Interessantes Spielzeug für Bürgerrechtler

Die Frage der auf Deutschland gegebenenfalls zukommenden Strafzahlungen dominiert die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung - doch sie wird einseitig hochstilisiert

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Dass sich die Bundesrepublik bewusst Vorgaben des europäischen Gesetzgebers widersetzt, ist nicht akzeptabel

Bundesinnenminister Friedrich ist einer derjenigen, die sich vehement dagegen aussprechen, dass Deutschland eine Richtlinie der EU nicht umsetzt. Der obige Ausspruch "Dass sich die Bundesrepublik bewusst Vorgaben des europäischen Gesetzgebers widersetzt, ist nicht akzeptabel." wurde von ihm getätigt. Der Minister reiht sich damit in die Gruppe derjenigen ein, die den Widerstand gegen eine Richtlinie der EU als unhaltbaren Zustand ansehen, was in den Medien oftmals so kolportiert wird, als würde er sich bei dem "Streit um die Vorratsdatenspeicherung" um eine besonders skandalöse Angelegenheit handeln und die Nichtumsetzung einer Richtlinie die absolute Ausnahme darstellen. Nur wenige Medien mach(t)en sich die Mühe, einmal näher zu beleuchten, ob ein Widerstand gegen eine EU-Richtlinie tatsächlich so selten ist, dass es der Skandalisierung wie bei der VDS bedarf.

Insgesamt sind derzeit 1.590 Vertragsverletzungsverfahren gegen einzelne EU-Länder anhängig, davon betreffen 68 den EU-Mitgliedsstaat Deutschland. 22 dieser Verfahren beziehen sich auf Nichtumsetzungen einer EU-Richtlinie. Die VDS-Richtlinie ist somit keineswegs so exotisch, wie dauerhaft dargestellt wird, sondern stellt eher einen Fall unter vielen dar. Interessant ist hier aber, dass (während der Streit um die VDS die mediale Aufmerksamkeit genießt) die anderen Verfahren größtenteils weder bekannt gemacht noch analysiert werden. Dabei gibt es unter den zahlreichen Verfahren, die zahlreiche Ministerien betreffen, ein Verfahren, das heraussticht. In diesem Fall hat Deutschland die Richtlinie nicht nur bisher eben nicht umgesetzt, es macht auch von der Möglichkeit, einen Antrag auf Beibehaltung der nationalen Gesetzgebung Gebrauch.

Sicherheit für die Kinder

Die Richtlinie 2009/48/EG wurde verabschiedet, um das Sicherheitsniveau von Spielzeug in den Mitgliedstaaten zu harmonisieren und Hemmnisse im Spielzeughandel zwischen den Mitgliedstaaten abzubauen.

Um ein hohes Maß an Schutz der Kinder vor Gefahren zu gewährleisten, die durch chemische Stoffe in Spielzeug und die Verwendung von gefährlichen Stoffen, insbesondere von als karzinogen, mutagen oder reproduktionstoxisch eingestuften Stoffen (CMR-Stoffe) und allergenen Stoffen und bestimmten Metallen, entstehen, sollte mit großer Umsicht vorgegangen werden. Es ist daher insbesondere erforderlich, die Bestimmungen über chemische Stoffe in Spielzeug zu ergänzen und zu aktualisieren, um vorzuschreiben, dass Spielzeuge den allgemeinen Rechtsvorschriften über Chemikalien entsprechen müssen, insbesondere der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) und zur Schaffung einer europäischen Agentur für chemische Stoffe (1). Diese Bestimmungen sollten jedoch auch an die besonderen Bedürfnisse von Kindern angepasst werden, die eine Gruppe besonders schutzbedürftiger Verbraucher bilden.

(§20 der Richtlinie)

Um Kinder vor der Gefahr einer Hörschädigung durch Geräusche abgebendes Spielzeug zu schützen, sollten strengere und umfassendere Normen zur Begrenzung der Höchstwerte der durch dieses Spielzeug verursachten Impulsgeräusche und Dauergeräusche festgelegt werden. Es ist daher erforderlich, neue wesentliche Sicherheitsanforderungen bezüglich der Geräuschbelastung durch solches Spielzeug festzulegen.

(§27 der Richtlinie)

Die spezifischen Regelungen der Richtlinie sind mannigfaltig. Fest steht jedoch, dass sie für die Mitgliedsstaaten bedeutet, dass die bisherigen Regelungen überarbeitet und der Richtlinie angepasst werden sollten, wenn nicht der einzelne Staat, auf die Einbehaltung seiner nationalen Regelungen pocht. Bei der vorgenannten Spielzeugrichtlinie war dies der Fall.

Nach Artikel 114 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) kann ein Mitgliedstaat der Kommission einzelstaatliche Bestimmungen mitteilen, deren Beibehaltung er für erforderlich hält und die durch wichtige Erfordernisse im Sinne des Artikels 36 AEUV oder in Bezug auf den Schutz der Arbeitsumwelt oder den Umweltschutz gerechtfertigt sind. In Artikel 36 AEUV sind als solche wichtigen Erfordernisse Gründe der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums aufgelistet.

Zwar hat Deutschland, wie die EU-Kommission mitteilte, bereits einige Sonderregelungen durchsetzen können, was die Chemikalienbelastung von Spielzeug angeht, doch diese betreffen nur einige Chemikalien. Bei anderen aufgeführten Chemikalien hätten die von Deutschland angeführten Begründungen für die Gefährlichkeit eben dieser Stoffe nicht ausgereicht, um eine Sonderregelung erwirken zu können. Auf Deutschlands Seite ist man der Meinung, die Regelungen der EU reichten nicht aus, vielmehr sei das deutsche Schutzniveau beizubehalten; auf EU-Seite ist man vom Gegenteil überzeugt. Da beide Seiten sich nicht einigen können, hat sich Deutschland nun mehr entschlossen, gegen die Richtlinie zu klagen.

Die gefährlichen Chemikalien

Ein Problem bei der Angelegenheit ist, dass die EU und Deutschland verschiedene Ansichten haben, was die Gefährlichkeit mancher Stoffe angeht, was insbesondere sich auch in dem Umgang mit Menschen, die mit Chemikalien zu tun haben, niederschlägt. Gerade auch im Zuge der Antiterrorgesetze wurde der Umgang mit Chemikalien für Hobbychemiker immer schwieriger und die Gefahr, plötzlich einer Hausdurchsuchung ausgesetzt zu sein, wuchs.

Es ist daher verständlich, dass gerade im Bereich Chemikalien die Ansichten der EU und Deutschland auseinanderdriften, zu beachten ist aber, dass Deutschland hier, da es ja für den Schutz der Kinder plädiert, weder Zeit noch Mühen scheut, um gegen eine Richtlinie anzugehen bzw. für sich selbst Sonderrechte, was deren Umsetzung angeht, zu erlangen. Die hohen Schutzstandards seien einzubehalten, wird seitens der Ministerien für Verbraucherschutz und Wirtschaft plädiert und bisher ist niemand auf die Idee gekommen, dies mit "Dass sich die Bundesrepublik bewusst Vorgaben des europäischen Gesetzgebers widersetzt, ist nicht akzeptabel" zu kommentieren oder gar eine Rechnung aufgrund gegebenenfalls zu erwartender Strafzahlung aufzumachen.

Die Spielzeugrichtlinie - nur ein Einzelfall?

Wie viele solcher Anträge bereits gestellt wurden, ist nicht zentral erfasst, weshalb darüber keine Auskunft gegeben werden konnte, als die Linksfraktion eine Kleine Anfrage an den Bundestagspräsidenten bezüglich der Vertragsverletzungen Deutschlands stellte. Auch über abgeschlossene Verfahren wird keine Statistik geführt, doch fest steht, dass es bisher zu keinerlei finanziellen Sanktionen gegenüber Deutschland kam. Anders als bei den Ländern Spanien, Griechenland, Frankreich, Portugal und Italien, wobei keine Auskunft darüber gegeben werden konnte, ob die verhängten Bußgelder gezahlt wurden, da dies der Bundesregierung nicht bekannt ist.

Wie auch viele andere Verfahren findet die Spielzeugrichtlinie eher wenig Beachtung, während die VDS in einer Art medialpolitischem Dauerfeuer zum Skandal hochstilisiert wird, der nur durch das Einlenken Deutschlands zu beenden wäre. Dabei gäbe es auch hier die Möglichkeit, sich für die Einbehaltung nationaler Regelungen einzusetzen oder Ausnahmeregelungen durchzusetzen, sofern sich niemand gegen die Richtlinie an sich einsetzen will.

Doch dieses Mittel scheut man in Deutschland. Dies ist wenig verwunderlich, denn schon seit Beginn der Auseinandersetzung um die VDS waren gerade CDU/CSU und SPD Parteien, die sich für eine Durchsetzung der VDS einsetzten, wenn auch unter dem Deckmäntelchen der "mit Bauchschmerzen verabschiedeten Regelungen" bzw. der "Unmöglichkeit der Nichtumsetzung einer Richtlinie". Die EU-Richtlinie bot die Möglichkeit, den Schwarzen Peter auf eine vage EU weiterzugeben und die eigenen Hände in Unschuld zu waschen. Ein Wegfall der EU-Richtlinie oder aber die Genehmigung von Sonderregelungen für Deutschland würde die Parteien in Zugzwang bringen, was gerade hinsichtlich der politischen Lage derzeit von den großen Parteien logischerweise nicht gewollt wird.

Die FDP, allen voran die Bundesjustizministerin, spielt derzeit auf Zeit, wohl wissend, dass die von der Ministerin ins Spiel gebrachte Lösung keineswegs als Umsetzung der Richtlinie gedeutet werden könnte. Doch ein Abrücken vom "Nein zur VDS" kann sich die schwächelnde FDP nicht leisten. Dass die Medien insofern oft so ungefragt das Damoklesschwert der auf Deutschland zukommenden Strafzahlungen verbreiten, ist insofern nur im Interesse dieser Parteien. Umso wichtiger wäre es, immer wieder zu erläutern, dass dieses Damoklesschwert nicht nur stumpf ist, sondern durchaus auch von denen, die es über sich hängend wähnen, selbst abgenommen werden könnte.

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