Irak, Syrien, Afghanistan, Ukraine: "Luftangriffe wurden fast nie strafrechtlich verfolgt"

Seite 2: Als die Bundeswehr angeklagt wurde: Vergleich mit der "Bombennacht von Kundus"

Aber ist der Nachweis nicht unglaublich schwer zu erbringen? Zum einen müsste Russland freien Zugang zu Informationen geben. Zum anderen gibt es im Fall der Ukraine immer wieder Hinweise darauf, dass zivilen Liegenschaften militärisch genutzt werden. Wie ist das rechtlich zu bewerten?

Andreas Schüller: Luftangriffe sind deswegen oft eben nicht rechtswidrig oder strafrechtlich verfolgbar, weil das Recht, das Luftangriffe regelt, relativ schwach ist und den Angreifer begünstigt, anstatt Zivilisten zu schützen.

Das haben wir auch bei den Drohnenangriffe der USA oder anderer Staaten gesehen, die sich diese Rechtslage zu Nutze gemacht haben.

Es kommt nach dem humanitären Völkerrecht darauf an, welches Ziel der befehlshabende Kommandeur angreifen wollte und mit welcher Intention. Mitunter kann es sogar sein, dass sich die Lage im Nachhinein anders darstellt, als der Befehlshaber das vorhergesehen hat ...

… wie im Fall der Bombennacht von Kundus Anfang September 2009 ist ein Beispiel dafür.

Andreas Schüller: Ja, dabei hat der damalige Oberst Georg Klein eine Menschenmenge angreifen lassen, weil er gedacht hat, das sind alles irgendwie Taliban, angeblich auf Basis der Angaben eines Informanten.

Tag darauf stellte sich heraus, dass der Angriff knapp 100 Zivilisten das Leben gekostet hat. Aber das ist von den Gerichten nicht für rechtswidrig befunden worden, weil er ja gedacht und im guten Glauben gehandelt haben soll, der Kriegsgegner, also ein militärisches Ziel, würde mit einem geeigneten Mittel angegriffen.

Dass so etwas nicht für rechtswidrig erklärt wurde, das kommt Russland jetzt zugute. Bis heute hat man eine sehr hohe Beweislast und muss nachweisen, dass der angreifende Befehlshaber entweder gezielt Zivilisten angreifen wollte – den Beweis wird man in vielen Fällen nur schwer führen können –, oder er zwar ein militärisches Ziel angreifen wollte, aber der zu erwartende zivile Schaden den militärischen Nutzen überwiegen würde.

Und diesen Beweis zu führen, vor allem strafrechtlich, das ist in der Tat extrem schwierig. Das hat sich ja auch in der Vergangenheit gezeigt: Luftangriffe wurden fast nie strafrechtlich verfolgt. Egal von welcher Partei, sei es von Russland, auch in Syrien, sei es von Deutschland oder anderen in Afghanistan, seien es Drohnenangriffe der USA weltweit oder von Israel in Gaza.

Ein Sprecher des Europäischen Auswärtigen Dienstes sagte gegenüber Telepolis, ich zitiere: "Es ist notwendig daran zu erinnern, dass keiner der Angriffe und Zerstörungen ohne den Beginn von Putins Aggression gegen die Ukraine stattgefunden hätte." Entbindet das die Ukraine von ihrer Verantwortung bei der Beachtung des humanitären Völkerrechtes?

Andreas Schüller: Dieser Punkt wird interessant, wenn es künftig zu Entschädigungen für unmittelbar Betroffene und ihre Angehörigen kommen sollte.

Auf dieser Ebene könnte es dann relevant werden, dass Russland für einen Angriffskrieg entschädigen muss und nicht die Ukraine für den Fall, dass eine Abwehrmaßnahme eigene Landsleute geschädigt haben könnte, was ja auch erst einmal entsprechend ermittelt und festgestellt werden müsste.

Herr Schüller, die Europäische Union ist recht aktiv beim Zusammentragen von Informationen über russische Kriegsverbrechen in der Ukraine. Was für eine Perspektive hat das denn ohne die Kooperation Moskaus, die ja kaum zu erwarten ist?

Andreas Schüller: Ich habe eben geschildert, dass gerade Untersuchungen von Luftangriffen sehr schwierig sind. Aber es kann natürlich auch sein, dass Funksprüche oder Ähnliches abgehört werden, was natürlich auch aus dem Ausland heraus geschehen kann. Solche Protokolle wären wichtige Beweismittel.

Aber es wird natürlich alles untersucht und wenn es um Erschießungen geht oder auch um die Entführung von Kindern durch Russland, was der Internationale Strafgerichtshof ja angeklagt hat, das sind das Tatbestände, die leichter zu ermitteln sind.

Im laufenden Ukraine-Krieg gibt es eine ganze Palette von Völkerstraftaten, die mutmaßlich begangen worden sind. Und deswegen sind auch die Ermittlungen so breit.

Was bringt das alles dann?

Andreas Schüller: Ich glaube, viele Staaten bereiten sich darauf vor, künftig tätig zu werden. Wenn selbst in 20 oder 30 Jahren ein russischer Tatverdächtiger irgendwo auftaucht oder einreist, dann könnten die Behörden in Drittstaaten tätig werden. Solange sich die Verhältnisse in Russland nicht ändern, wird aber wohl niemand ausgeliefert werden.

Dennoch ist es wichtig, Beweise zu sammeln, um dann gegebenenfalls Verfahren führen zu können. Das fordern wir auch mit Blick auf andere Konflikte, Staaten und Fälle, zu denen auch in Deutschland und anderswo Beweise gesammelt werden könnten. Und geschieht leider nur sehr eingeschränkt und einseitig.

Andreas Schüller ist Rechtsanwalt und leitet beim ECCHR den Programmbereich Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung. Er hat Rechtswissenschaften in Trier und Orleans (Frankreich) studiert und hält einen LL.M. (adv.) Abschluss der Universität Leiden. Seine Schwerpunkte sind das US-Folterprogramm, der Drohnenkrieg der USA, Folter durch britische Soldaten im Irak sowie Kriegsverbrechen unter anderem in Sri Lanka und Syrien. In Publikationen und Vorträgen widmet er sich dem Internationalen Strafrecht und dem Menschenrechtsschutz.

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