Integration auf europäisch

Die EU-Innen- und Außenminister haben sich auf einen Katalog von Prinzipien für die Integrationspolitik von Immigranten geeinigt

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Am Freitag haben sich die Innen- und Außenminister der EU in Brüssel auf Anforderungen für die bessere Integration von Immigranten geeinigt. Da die Niederlande gerade die Ratspräsidentschaft haben, stand das Thema der Integration von Ausländern auf dem Hintergrund der Ermordung des Filmemachers von van Gogh und der darauf folgenden Brandanschläge auf Moscheen und Kirchen ganz oben auf der Prioritätenliste. Zumindest rhetorisch wollten die Minister die Spannung nicht weiter anheizen. Allerdings ist die Liste sowieso unverbindlich und daher nur eine Absichtserklärung, die den Politikern in den Mitgliedsstaaten, die eher auf Angst und Fremdenfeindlichkeit oder Bewahrung der eigenen Kultur setzen, den Boden nicht entzieht (Anpassung an eine "europäische Leitkultur"?).

Eine gemeinsame Immigrationspolitik steht schon seit dem Gipfel 2003 in Thessaloniki auf dem Programm. Hier wurde entschieden, dass man sich EU weit auf gemeinsame Prinzipien einigen solle. Im "Haager Programm" wurde schließlich neben der Bekämpfung des Terrorismus im Rahmen einer gemeinsamen Sicherheitspolitik auch die gemeinsame Asyl-, Migrations- und Grenzpolitik vorangetrieben. So soll, wie Anfang November beschlossen wurde, vor Ende 2005 ein "strategischer Plan zur legalen Zuwanderung" ausgearbeitet sein, "der auch Zulassungsverfahren umfasst, die es ermöglichen, umgehend auf eine sich ändernde Nachfrage nach Wanderarbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt zu reagieren". Bei der Integration von Ausländern müsse eine "effiziente Politik festgelegt und der Isolation bestimmter Gruppen vorgebeugt" werden.

Auch hier sprach man wie jetzt wieder von einem "wechselseitigen Prozess" zwischen den rechtmäßig sich in den Ländern aufhaltenden Ausländern und deren Bewohnern, wie dies populistisch agierende Politiker bewusst nicht machen. Erforderlich sei Chancengleichheit und Abbau der Integrationshindernisse. Bei den Mindeststandards ist ebenfalls die Rede von einem wechselseitigen Prozess und von der Notwendigkeit des Zuzugs von Ausländern:

Integration ist ein dynamischer, langfristiger und kontinuierlicher zweiseitiger Prozess der wechselseitigen Anpassung, kein statisches Ergebnis. Sie verlangt die Beteiligung nicht nur der Immigranten und ihrer Nachkommen, sondern von jedem Bürger. Der Integrationsprozess beinhaltet die Anpassung der eingewanderten Frauen und Männer, die alle Rechte und Verpflichtungen in Bezug auf ihr neues Aufenthaltsland besitzen. Sie schließt auch die aufnehmende Gesellschaft ein, die die Möglichkeiten zur vollen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Partizipation schaffen muss. Daher werden die Mitgliedsländer dazu aufgefordert, sowohl die Immigranten als auch die Bürger des Landes in die Integrationspolitik einzubeziehen und ihnen deutlich ihre wechselseitigen Rechte und Verpflichtungen mitzuteilen.

Zur erfolgreichen Integration müssten sich die Immigranten auch wohl fühlen. Das setze eben wechselseitiges Verständnis und beiderseitige Anpassung voraus. Die Aufgabe der Integration ist langfristig und in einer Generation keinesfalls abgeschlossen, heißt es weiter. Zwar falle die Integrationspolitik vornehmlich den Mitgliedsländern zu, wenn diese aber scheitern, habe dies Auswirkungen in vieler Hinsicht auf die gesamte EU, nicht zuletz im Hinblick auf Sicherheit. Die wegen der gemeinsamen Verantwortung dennoch wichtigen Prinzipien sollen den Mitgliedsstaaten helfen, eine eigene Integrationspolitik zu entwickeln und sie auf die jeweiligen Bedürfnisse und Situationen zuzuschneiden.

Punkt 2 der Prinzipien könnte daher zumindest genauso umstritten sein wie der oben vorgestellte erste Punkt der "wechselseitigen Anpassung". Hier wird nämlich von den Immigranten die "Anerkennung der grundlegenden Werte der Europäischen Union" gefordert. Wie zu erwarten, bleiben die Ausführungen zu den "europäischen Grundwerten" allerdings relativ abstrakt. Gefordert wird die Anerkennung der Prinzipien der Freiheit und der Demokratie, der Menschenrechte und der Herrschaft des Gesetzes. Dazu gehören auch die Prinzipien der Menschenrechts-Charta der EU, also die Achtung der Würde, der Freiheit, der Gleichberechtigung, der Nicht-Diskriminierung, der Solidarität, der Bürgerrechte und der Gerechtigkeit.

Von christlicher Religion ist hier allerdings vernünftigerweise nicht die Rede, sondern nur davon, dass Ansichten und Positionen, die diesen Prinzipen zuwiderlaufen, bekämpft werden müssen, weil sie der Integration schaden können. Allerdings wird gefordert, dass die Immigranten ein "grundsätzliches Wissen von der Sprache, der Kultur und der Institutionen" des aufnehmenden Landes benötigen. Dabei wird an verpflichtende Einführungskurse gedacht, gleichzeitig aber soll eben auch die Sprache und Kultur der Immigranten geachtet werden. Dazu aber gibt es keine Vorschläge.

Ganz zentral wird die Beschäftigung gesehen. Sie sei zentral für die Integration und Partizipation der Immigranten. Hier seien die Mitgliedsländer aufgefordert, Diskriminierung abzubauen, Hindernisse zu beseitigen und die Suche nach Arbeitsplätzen zu erleichtern. Ebenso wichtig ist die Ausbildung der Immigranten, also beispielsweise dafür zu sorgen, dass die Kinder eine gute Schulausbildung erhalten. Damit würden zuglich auch die Normen und Werte gelehrt und gelernt, die eine Gesellschaft zusammen halten. Gleichberechtigung müsse gewährt werden, weil sonst auch die Integrationsbereitschaft gefährdet werden könne, Immigranten müssen auch stärker politisch an den demokratischen Gesellschaften beteiligt werden.

Dann aber kommen die Punkte, die noch schwieriger durch- und umsetzbar wären als die vorhergehenden. Immigranten und Einheimische sollen häufig und regelmäßig miteinander in Kontakt stehen und kommunizieren. Interkultureller Austausch müsse gepflegt, Wissen über die Kultur der Immigranten verbreitet und vor allem Lebensbedingungen in den Städten geschaffen werden, die den Umgang der Menschen erleichtern und fördern. Das Problem sei, dass Immigranten sich oft in armen Vierteln ansiedeln und dort isoliert werden. Wie sich das verhindern und verändern lässt, dürfte einer der Knackpunkte einer wirklichen Integrationspolitik sein. Andererseits bilden ja auch andere soziale Schichten wie die Reichen ihre freiwilligen Gettos und sind nicht einmal gegenüber der eigenen Bevölkerung integrationswillig. Das weist schon darauf hin, dass eine Lösung vermutlich mehr ist, als nur dafür zu sorgen, dass die Häuser nicht herunterkommen, die Gesundheitsversorgung klappt und ein Viertel sicher ist.

Schwierig ist auch der nur als Forderung auf dem Papier formulierte Spagat, einerseits die Garantie zu sichern, dass jede Religion und Kultur praktiziert werden darf, andererseits aber solche Praktiken zu unterbinden, die mit anderen Rechten der EU oder des Mitgliedstaates in Konflikt stehen. Wie schwierig das ist, hat schon der Streit um das Kopftuch gezeigt.

Die Mitgliedsländer haben auch die Verpflichtung sicher zu stellen, dass die kulturellen und religiösen Praktiken nicht verhindern, dass die einzelnen Migranten fundamentale Rechte ausüben oder an der aufnehmenden Gesellschaft partizipieren können. Das ist besonders wichtig, da dazu die die Rechte und die Gleichberechtigung von Frauen, die Rechte und Interessen von Kindern und die Freiheit gehört, einer bestimmten Religion anzugehören oder nicht.