Jean-Luc Godard, Brigitte Bardot und eine Lampe im Lichte der #MeToo-Debatte

Seite 7: Ein Platz für Frauen

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In A bout de souffle verliebt sich der Franzose Michel in die Amerikanerin Patricia, deren Französisch so lala ist, aber immer noch viel besser als das Englisch von Michel. Dort gibt es auch den Vorläufer des halbstündigen Ehestreits in Le mépris (in Außer Atem sind es 24 Minuten in der Wohnung der Amerikanerin), dies allerdings mit dem Unterschied, dass Michel erfolgreich versucht, Patricia ins Bett zu kriegen, während Camille Paul die Lust raubt, indem sie sich als Sexobjekt anbietet. Wenn er sie schon mit Prokosch verkuppeln will, sagt sie ihm damit, dann kriegt er auch in der eigenen Wohnung die Hure, nicht die liebende Ehefrau.

Diese langen, in den Wohnungen der Charaktere angesiedelten Passagen sind typisch für Godards erste Schaffensphase, also bis zu Weekend und La chinoise (1968/69), in der er sich noch an den Plots des amerikanischen Genrekinos orientierte und diese von innen nach außen stülpte (oder besser: von außen nach innen). Das durch #MeToo aufgerüttelte Hollywood des Jahres 2018 feiert sich dafür, dass es den Frauen zu ihrem Recht verhilft, indem es unzähligen Superhelden-Filmen ein paar Filme mit Superheldinnen zur Seite stellt. Godard ging in den 1960ern einen anderen Weg.

Ein Platz für Frauen (16 Bilder)

A bout de souffle

Patricia lässt sich nach 20 Minuten in ihrer Wohnung von Michel herumkriegen. Angela fängt in der gemeinsamen Wohnung Streit mit Emile an, weil sie sich ein Kind von ihm wünscht (Eine Frau ist eine Frau). Camille und Paul liefern sich in der kürzlich bezogenen Wohnung einen Abnutzungskampf. Diese drei Szenen einer Beziehung haben eins gemeinsam und sind nicht mit der Waschmittel- und Backpulverreklame der 1950er zu verwechseln, in der die propere Gattin auf den häuslichen Bereich reduziert wird. Wenn Godard die Handlung anhält, wenn scheinbar nur geredet wird und nichts passiert räumt er den Frauen dadurch einen Platz frei, den sie sonst nicht hatten.

Damals war das genauso revolutionär wie die langen Einstellungen und die Missachtung der von Hollywood etablierten Montageregeln. Dafür brauchte man keine Filmtheorie. Es reichte aus, ein ganz normaler Kinogeher zu sein, um zu bemerken, dass Frauen hier auf eine Weise sichtbar wurden, an die man nicht gewöhnt war. Der Norm ergebene US-Kritiker ließen kein gutes Haar an Le mépris. Beim Lesen der Verrisse entdeckt man zwischen den Zeilen, dass der Frust der Herren auch in der überdurchschnittlichen Präsenz der Frauen eine Ursache hat, nicht nur in den Verstößen gegen die Regelästhetik des kommerziellen Erzählkinos.

Der Ehestreit ist mit einer dieser Plansequenzen garniert (für Statistiker: 2 Minuten 33 Sekunden ohne Schnitt), die Godard-Verächter auf die Palme bringen. Paul und Camille sitzen an einen Tisch mit weißer Lampe. Piccoli trägt den Godard-Hut, Bardot die Anna-Karina-Perücke. In dem Gespräch, das mehr ein Aneinandervorbeireden ist, geht es darum, ob Paul für Prokosch arbeiten soll, ob sie die Wohnung behalten oder verkaufen wollen, warum Camille Paul gestern noch geliebt hat und heute nicht mehr und ob es daran liegt, dass Camille gesehen hat, wie Paul den Hintern von Francesca begrapschte.

Ein Platz für Frauen (13 Bilder)

Le mépris

Das sind wieder zweieinhalb Minuten, die andere Regisseure möglichst abwechslungsreich gestaltet hätten: mit Großaufnahmen, mit Einstellungen aus verschiedenen Perspektiven, mal von vorn und mal von hinten über die Schulter und jedenfalls mit vielen Schnitten. Bei Godard ist es, als wolle er uns sagen: Jetzt zeige ich euch, was ein Tracking Shot ist, nachdem ich euch dieses filmtechnische und ästhetische Mittel ganz am Anfang, mit Raoul Coutard und Giorgia Moll (im gelben Pullover), schon als besondere Attraktion präsentiert habe.

Dieses Mal sind die - nun unsichtbaren - Schienen parallel zur vorderen Kante des Tisches verlegt, an dem das Ehepaar sitzt, und parallel zum Fenster im Hintergrund, das den Innenraum mit der Außenwelt verbindet. Statt von Piccoli auf Bardot zu schneiden und von Bardot auf Piccoli fährt die Kamera in einer Art Pendelbewegung hin und her, von Piccoli am dann linken zu Bardot am dann rechten Bildrand und zurück. Was monoton klingt ist eine der emotionalen und thematischen Schlüsselszenen, für die Godard diese Kamerafahrten reserviert hat. Wer sich als Zuschauer darauf einlässt wird belohnt.

Wenn die Liebe nicht mehr da ist

Obwohl Camille und Paul wie gelähmt sind spürt man den Druck und die Dringlichkeit der Szene, in der es schließlich darum geht, ob die Beziehung der beiden enden oder fortbestehen wird. Durch die Wahl des Bildausschnitts wird der Lampenschirm zum Raumteiler zwischen Paul und Camille. Die Nähe der Kamera zu den Akteuren und die Breite des Scope-Formats sorgen dafür, dass das Paar nicht zusammen in einem Bild sein kann, während es die Pendelbewegung der Plansequenz doch in einer Einstellung verbindet. Kein Schnitt trennt die beiden, und doch gibt es eine riesige Distanz.

An Godard scheiden sich die Geister. Wer ihn und seine Verweigerungshaltung gegenüber den von Hollywood eingeübten Konventionen nicht mag sieht einen Regisseur auf dem Egotrip, der sich in der Rolle des Künstlerrebellen gefällt und demonstriert, wie man sich über alle kommerziellen Zwänge erhebt und das Geld der Produzenten vernichtet, indem man die Schauspieler in langen Plansequenzen elliptische Dialoge sprechen lässt, und zwar in Farbe und CinemaScope, weil das am meisten kostet.

Man kann Godard und seinen kongenialen Kameramann Raoul Coutard aber auch dafür loben, dass sie eine ebenso überzeugende wie intensive Lösung für das Problem gefunden haben, mit filmischen Mitteln das Auf und Ab, das Hin und Her und die Mischung aus Passivität und Destruktion in einer Beziehung darzustellen, die einem schleichenden Zerfallsprozess ausgesetzt ist, über den die Partner die Kontrolle verloren haben - analog zur wie von einer unbekannten Instanz gesteuerten Pendelbewegung, deren Frequenz auf das Ende hin zunimmt, um das Gefühl der Dringlichkeit zu steigern.

Jeder Film, sagt Fritz Lang in seiner ersten Szene, muss eine Haltung haben. Die Haltung Godards ist ganz eindeutig. Dramatiktricks aus der Wunderkiste Hollywoods zur Mehrung des Unterhaltungswerts solch existentieller Prozesse wie dem Scheitern einer Ehe sind aus seiner Sicht eine Lüge. Seine Filme zeigen, dass er dafür nicht zu haben ist. Trotzdem wirkt es wie ein Schockeffekt, wenn Camille am Ende der zweieinhalb Minuten (die Pendelbewegung war doch genau choreographiert) über Pauls hartnäckige Begriffsstutzigkeit erschrickt und entnervt den Kopf schüttelt, um dann unvermittelt aufzustehen.

Nehmen wir einfach den Klaps auf den Po von Francesca Vanini als Grund, sagt sie vorher noch. "Reden wir nicht mehr darüber. Jetzt ist es vorbei." Im Treppenhaus, im Bereich zwischen Innen und Außen, spricht sie offen aus, dass sie Paul verachtet: "Das ist der Grund, warum die Liebe nicht mehr da ist. Weil ich dich verachte. Und mich ekelt, wenn du mich berührst." Der vielleicht überraschendste Kommentar dazu ist von Raoul Coutard. Le mépris, meint er, sei Godards Liebeserklärung an Anna Karina. Eine Liebeserklärung in Form einer ziemlich schonungslosen Selbstkritik, muss man wohl ergänzen.

Das unsensible Verhalten, das Paul Javal über weite Strecken an den Tag legt, ist das von Godard. Piccoli hat deshalb seinen Hut auf. Godards Filme aus dieser Zeit widmen sich der Beziehung zu Anna Karina als sei diese ein Wunder, das man von allen Seiten betrachten muss, um es besser zu begreifen. Dabei ist nicht zu übersehen, dass es nicht nur die Liebe gibt, sondern auch einen gehörigen Schuss Misogynie. Selten war das schmerzlicher zu spüren als in Le mépris, in dem Karina gar nicht zu sehen ist, nur Bardot als Stellvertreterin und eine Variation der Perücke, die Karina im Film davor trägt, in Vivre sa vie.

Vivre sa vie

Während Camille die Antwort schuldig bleibt, warum sie sich von Paul entfremdet hat (die Antwort gibt der Film) nannte Anna Karina einen Grund dafür (einen von mehreren), warum sie versucht hatte, sich umzubringen. Es war Godards spontane Entscheidung, Vivre sa vie, den ersten gemeinsamen Film nach der Fehlgeburt, anders enden zu lassen als ursprünglich geplant. Nana wird jetzt von ihrem Zuhälter an einen Konkurrenten verkauft wie ein Stück Fleisch. Bei der Übergabe der Ware gibt es Streit ums Geld. Nana wird erschossen. Die Zuhälter fahren in ihren Autos weg. Nana bleibt tot auf der Straße liegen.

Vivre sa vie ist der zärtlichste Film, den Godard je gedreht hat. Dieses Ende aber empfand Karina als eine Aggression ihr gegenüber, was sie noch tiefer in die Depression stürzte. Godard machte sich Vorwürfe, weil er so unsensibel gewesen war. Le mépris merkt man das an. Ob er es der Frau, die er liebte, auch direkt so gesagt hat? Zweifel sind erlaubt. Viel in seinem Werk aus der Karina-Zeit spricht dafür, dass er dazu nicht in der Lage war. Da diese Filme trotz ihrer Ideenlastigkeit und der Kopfgesteuertheit Godards eine so persönliche Ebene haben laden sie zu solchen Spekulationen gleichsam ein.

Karina sagte Jahre danach, sie habe irgendwann genug von der Rollenverteilung gehabt, in deren Rahmen Godard das Genie und der Meisterregisseur war und sie die Muse. Die Beziehung der beiden jedoch scheint an der Sprachlosigkeit zerbrochen zu sein, in die sie nach dem Tod des Kindes verfielen. Offenbar fanden sie keinen Weg, so miteinander zu reden, dass es ihnen geholfen hätte, den Schicksalsschlag gemeinsam zu bewältigen. Der lange, wie in Echtzeit vor uns ablaufende Ehestreit in Le mépris zeigt, dass man viele Worte machen und doch nicht miteinander sprechen kann, nur aneinander vorbei.

Blinklicht auf hoher See

Wen schon die hin und her fahrende Kamera irritiert, der kann sich erst recht über die Lampe ärgern, die zwischen den Javals auf dem Tisch steht. Irgendwo habe ich gelesen, dass diese sehr präsente Lampe der eigentliche Star des Filmes sei. Üblicherweise wird das Ding unter dem Stichwort "Provokation" verbucht und als eines jener Elemente registriert, bei denen ohnehin nicht wirklich zu verstehen sei, warum sie da sind, weil es sich um eine der Godard’schen Idiosynkrasien handele, also jene Eigentümlichkeiten des Regisseurs, die nur dieser selbst erklären könne, was Godard aber prinzipiell nicht mache. Ganz falsch.

Filme darf man öfter anschauen, auch wenn es sich bei der großen Mehrheit von dem Kram, den uns die Industrie so auftischt, überhaupt nicht lohnt. Bei Godard ist das ganz anders. Jedes Mal sieht man etwas Neues. Garantiert. Mir ist erst jetzt aufgefallen, dass sich die geometrische Form der Tischlampe im Capriteil des Films wiederholt, dann allerdings in Gestalt einer sich nach unten verjüngenden Pyramide, als wäre die Lampe auf der Meeresoberfläche gespiegelt. Das Meer (blau) ist da, wo Poseidon regiert, der "Todfeind von Odysseus" (Fritz Lang).

Blinklicht auf hoher See (8 Bilder)

Le mépris

Jonathan Rosenbaum assoziiert bei der Treppe der Villa Malaparte (oben dreht Lang eine Filmszene) die Turmbau-zu-Babel-Sequenz aus Metropolis, wogegen Godard bestimmt nichts einzuwenden hätte. Der Zusammenbruch der Kommunikation ist eines der übergeordneten Themen dieses Films, in dem man vier verschiedene Sprachen hört und dauernd übersetzt werden muss. Der halbstündige Ehestreit demonstriert, dass man ein und dieselbe Sprache sprechen und trotzdem nichts verstehen kann. Also braucht man andere Mittel der Verständigung.

Am Beginn der Plansequenz knipst Paul die Lampe an, dann wieder aus als würde er Blinkzeichen geben (auf einem Schiff). So etwas haben wir vorher schon gesehen: am Ende der langen Plansequenz im Palazzo des Produzenten, an die wir regelmäßig erinnert werden. Francesca ist gegangen, Paul mit Camille allein. Aus der Wand ragt eine Laterne als habe der Requisiteur sie extra da angebracht, damit die neben dem Lichtschalter stehende Camille sie - einmal, zweimal - an- und wieder ausmachen kann. In einem Film wie diesem, der Comicelemente mit griechischer Mythologie und sexueller Belästigung vermischt, darf einem auch einmal ein Licht aufgehen wie Donald Duck in der Denkblase des Micky-Maus-Hefts.

Bei Paul Javal, dem Mann mit dem Godard-Hut, nützt das nichts. 35 Filmminuten und ein quälend langes Streitgespräch später fragt er noch immer danach, was los ist. Inzwischen knipst er selbst das Licht an wie vorher Camille, nur dass er eben nichts kapiert, weil er total unsensibel ist oder ein blöder Möchtegern-Macho oder auch, weil er nichts kapieren will. Andernfalls müsste er Prokosch die Meinung sagen und auf das schöne Geld verzichten, das ihm dafür geboten wurde, dass er publikumswirksame Nacktszenen für die Odyssee schreibt und damit den von Fritz Lang gedrehten Film versaut.

Als Zuschauer sitzt man vor diesem Tisch mit Lampe und wird Zeuge, wie eine Ehe daran zerbricht, dass sich jegliche Form von Kommunikation und Austausch in ihre Simulation verwandelt hat, in ein maschinelles Abspulen von Ritualen. Hin und her. An und aus. Hin und her. An und aus. Trauriger könnte es kaum sein.

Antworten darauf, wie aus Filmkunst Prostitution und Zuhälterei werden, wie man vom Vorsprechen für einen Odysseus-Film zu Nazis und Kollaborateuren kommt und was das mit Bert Brecht und Roberto Rossellini zu tun hat gibt es im nächsten Teil. Da wird dann auch eine kurze Einführung in die Geschichte der Nouvelle Vague nachgeholt, weil man so besser versteht, warum eine Männerfreundschaft daran zerbrach, dass Truffaut mit Die amerikanische Nacht seine ganz persönliche Liebeserklärung an das Filmemachen drehte.

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