Ist Wladimir Putin wirklich ein Faschist, wie er im Lehrbuch steht?

Seite 2: Snyder und der Kongress von Kiew

Snyder macht viele Worte um den vermeintlichen russischen Faschismus, doch er sagt nichts über dessen gesellschaftliche Funktion oder weshalb sich viele Menschen von ihm angezogen fühlen könnten.

Neu sind seine Auslassungen auch nicht. Schon im Jahre 2014 meinte er, der Faschismus kehre auf den Kontinent zurück, den er einst zerstört habe. Was da zurückkehrt, beschrieb er damals so:

Faschismus bedeute die "leuchtende und strahlende Alternative zu den alltäglichen Pflichten, als Feier des offensichtlich und völlig Irrationalen gegen den gesunden Menschenverstand und die Erfahrung".

Oder: "Faschismus bedeutet die Zelebrierung der nackten männlichen Form, die Besessenheit von Homosexualität, die gleichzeitig kriminalisiert und imitiert wird."

Der Artikel mit dieser Definition von Faschismus erschien am 12. Mai 2014 in der US-amerikanischen Zeitschrift The New Republik, deren Literaturchef damals noch Leon Wieseltier war. In dem Artikel machte Snyder nicht deutlich, dass er auch politischer Aktivist ist und gemeinsam mit Wieseltier den Kongress "Ukraine: Thinking Together" organisiert hatte, der nur wenige Tage nach Erscheinen des Artikels in Kiew stattfinden sollte.

Im "Manifest" für diesen Kongress machen sie keinen Hehl aus ihren Sympathien für den Maidan-Umsturz und ihre Ablehnung der Janukowitsch-Regierung, die nur wenige Wochen zuvor gewaltsam aus dem Amt getrieben wurde. Die Ukraine sei "wie die Tschechoslowakei im Jahr 1938, eine pluralistische Gesellschaft inmitten autoritärer Regime, ein faszinierendes und unruhiges Land, das von seinen Nachbarn kaum verstanden" werde, heißt es in dem Papier.

Auf dem Podium des Kongresses saßen zahlreiche Intellektuelle, die mit dem Westen verbunden waren. Zum Beispiel der bulgarische Politologe Ivan Krastev, Permanent Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien, das von mehreren EU-Staaten unterstützt wird und entsprechende Kontakte unterhält.

Mit dabei waren auch der ehemalige französische Außenminister Bernard Kouchner und der französische Publizist Bernard-Henri Lévy. Beide unterstützten als "humanitäre Interventionen" bezeichnete Kriege. Mit Carl Gershman war auch der Präsident des National Endowment for Democracy (NED) anwesend. Dem NED wird unter anderem die Unterstützung von Staatsstreichen zugeschrieben.

Unterstützt wurde die Veranstaltung durch die Botschaften von Kanada, Frankreich, Deutschland, Polen und den USA. Neben der ukrainischen Regierung wurde der Kongress durch die Stiftung des ehemaligen ukrainischen Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk unterstützt.

Vor diesem Hintergrund kann man annehmen, dass Snyder als Organisator des Kongresses nicht unvoreingenommen auf Russland blickt und seine "Theorien" wohl nur die Ukraine-Politik der Nato-Staaten rechtfertigen sollen.