Jean-Luc Godard, Brigitte Bardot und eine Lampe im Lichte der #MeToo-Debatte

Seite 6: Falle für Idioten

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Brigitte Bardot nahm das nicht so gelassen wie Piccoli. In ihren Memoiren erzählt sie davon, wie sie "Godard und seinen Hut" traf und dass er diese auf den Star extrem irritierend wirkende Kopfbedeckung so wenig ablegte wie seinen Ernst. Als besonders ärgerlich blieb ihr eine Szene in Erinnerung, in der sie sich mit dem Rücken zur Kamera von dieser entfernen und die sie mindestens zwanzigmal wiederholen musste: "Ich probte diese Szene, aber es klappte nicht. Und warum nicht? Weil ich mich nicht so bewegte wie Anna Karina! Das war der Gipfel! Ich sollte Anna Karina kopieren, das hatte mir ja gerade noch gefehlt!"

Umgekehrt war Anna Karina wenig amüsiert, als sie sich kopiert sah. Während des langen Ehestreits gibt es eine Szene, in der Paul seiner Frau vorwirft, vulgäre Ausdrücke zu verwenden, was nicht zu ihr passe. Camille reagiert mit einer Aneinanderreihung von Schimpfwörtern, denen sie durch Pausen und Betonung etwas Gravitätisches und Bedeutungsschwangeres verleiht, wie eine Bühnendarstellerin in der griechischen Tragödie, nur dass hier die nackte, in ein rotes Handtuch gehüllte Brigitte Bardot deklamiert. Sie steht dabei vor der weiß gekachelten Wand des Badezimmers.

Le mépris

Godard zeigt sie uns im Profil, isoliert Bardots Kopf und löst ihn aus dem Zusammenhang wie die Worte, die ohne Kontext im Moment des Sprechens ihre übliche Bedeutung verlieren: "Trou du cul … putain … merde … nom de Dieu … piège à cons … saloperie … bordel." Karina, die Dänin in Paris, erkannte sich darin sofort wieder. Sie hatte damals ihren Spaß damit, ihr nicht geläufige, zumeist obszöne französische Wörter hintereinander aufzusagen, unterschiedlich zu betonen und so weiter. Auch das war eine Form des Spracherwerbs, und natürlich war die Lust an der Provokation mit dabei, weil eine wohlerzogene junge Frau nicht "Scheiße!" sagte.

Kraftausdrücke haben die Eigenart, dass sie sich auf verschiedene Weisen in eine andere Sprache übertragen lassen. Hier eine von vielen möglichen Übersetzungen: "Arschloch … Nutte … Scheiße … Herrgott nochmal … Falle für Idioten … Schweinerei … Saustall." Dabei geht notwendigerweise etwas von der Bedeutungsvielfalt des Originals verloren. Beim "Saustall" beispielsweise denkt man nicht unbedingt an ein Bordell, und das französische "Bordel!" kann auch schlicht "Scheiße!" heißen, also ein Synonym für merde sein.

Der deutschen Synchronfassung verdanke ich den Ausdruck "Pottsau" (anstelle von putain, die Nutte), der mir bisher nicht geläufig war. Beim lieben Gott in der Aneinanderreihung witterten die Bearbeiter vermutlich Blasphemie, weshalb sie ihn durch "verfluchte Scheiße" ersetzten, was ich hier nicht tiefenpsychologisch interpretieren möchte. Aus der "Falle für Idioten" ist im Synchronstudio der "miese Hund" geworden. Schade. Godard beherrschte die Kunst, Dialoge zu schreiben, die improvisiert wirkten, ohne es zu sein. Die Falle für Idioten wollte er da haben, also sollte man sie im Dialog belassen.

"Elections, piège à cons" ("Wahlen, eine Deppenfalle") war ein gut zu skandierender Leitspruch der Anarchisten, die weder irgendeinen Gott als übergeordnete Instanz akzeptierten noch eine aus Wahlen hervorgegangene Regierung, weil Wählen ihrer Ansicht nach eine Veranstaltung war, mit der sich die Leute zu Trotteln machen ließen. In einen Film, in dem sich der Produzent aus Amerika mit Poseidon identifiziert, Fritz Lang die Odyssee als Revolte von Odysseus gegen die Götter (weltliche wie die vom Olymp) inszenieren will und der Held als Möchtegern-Anarchist der Kommunistischen Partei beitritt, während seine Frau glaubt, dass er sie wie eine Nutte mit dem Produzenten verkuppeln will, passt das recht gut.

Man kann davon ausgehen, dass jeder das Wort "Scheiße" kennt. Aber hat das Publikum den alten Anarchistenspruch schon mal gehört? Ich weiß es nicht. Wichtig ist, dass Godard uns zutraut, dass wir mit der Falle für Idioten etwas anfangen können und uns so die Möglichkeit eröffnet, in einem Geflecht aus Hinweisen und Bezügen einer der Bedeutungsebenen des Films nachzuspüren. Wer wie die Bearbeiter der deutschen Fassung die Deppenfalle entfernt bevormundet das Publikum. Wenn man die Scheiße lässt und die Falle für Idioten durch den miesen Hund ersetzt braucht man sich nicht zu wundern, was dann übrig bleibt.

Lost in Translation

Wer bei einem Godard-Film das eine nicht mitkriegt sieht oder hört eben etwas anderes. Le mépris ist so überdeterminiert, dass - in einem durchaus demokratischen Sinne - für alle etwas dabei ist, vom Kunsthistoriker über den Kenner der deutschen und französischen Literatur bis zum Filmliebhaber und Krimifreund. Statt eine streng lineare Geschichte zu erwarten, die Godard nicht erzählen will, sollte man den Film wie eines der Mosaike betrachten, die in Prokoschs Kunstbuch abgebildet sind. Das lädt zu einem anderen Sehen ein und steigert das Vergnügen ganz enorm.

Die Farben Rot, Blau und Gelb verbinden die Pop Art mit den alten Griechen (die Antike war viel bunter als das, was jetzt im Museum steht). Fritz Lang zitiert Dante über die Grenzen des Okzidents (in der Göttlichen Komödie kommt auch Odysseus vor) und weiß, dass Hölderlin die Nase voll hatte von den Göttern. Wem das zu hoch ist, oder wer solche Lektüreanregungen lieber ignoriert, der hat immer noch Brigitte Bardot, die nackt auf dem Dach der Villa Malaparte liegt und ein Taschenbuch aus der Schwarzen Serie liest, was sogar die Bildungsbürger und die Intellektuellen freuen dürfte, weil der Krimi Fiktion und Wirklichkeit verknüpft (und Le mépris mit dem Lindenblatt in Langs Die Nibelungen).

Zehn Jahre später drehte François Truffaut mit La nuit americaine eine Feier des Filmemachens. Godard stand dem Gewerbe zu distanziert gegenüber, um es mit Posaunen zu begrüßen, aber eine Feier des Mediums ist es natürlich auch, wenn man wie er ein Feuerwerk der Zitate und Querverweise abbrennt. Man kann irgendwo den Faden aufnehmen und einen Streifzug durch die Filmgeschichte antreten. Brigitte Bardot fällt in ihren Memoiren zu Jack Palance nur ein, dass er ausgesehen habe wie ein Affe. Er war aber auch der Hauptdarsteller in The Big Knife, einer bitterbösen Abrechnung mit Hollywood von Robert Aldrich, für die sich schon der Kritiker Godard begeistert hatte.

Lost in Translation (14 Bilder)

The Big Knife

Bei Aldrich spielt Palance den Publikumsliebling Charlie Castle, der sich und seine Ideale an die Unterhaltungsindustrie verkauft hat und in Schrottfilmen auftritt, mit denen das Studio viel Geld verdient. Der Studioboss zwingt ihn, seinen Vertrag um weitere sieben Jahre zu verlängern (im Studiosystem die übliche Laufdauer solcher Standardverträge, was viele Stars für eine moderne Form der Sklaverei hielten). In Castles Vergangenheit gibt es einen dunklen Punkt. Es geht um einen Autounfall (vgl. 2 Weeks in Another Town), was bereits andeutet, wie Prokosch in Le mépris enden wird (nicht in der Badewanne wie Charlie Castle).

Giorgia Moll, mehrsprachige Tochter eines Deutschen und einer Italienerin, war damals als "no-makeup beauty" ständig in der Klatschpresse präsent. Hohe Wellen schlug 1959/60 ihre Affäre mit John Drew Barrymore, dem Sohn der ungleich talentierteren Schauspielerlegende. Barrymore d. J. wollte Giorgia erst heiraten (nach der Scheidung von seiner Frau), wechselte dann die Braut und versuchte mit brachialen Mitteln, den Verlobungsring zurückzuholen, den er Giorgia geschenkt hatte. In immer neuen Episoden kam es zu Handgreiflichkeiten, polizeilichen Festnahmen und Gerichtsverfahren, in denen über Rufmord, Prügeleien, Beamtenbeleidigung und Wohnungseinbrüche verhandelt wurde.

Barrymore Jr. ist der Frauenmörder in While the City Sleeps, Fritz Langs von den Cahiers-Kritikern um Godard und Truffaut sehr geschätzten Film über die Massenmedien. Wichtiger für Le mépris ist aber The Quiet American. Godard hatte Joseph L. Mankiewicz’ Adaption von Graham Greenes Vietnam-Roman zum besten Film des Jahres 1958 erklärt und wollte Giorgia Moll unbedingt besetzen, weil sie dort die Vietnamesin Phuong gespielt hatte. (Von Mankiewicz ist auch The Barefoot Contessa, ein MeToo-Film von 1954, den scheinbar keine der eminenten Persönlichkeiten je gesehen hatte, die sich im Zuge der Weinstein-Affäre schockiert darüber zeigten, dass so etwas im Filmgeschäft möglich war.)

Phuong steht zwischen mehreren Kulturen und zwei Männern. Der eine, der britische Journalist Thomas Fowler, hält sie sich als Geliebte und als Haushaltshilfe. Der andere, ein naiver Amerikaner, will sie mit in die USA nehmen und zur ehrbaren Frau machen, ehe sie in die Prostitution abgleitet. Eine der irrsten Szenen des Films ist die, in der der Amerikaner Phuong einen Heiratsantrag macht. Fowler ist als Dolmetscher gefordert, weil sein Rivale kein Französisch kann und Phuong nur gebrochen englisch spricht.

Das Übersetzen war für Godard ein besonderes Faszinosum. Dem Sprach- und Vermittlungsproblem begegnen wir in Le mépris an allen Ecken und Enden. Camille und Paul Javal können nur Französisch, Prokosch beherrscht nur Englisch (und die Sprache des Scheckbuchs). Fritz Lang spricht fließend deutsch, englisch und französisch und verfügt über eher rudimentäre Kenntnisse des Italienischen. Francesca wechselt mühelos zwischen diesen vier Sprachwelten hin und her. Das ist die Godard’sche Ironie und die Abrechnung mit einem patriarchalisch organisierten Gewerbe, in dem hervorragend qualifizierte Frauen zu Sexobjekten und Gehilfinnen degradiert werden.

Auf der Pyramide der Sprachkompetenz steht Francesca ganz oben. Sie ist die einzige im Film, die mit dem von Godard verehrten Fritz Lang nicht nur mithalten kann sondern ihn sogar noch übertrifft. Dadurch kommt der Assistentin, die für die meisten Kritiker so unbedeutend ist, dass sie nicht einmal einen Namen hat, eine herausgehobene Stellung zu. Wie sehr sich Godard für Sprache, Übersetzung, geglückte und nicht geglückte Kommunikation interessiert kann man schon an seinem ersten Spielfilm sehen (und hören).

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