Ist der Urknall in einer gewaltigen Zeitschleife gefangen?

Zyklisches Urknallmodell, das dem kosmischen Zeitpfeil den Garaus macht, wird kontrovers diskutiert

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Das neue zyklische Urknall-Modell von den Astrophysikern Paul J. Steinhardt (Princeton University) und Neil Turok (Cambridge University) klingt fantastisch. Vor 14 Milliarden Jahren soll unser Universum mit einem membranartigen Paralleluniversum kollidiert sein, woraus sich der Urknall entzündete. Dieser Vorgang soll sich alle paar Billionen Jahre wiederholen - bis in alle Ewigkeit. Doch die in der aktuellen Science explizierte Theorie wird von anderen Forschern mit Skepsis zur Kenntnis genommen

Leider gibt es kein Bild von der Geburt unseres Universums nach dem "Branen-Crash" - Doch dieses Hubble-Bild mag zu Assoziationen einladen

Es war ganz sicherlich kein Ereignis im irdischen Sinne, da hierfür das Zusammentreffen einer räumlichen und einer zeitlichen Koordinate vonnöten gewesen wäre. Natürlich wurde der Urknall auch nicht von einer unglaublichen Explosion, die mit einem gewaltigen Knall einher ging - eingeläutet. Nein, als Zeit und Raum in einem ungeheurem Inferno vor zirka 14 Milliarden Jahren binnen 10-30 einer Sekunde geboren wurden und sich "kurz" darauf aus einer brodelnden kosmischen Ursuppe Materie und Antimaterie bildeten, geschah etwas absolut Unerklärliches, das Wissenschaftler schon seit geraumer Zeit mit Formeln und angemessenen Wörtern zu beschreiben versuchen.

Alle paar Billionen Jahre ein Urknall

Die Theorie, die dabei Konturen gewonnen hat, das Urknall-Modell, ist trotz einiger Anfechtungen nach wie vor das einheitlich anerkannte Standardmodell der Kosmologie. Ihr zufolge expandierte das Universum während der inflationären Phase derart rasch, dass sich ein ehemals zusammenhängender Bereich weit über die Größe des heute beobachtbaren Universums ausdehnte. 21 Jahre lang arrangierten sich die Astronomen mit dieser konstruierten Erklärung. Doch nunmehr sind die beiden Astrophysiker Paul J. Steinhardt und Neil Turok mit einer völlig neuen Idee vorstellig geworden, wonach der Big Bang allgemein kein singuläres (für sich gesehen natürlich schon), sondern sich schon seit Ewigkeiten immerfort zyklisch wiederholt hat.

"Das Standard-Modell hat einige Risse", erklären Steinhardt und sein Kollege Neil Turok "Die kürzlich gemachten Entdeckungen einer kosmischen Beschleunigung und der Dunklen Energie wurden in dem bisherigen Standard-Modell nicht berücksichtigt. Ferner erklärt das Standard-Modell nicht den Beginn der Zeit, die anfänglichen Bedingungen im Universum oder was mit ihm in ferner Zukunft geschieht", so das Forscherduo.

Genau dieses Defizit soll das Modell des Zyklischen Universums kompensieren. "Der Urknall muss nicht der Anfang von Raum und Zeit sein, sondern könnte ein Übergang sein zwischen einer expandierenden und kontrahierenden Phase des Universums", so Steinhardt über die zentrale These seines neuen Denkansatzes, der auf der immer noch sehr kontroversen String-Theorie basiert, die unter Experten bekanntlich als entscheidender Schlüssel für die Formulierung der "Weltformel" angesehen wird.

Urknall entzündet sich bei Branen-Crash

Steinhardts und Turoks Ideenkonzept zufolge, das insbesondere den Steady-State-Theoretikern gefallen dürfte, leben wir in einer vierdimensionalen Membran, die gleichwohl nur ein Teil der im String-Modell postulierten elf-dimensionalen Raumzeit ist und zu der es ein spiegelbildliches Gegenstück gibt: ein Paralleluniversum. In diesem höherdimensionalen "Bulk-Universum" bildet unser Universum, das eine Raumdimension weniger besitzt, eine "Bran" (abgeleitet von Membran), wobei die zweite "Bran" zu dem von Steinhardt und Turok postulierten Schattenuniversum gehört. Kollidieren nun diese beiden "Branes" miteinander, was laut Steinhardt und Turok alle paar Billionen Jahre geschehen soll, "entzündet" sich ein Urknall. Dabei wird eine gewaltige Energiemenge in Form von Materie und Strahlung freigesetzt. Unmittelbar darauf bewegen sich die beiden "Branes" dann wieder voneinander weg (in der vierten Raumdimension), während sie sich innerhalb ihrer drei Raumdimensionen ausdehnen.

Im Verlaufe ihrer Evolution entfalten sich die beiden neuen Universen gemäss der gängigen kosmologischen Theorie langsam unter Einwirkung der dunklen Energie über einen Zeitraum von Milliarden von Jahren, wobei deren Expansion zuerst gebremst, dann aber beschleunigt wird, um in diesem Zustand schließlich für einige Billionen Jahre zu verharren. Für uns bedeutet dies: Unser Universum expandiert fortwährend, wobei die ihre durch die Energie des Urknalls erzeugte Materie während der Billionen Jahre dauernden Expansion langsam ausgedünnt wird, bis die "branes" schließlich wieder miteinander kollidieren und einen neuen Urknall produzieren (usw.).

Besonders interessant an der neuen Theorie, die auf der von Steinhardt bereits im letzten Jahr postulierten ekpyrotischen Modell (Vgl. Der Ultra-Crash vor dem Big-Bang) beruht, ist die Tatsache, dass die Materie beider Welten miteinander wechselwirken kann. So könnten die mysteriöse und unsichtbare dunkle Materie, die für das Rotationsverhalten von Galaxien verantwortlich ist, eine Folge der Gravitation aus dem Paralleluniversum sein.

Kritiker melden sich zu Wort

Doch diesen sehr komplizierten und teils konfusen Theorieansatz hält Prof. Gerhard Börner vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching für viel zu theoretisch. "Nach Steinhardts Theorie müssen die Stringobjekte (Saiten oder Membranen) wie beim in die Hände klatschen miteinander kollidieren, damit jedes Mal ein neuer Urknall entsteht. Damit das passiert, müssen die Energiewerte sehr fein miteinander abgestimmt sein", gibt Börner zu bedenken. Dies sei aber überhaupt nicht durchgerechnet und außerdem halte das zyklische Universum auch in vielen anderen Punkten den bisherigen Berechnungen nicht stand, wie etwa bei der gemessenen Ungleichverteilung der Materie im Universum. "Die Vorhersagen des Standardmodells stimmen sehr gut überein mit experimentellen Befunden. Andere Theorien sind zu unkonkret, als dass man solche Rechnungen machen könnte."

Während der englische Kosmologe David Lyth von der britischen University of Lancaster seine Skepsis gegenüber Steinhardts und Turoks Theorie in noch relativ moderaten Worten zusammenfasst ("Die Fachwelt ist sehr, sehr skeptisch"), bringt der bekannte russische in Amerika lehrende und forschende Kosmologe Andrei Linde von der Stanford University seine Zweifel noch deutlicher zum Ausdruck: "Es ist einfach eine sehr schlechte Idee, die höchstens unter Journalisten populär ist. Es ist eine extrem komplizierte Theorie, die schlichtweg nicht funktionieren kann."

Etwas plastischer wird das undurchsichtige Modell durch eine kurze Simulation (Shockwave-Player erforderlich):