Jeder wird im Web zum Mitautor

Eine neue Software wird den Betreibern von Websites wahrscheinlich nicht immer gefallen

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Über eine neue, kostenlos angebotene Software werden manche Besitzer von Websites nicht gerade glücklich sein. Mit Third Voice ist es jetzt nämlich allen mit dem Internet Explorer 4.0, ab Juni auch mit dem Navigator 4.0 und dem Internet Explorer 5.0, möglich, auf jeder Webseite Kommentare aller Art hinzuzufügen, die von allen anderen Besuchen dieser Seite, wenn sie denn auch mit diesem Zusatzprogramm zum Browser im Netz surfen, gelesen werden können.

Bislang konnte man auf Websites normalerweise seine Kommentare nur in Foren eintragen, die von den Betreibern der Websites auch zensiert werden können, wenn ihnen etwas nicht paßt. Ansonsten mußte man eine eigene Page oder eine Newsgroup einrichten, die aber mit der Website nicht verbunden waren. Anti-Seiten oder "Hate sites", die es reichlich im Web gibt, können jetzt ebenso wie Boykottaufrufe, Gegenmeinungen oder die Kritik an bestimmten Produkten direkt an einer bestimmten Stelle einer Webseite dargestellt werden. Markiert werden die Anfügungen durch Icons, die, wenn man sie anklickt, ein Fenster mit dem Kommentar oder der Diskussionsliste öffnen. Der Betreiber der Website kann natürlich die Anmerkungen nicht entfernen und nur dann sehen, wenn er selbst das Programm installiert hat.

"Eine freie und offene Meinungsäußerung im Web", so Third Voice, "ist jetzt nicht mehr auf Verleger und Websites beschränkt." Das Netz, so das Versprechen, werde demokratisiert, da jeder Leser auf jeder Webseite sich äußern könne. "Mit der Herstellung von Third Voice wollten wir den ursprünglichen Geist des Internet wieder beleben, insbesondere die offene Meinungsäußerung und das Mitteilen von Ideen", sagt Eng-Siong Tan, CEO der Firma. Verdienen man will man indirekt an dem neuen Angebot über Werbung oder Sponsoren.

Der Trick ist, daß natürlich nicht in eine Website eingegriffen und direkt auf ihr etwas verändert wird. Die Anmerkungen und ihre Position auf der Webseite werden auf einem Server von Third Voice gespeichert, die Seite selbst wird auch nicht reproduziert oder im Cache abgelegt. Wenn jemand mit der im Browser aktivierten Software eine bestimmte URL herunterlädt, sucht der Third Voice Server nach dieser URL. Wenn er Anmerkungen findet, schickt er die Daten an die Client-Anwendung. Das Programm verbindet dann die Anmerkungen mit dem vom Browser dargestellten Text und fügt an den entsprechenden Stellen die Icons ein, die mit den Kommentaren auf dem Third Voice Server verlinkt sind. Das dauert natürlich länger, als wenn man nur die Website herunterlädt. Insgesamt gleicht diese Funktion einer der Hauptaktivitäten von Hackern, die sich einen Zugang zu Servern verschaffen und die Seiten mit eigenen Kommentaren überschreiben. Während diese Aktion aber ungesetzlich ist und die Kommentare überdies von allen gelesen werden können, wird es die Frage sein, wie es um die rechtliche Position von Third Voice bestellt ist, die gewissermaßen aus jedem einen Hacker macht, auch wenn er nicht direkt in die Daten auf einer Seite eingreift und die Zusätze nur von denen gelesen werden können, die bei sich mit ihrem Einverständnis die Software installiert haben.

Es läßt sich jedenfalls erwarten, wenn Third Voice sich durchsetzen sollte, daß Unruhe unter den Betreibern von Websites entsteht, die es nicht gerne sehen werden, wenn mißliebige Kommentare über ihre Inhalte oder verlinkte Verweise auf Konkurrenten von ihnen unkontrollierbar auf ihren Websites erscheinen. Angeblich will die Firma, so Eng-Siong Tan, möglichst wenig in die Kommentare eingreifen, aber doch ein Team einsetzen, das Beschwerden von Benutzern des Dienstes über beleidigende oder strafbare Inhalte nachgeht und diese dann, wenn es notwendig erscheint, löscht. Kommentare sollen auch nur von Privatpersonen gemacht werden können, nicht von Firmen, die ihre Werbung so direkt auf der Website der Konkurrenten plazieren könnten. Diese Kontrolle freilich könnte zur Achillesferse des Dienstes werden. Gegen die zu erwartenden rechtlichen Schritte hat sich Third Voice zumindest über die umfrangreichen Vertragsbedingungen zu schützen gesucht und jede Verantwortung für die Inhalte auf die Benutzer abgeschoben.

Auch politisch ließe sich diese Groupware möglicherweise effektiv einsetzen. Bislang hat man heimlich vielleicht die Plakate der politischen Gegner überklebt oder sie mit Kommentaren versehen, aber jetzt könnten sich die politischen Gegner direkt auf ihren Websites bekämpfen, die Grünen gegen die CSU, die PDS gegen die SPD, Rechte gegen Antifaschisten .... Das könnte spannend werden.

Interessant ist freilich auch, daß sich bestimmen läßt, wer die Anmerkungen lesen kann. Sie können für alle, für eine bestimme Gruppe oder nur für den Benutzer selbst zugänglich gemacht werden. So läßt sich also eine abgeschlossene Diskussionsgruppe zu einem Thema bilden, aber die Firma denkt auch, daß etwa Lehrer damit eine Diskussion in der Klasse veranstalten, Wissenschaftler gegenseitig Artikel gegenlesen oder Angestellte bzw. eine Gruppe gemeinsam ein Projekt erarbeiten könnten.