Ist die Marktwirtschaft alternativlos?

Marktwirtschaft wird heute wie eine Religion verteidigt. Warum Alternativen dennoch notwendig sind. Und weshalb eine Debatte über Systemfragen keine "verhängnisvolle Anmaßung" ist (Teil 1)

Karl Marx hat sehr wenig über die Gestaltung einer möglichen künftigen, sozialistischen Gesellschaft gesagt. Vielmehr war für ihn die wissenschaftliche Analyse des Bestehenden vordringlich, denn nur durch diese ist begründbar, welche Systemänderungen notwendig sind, was also geändert werden muss und wo anzusetzen ist.

Konkrete Bestimmungen der Alternative könnten und würden sich im Zug ihrer politischen Vorbereitung und Durchsetzung ergeben. Wie sich solche Formen im revolutionären Kampf herausbilden, war dementsprechend einer der Aspekte, unter denen er die Erfahrungen der Pariser Kommune in seiner Schrift Der Bürgerkrieg in Frankreich darstellte.1

Der bekannteste und zugleich ausführlichste Hinweis, den Marx über die künftige Gesellschaft gegeben hat, findet sich in der Kritik des Gothaer Programms2. Er unterscheidet darin eine "erste Phase" der kommunistischen Gesellschaft, welche "eben aus der kapitalistischen Gesellschaft nach langen Geburtswehen"3 hervorgegangen sein wird, von einer höheren Stufe, die er durch das Prinzip "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen"4 gekennzeichnet sieht.

Darüber, wie lange die erste Stufe andauern wird und was die Kriterien für den Übergang zur zweiten Stufe sein werden, kann nicht viel gesagt werden, solange die Herrschaft des Kapitals noch ungebrochen ist, und daher nicht einmal die Entstehungsumstände für die erste Stufe erkennbar sind.

Eines soll aber in jedem Fall angemerkt werden: je weiter die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen durch den Kapitalismus voranschreitet, desto schwieriger wird es nach dessen Überwindung werden, die kommunistische Gesellschaft aufzubauen, und umso länger wird es dauern, ihre höhere Stufe zu erreichen. Im Folgenden wollen wir jedoch nur über die erste Phase sprechen,5 wobei selbstverständlich mit "Sozialismus" nicht das gemeint ist, was es einst als "Realsozialismus" gab.

In jedem Fall ist es so, dass die erste Stufe dadurch gekennzeichnet ist, dass noch Wünsche offen bleiben. Das heißt: könnte sich jeder aus der Menge der produzierten Güter nehmen, was ihm gefällt, so würde diese Menge nicht ausreichen. Es ergibt sich also die Aufgabe, eine geeignete Art der Verteilung zu installieren. Marx kritisiert die diesbezüglichen, von Ferdinand Lasalle beeinflussten Parolen des Gothaer Programms dahingehend, dass sie nur Ideale formulieren und sich dabei in unzureichend definierten Begriffen ergehen.

So entlarvt er die Forderung nach "gerechter Verteilung des Arbeitsertrags" als "hohle Phrase", indem er fragt "was ist der Arbeitsertrag?" und "was ist gerechte Verteilung?" und darauf hinweist, dass es für die Apologeten des Kapitals keine Schwierigkeiten bereitet, diese Begriffe so zu bestimmen, dass just die kapitalistischen Verhältnisse als Erfüllung dieser Forderung erscheinen.

Um hier Klarheit zu bringen, erörtert er, was mit dem Arbeitsertrag in der sozialistischen Gesellschaft geschehen muss, bestimmt dabei als Ausgangspunkt erst einmal "Arbeitsertrag" so umfassend wie möglich als das gesamte Arbeitsprodukt der Gesellschaft und zählt sodann auf, was davon alles abgezogen werden muss, ehe der Rest als Konsumgüter an die arbeitenden Gesellschaftsmitglieder verteilt werden kann: Ersatz und Neuinvestition von Produktionsmitteln, Reserve für unvorhergesehene Fälle, Verwaltungskosten, Gemeinschaftseinrichtungen und Alimentierung von Arbeitsunfähigen.6 Erst dann kann man zur Verteilung des Rests schreiten.

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