Jean-Luc Godard, Brigitte Bardot und eine Lampe im Lichte der #MeToo-Debatte

Seite 5: Konvention und Revolte

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Wenn Brigitte Bardot ein Bad nimmt sehen wir nicht, wie von den Produzenten gewünscht, ihre nackten Brüste, sondern Luc Moullets Buch über Fritz Lang, den Camille mit diesem Satz zitiert (Seite 124): "Man muss revoltieren, wenn man durch die Umstände und die Konventionen in der Falle sitzt." Für Godard war die Falle, dass Levine und Ponti im Austausch für ihr Geld Sex und Nacktheit mit Bardot verlangten. Er revoltierte gegen diese Umstände auf seine Weise: indem er ihnen gab, was sie haben wollten, sich dabei aber nicht an die Konventionen hielt.

Anstelle von Bardots Busen gibt es reichlich Brusthaar von Piccoli. In der Wohnung steht eine metallene Frauenskulptur, als in die Abstraktion verzerrtes Spiegelbild von Camille und der Statuen, die Lang für seine Odyssee-Adaption gefilmt hat. Die Skulptur ist mit im Bild, wenn Paul seinen Hosenstall öffnet und die antiken Darstellungen des Geschlechtsverkehrs studiert. Das sind Sexszenen, nur eben verschoben ins Symbolische und so, dass beim Voyeur im Kino keine rechte Lust aufkommen will. Einmal hebt sich zwischen den Beinen von Piccoli der nackte Fuß von Bardot. So sieht bei Godard eine Erektion aus.

Konvention und Revolte (17 Bilder)

Le mépris

Paul macht gerade seine Hose zu, als sich Camille (nach etwas Product Placement für Coca-Cola) nackt auf das rote Sofa legt. Dann hören wir aus dem Off die Stimmen von Piccoli und Bardot, die einen Dialog der sich ergänzenden Erinnerungen führen. Paul sagt, dass er daran gedacht habe, dass Camille ihn irgendwann verlassen könnte, und diese Katastrophe sei dann eingetreten. Camille spricht von der unbekümmerten Hemmungslosigkeit, mit der sie sich (am Anfang ihrer Liebe) einander hingegeben hätten. Paul nimmt an, dass Camille ihn jetzt, da der Zauber der Hingabe verflogen sei, emotionslos betrachte und fragt sich, ob er umgehrt auch dazu in der Lage sei.

Das sind rückblickende Kommentare zu einer verlorenen Liebe, und dazu sehen wir eine verwirrende Abfolge von Bildern, die teils zurück in die Vergangenheit führen (Camille in Cinecittà und an einem See im Wald), teils auf die Zukunft verweisen (Camille und Paul auf dem Dach der Villa Malaparte) und zwischendurch den Produzenten die pornographische Nacktheit ins Gesicht schleudern, die sie gefordert hatten. In nachgestellter Playboy-Erotik präsentiert BB sich hüllenlos auf weißem und blauem Fell wie ein Photomodell in der Wichsvorlage aus dem Herrenmagazin.

Godard lässt Bardot einladend in die Kamera blicken, dann durchtrennt er an der Taille ihren nackten Leib oder er schneidet ihr das Gesicht weg, weil die Pornographie die Frau auf ihre Körperteile reduziert wie zu Beginn des Films sprachlich bereits durchexerziert. Um Paul ihre Verachtung zu demonstrieren zeigt Camille sich ihm (rotes Badetuch auf rotem Sofa) als das Sexobjekt, als das Brigitte Bardot von geschäftstüchtigen Produzenten vermarktet wurde. Wer ernsthaft glaubt, dass Godard rasch eine halbe Stunde Leinwandzeit in dieser Wohnung herunterkurbelte, um auf Spielfilmlänge zu kommen, hat nicht hingeschaut.

In der Wohnung dominieren die von der Pop Art favorisierten Primärfarben. Vor dem Hintergrund der weißen Wände werden sie zu ins Auge springenden Klecksen und zum Zitat. Irgendwo zwischen Flashback und Flashforward schwebt die Einstellung, mit der Godard die Farbkodierung seines Films rekapituliert. In das rote Badetuch gewickelt liegt Camille auf einem Bett mit gelber Decke. Am Bettpfosten hängt ihr blaues Kostüm. Im Off steht der von Camille mit einem Tritt dorthin beförderte Paul.

Le mépris ist voller Parallelen zwischen der Antike und einer Gegenwart, die dabei nicht gut abschneidet. Während Camille auf dem Bett liegt trägt Paul ein weißes Handtuch, das er um den Körper drapiert hat wie die Toga eines römischen Senators im Historienfilm - auf dem Kopf den Hut, mit dem er sich als Dean Martin stilisieren will. Zu Caesar wird er dadurch nicht, eher zu lächerlichen Figur. Im weiteren Verlauf der Handlung wird er von den Römern zu den Griechen überwechseln. Er vergleicht sich dann mit Odysseus und seine Beziehung zu Camille mit der von Homers Helden zu Penelope.

Odysseus’ mächtigster Gegenspieler ist der Meeresgott Poseidon, der in Langs Film als Statue mit blau angemalten Augen auftaucht. Blau ist die Farbe der Kälte und des Meeres, das Paul und seine Liebe zu Camille zu verschlingen droht, auch der Käuflichkeit und Prostitution (Anna Karinas blauer Mantel auf dem Vivre-sa-vie-Plakat). Rot steht für Leidenschaft, Sex, Erotik, Potenz, Missbrauch. Das Gelb der Bettdecke und des Bademantels verbindet Camille mit Francesca und Prokosch, der beide Frauen sexuell bedrängt; es trennt sie von Paul, der nicht angemessen auf Prokoschs Verhalten reagiert.

Wie klingt die missbrauchte Frau?

Man kann zeigen, wie Männer Frauen sexuell missbrauchen, man kann das Thema ignorieren und man kann es machen wie Godard: Paul hat Camille wieder gefragt, warum sie so seltsam sei, seit sie bei Prokosch im Palazzo waren. Wieder hat er keine ihn befriedigende Antwort erhalten. Nur wir, das privilegierte Publikum, hören ihre Stimme aus dem Off als gewähre Godard uns Zugang zu ihren Gedanken. Paul gegenüber, sagt Camille, habe sie nur Andeutungen darüber gemacht, was sie so verletzt hatte, ohne konkret zu werden. Dazu sehen wir, wie sie in einer blau gemusterten Bluse auf dem roten Sofa sitzt (Farbkodierung!) und mit einem Löffel in einer Tasse rührt.

So ist er eben, der Godard, mag man da wieder sagen. Eine Szene, die banaler kaum sein könnte (Brigitte Bardot beim Teetrinken), wird mit einem rätselhaften Off-Kommentar kombiniert, von dem nicht einmal klar ist, wann, wo, mit wem und aus welchem Anlass Camille da spricht. Dabei ist es gar nicht so schwierig, weil Godard - wie er selber sagt - einen einfachen Film über komplizierte Dinge gedreht hat und nicht umgekehrt, wie manche meinen. Ausgehend von den reichlich vorhandenen Andeutungen kann man sich ohne viel Phantasie als Dialogautor betätigen und sich die Antwort ausdenken, die Camille verweigert. Etwas in der Art vielleicht (Camille zu Paul):

Wir haben mitgekriegt, wie dieser Produzent seine Assistentin demütigt und missbraucht. Mich hat er auch belästigt, weil du mich mit ihm eine halbe Stunde lang alleingelassen hast. Dann gibt er dir sein Kunstbuch mit, in dem die alten Römer Römerinnen vögeln, und du nimmst von ihm 10.000 Dollar, um neue Szenen für den Film zu schreiben, den Fritz Lang gerade dreht und der nach Prokoschs Geschmack zu wenig Sex und nackte Frauen enthält. Dafür soll ich jetzt dankbar sein, weil du mit dem Geld die Wohnung abbezahlen kannst, in der wir leben. Und zu allem Überfluss soll ich dir noch ausbuchstabieren, warum ich so komisch bin. Wie bescheuert bist du eigentlich?

Weil Camille aber nichts von dem sagt gibt sich Paul die Antwort selbst, nur ohne es zu merken. In seiner Handtuchtoga steht er frustriert vor der Frauenskulptur aus Metall. Mit den Knöcheln einer Hand klopft er sie ab. Dabei stellt er fest, dass ein Schlag gegen die Brüste anders klingt als einer gegen die Vulva. Dann kommt Camille ins Zimmer und er gibt ihr eine Ohrfeige. Man kann hier den Standpunkt des Kulturhistorikers einnehmen und über Godard und sein Verhältnis zur Moderne und zur bildenden Kunst referieren, unter Berücksichtigung der Wandmalereien in Pompeji.

Wie klingt die missbrauchte Frau? (12 Bilder)

Le mépris

Man kann sich auch für die Perspektive des an Materialwert und Profit orientierten Altmetallhändlers entscheiden: Wie sehr wird der Verkauf von Eintrittskarten dadurch beeinträchtigt, dass Piccoli dieses Kunstwerk abklopft und nicht eine nackte Brigitte Bardot, für deren Mitwirkung die Produzenten viel Geld bezahlen mussten? Oder man bleibt ganz einfach Zuschauer, sieht hin was da ist und hat es dann mit einem Regisseur zu tun, der uns seine Version von sexualisierter Gewalt zeigt, aller erotischen Anwandlungen entkleidet und so, dass der Voyeur nicht auf seine Kosten kommt. Ein Mann haut auf einen Frauenkörper drauf und hört sich an, wie das so klingt.

Geschichte einer Liebe in sieben (acht) Filmen

Die geohrfeigte Brigitte Bardot trägt ihr blond gefärbtes Haar unter einer Perücke, die Anna Karinas Frisur in Vivre sa vie variiert (in der aufgedonnerten Form). Dort ist die Perücke eine Hommage an Louise Brooks und stellt die Verbindung zu den Stummfilmen von G. W. Pabst her, in dessen Die Büchse der Pandora und Tagebuch einer Verlorenen Brooks eine Prostituierte spielt (wie Karina in Vivre sa vie). Mit der Frisur Uma Thurmans in Pulp Fiction erweist Quentin Tarantino Godard und Anna Karina die Referenz, nicht etwa Pabst und Brooks, auch wenn das oft behauptet wird. Es handelt sich also um ein Zitat aus zweiter Hand.

Thurmans und John Travoltas Twist ist von Bande à part inspiriert (mit ein paar Anregungen aus Nanas Tanz in Vivre sa vie), dem Godard-Film, nach dem Tarantino seine Produktionsfirma A Band Apart benannte. In Die Außenseiterbande führen Odile (Karina), Arthur (Claude Brasseur) und Franz (Sami Frey) in einem Pariser Bistro scheinbar spontan den Madison auf, einen damals populären Line Dance, den die Darsteller drei Wochen lang einstudiert hatten und mit dem Odile, Arthur und Franz so tun, als wären sie drei coole Typen in einem Film.

Geschichte einer Liebe in sieben (acht) Filmen (19 Bilder)

Vivre sa vie

Der Zauber dieser wunderbaren Szene liegt im Mangel an Perfektion, der die Tänzer zugleich schweben lässt wie in einem Traum und sie doch immer fest auf dem Boden der Wirklichkeit hält, im durch die Synchronizität der Bewegungen geschaffenen Gemeinschaftsgefühl, das doch nie von der Einsamkeit ablenkt, welche die drei Außenseiter umgibt, und weil das eine von Godard inszenierte Szene ist erleben wir das Entstehen einer Kinoillusion und deren Zerfall, mit auf der Tonspur eingebauten Verfremdungseffekten und einem vom Regisseur aus dem Off eingesprochenen Kommentar, der uns mitteilt, was die Tänzer gerade denken und eine Reminiszenz an Truffauts Jules et Jim ist. Viel mehr geht nicht in drei Minuten.

Bande à part ist einer von sieben Filmen, die Godard mit Karina gedreht hat. In der Kinogeschichte gibt es nichts Vergleichbares. Jedem der Filme ist abzulesen, wie es um die Beziehung der beiden gerade stand. Im ersten, Le petit soldat (1960), kann man dabei zuschauen, wie sich der Regisseur (vertreten durch die Kamera von Raoul Coutard) in seine Hauptdarstellerin verliebt. Hinterher zog sie bei ihm ein. In Une femme est une femme (1961) wünscht sich Anna Karina von Jean-Claude Brialy ein Kind und konsultiert ein Gerät zur Fruchtbarkeitsbestimmung. Während der Dreharbeiten wurde sie von Godard schwanger.

Vivre sa vie (1962) merkt man an, dass die Totgeburt des gemeinsamen Kindes dabei war, die Ehe von Anna und Jean-Luc zu zerstören. Der Film - weniger ein Hurendrama als vielmehr eine Dokumentation über Anna Karina, die eine Hure spielt - schwankt zwischen Erstarrung, Liebe und Aggression und ist in zwölf, durch Zwischentitel voneinander getrennte Kapitel unterteilt. So zerstückelt fühlte sich wahrscheinlich die Existenz der beiden an. Von Bande à part (1964) sagt Anna Karina, dass ihr Godard mit diesem Film das Leben gerettet habe, weil er ihr etwas zu tun gab und sie nach zwei Suizidversuchen von ihrer Traurigkeit ablenkte.

Trotzdem ist Die Außenseiterbande durchdrungen von einer Wehmut, die aus der Einsicht entsteht, dass sich die Distanz zwischen den Charakteren nie ganz überwinden lässt, dass die frühere Spontaneität nur angetäuscht und eine Inszenierung ist und dass man die Vergangenheit nicht wieder lebendig machen kann, indem man die Plots alter Filme nachspielt oder versucht - in Godards vielleicht aberwitzigster Version von einer Liebesszene -, die französische Fassung von Romeo und Julia zurück in Shakespeares Englisch zu übersetzen. Dabei kommt nur "Sein oder Nichtsein" heraus (falsches Stück) und etwas mit Anna Karinas Brüsten.

Geschichte einer Liebe in sieben (acht) Filmen (15 Bilder)

Une femme est une femme

In Alphaville (1965) hat sich die Distanz vergrößert. Anna Karina ist entrückt in eine seltsam gegenwärtige Stadt der Zukunft, sie hilft Lemmy Caution beim Kampf gegen die Maschinen, und Godard inszeniert sie so, als sei sie für ihn nicht mehr erreichbar. Ein paar Tage vor Drehbeginn hatten sie ihre Scheidung bekanntgegeben. Im Dunkel von Alphaville sollte es nicht enden. Pierrot le fou (1965) ist ein Abenteuerfilm und ein letzter Liebesbrief an Anna Karina, mit dem Godard den Abschied in bunten Farben und in Breitwand zelebriert, und mit einem Knalleffekt am Schluss.

Made in U.S.A. (1966) ist das Echo und der Epilog, mit dem Godard zugleich mit Anna Karina seiner Liebe zum amerikanischen Kino Lebewohl sagte. Und auch Le mépris, entstanden zwischen Vivre sa vie und Bande à part, gehört in diese Reihe. Michel Piccoli sagt, beim Aussuchen des Hutes für Paul Javal sei die Wahl auf den gefallen, den der Regisseur auch für sich selbst genommen hätte, und dabei sei ihm klar geworden, dass er und Bardot Godard und seine Frau spielen sollten. So hätten sie das dann auch gemacht, die Rollen also so angelegt, als wären sie das ikonische Paar der Nouvelle Vague.

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