachrichten sind, so bleibt die derzeitige und künftige Rolle des Energieträgers Gas doch äußerst zwiespältig. Trotz "Green Deals" soll das europäische Parlament nach Willen der Kommission die Förderung zahlreicher Erdgasprojekte absegnen, darunter Infrastrukturprojekte für den Import von verflüssigtem Erdgas (LNG). Auf diesem Weg könnte durch Fracking gewonnenes Gas aus den USA importiert werden.

Interesse an LNG als Treibstoff gibt es zunehmend im Transportsektor, insbesondere in der Schifffahrt. Wie in anderen Verkehrsbereichen steigen auch hier die Treibhausgasemissionen weiter an. 2017 lag der Anteil der Schifffahrt an den Emissionen der EU bei 3,5 Prozent, Tendenz steigend. Einer Publikation des International Council on Clean Transportation (ICCT) zufolge werden mehr und mehr Schiffe auf LNG umgerüstet, weil dieser Antrieb weniger Schwefel- und Stickoxide ausstößt als das Verbrennen von Schiffsdiesel, zum anderen, weil er als um 25 Prozent weniger CO2-intensiv gilt.

Letzteres widerlegt der ICCT mit einer Analyse des gesamten Lebenszyklus des LNG. Denn sowohl bei der Förderung als bei der Verbrennung kommt es zu Leckagen von Methan in die Atmosphäre, wobei Methan ein weitaus stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid ist.