Jetzt warnt auch der US-Verteidigungsminister Russland vor der Beeinflussung der Wahl

Bild: Russisches Verteidigungsministerium

Man werde Versuche nicht übergehen, in die demokratischen Prozesse einzugreifen, sagte Carter mit Verweis auf die "russische Aggression"

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Nun steigt nach Hillary Clinton, den US-Geheimdiensten bis hin zum obersten Geheimdienstchef James Clapper, dem FBI und Medien auch der amerikanische Verteidigungsminister Ashton Carter in den Ring und beschuldigt Russland, die internationale Ordnung untergraben zu wollen, während er wie die anderen suggeriert, Moskau bzw. Putin wolle den Präsidentschaftswahlkampf beeinflussen (vgl. Das Wahlsystem als "kritische Infrastruktur"). Man wird den Eindruck nach den vielen geäußerten Ängsten und Beschuldigungen nicht los, dass es sich um "strategische Kommunikation" handelt, die vor den Wahlen den Konflikt mit Russland schürt und Unsicherheit verbreitet (Die USA sollen Opfer einer groß angelegten "russischen Beeinflussungsoperation" sein). Wahrscheinlich hat es auch damit zu tun, dass Obama und Putin sich nicht über ein gemeinsames Vorgehen in Syrien auf dem G20-Gipfel verständigen konnten. Das gegenseitige Misstrauen war zu groß, Obama sprach von "gaps of distrust".

Carter sprach in seiner Rede an der Oxford University davon, dass die russische Regierung eine "deutliche Absicht" habe, die internationale Ordnung zu untergraben, man müsste wohl sagen, die von den USA als bedrohte Supermacht gewünschte Ordnung. Seit George W. Bush spielen die Vereinten Nationen symptomatisch kaum mehr eine Rolle für die USA, man setzt auf Koalitionen der Willigen (Amerikanischer Internationalismus). Hauptzweck des Besuchs dürfte gewesen zu sein, Großbritannien nach der Brexit-Abstimmung zu versichern, dass es eine besondere, auch militärische Partnerschaft zwischen beiden Ländern gibt, was auch dazu dienen soll, Großbritannien bei der Stange als wichtigen Partner in der Nato zu halten, wenn schon der Einfluss auf die EU sinkt. In erster Linie geht es dabei um den Kampf gegen den IS, der für die USA durch das Eingreifen Russlands und schließlich jetzt der Türkei noch schwieriger geworden ist, aber natürlich auch um die Stabilisierung des Konflikt mit Russland, um die Nato zusammenzuschweißen.

Rhetorisch erklärte er, die USA würden "keinen kalten, geschweige denn einen heißen Krieg mit Russland suchen, um dann gleich die eigentliche Botschaft anzufügen: "Aber täuschen Sie sich nicht, wir werden unsere Alliierten, die internationale Ordnung mit ihren Prinzipen und die positive Zukunft verteidigen". Damit wiederholte er Standpunkte seiner Grundsatzrede vom letzten Jahr ("Sicherheit ist wie Sauerstoff"). Verstärkt sucht Washington mit seiner Regierung, dem Sicherheitsapparat und den Thinktanks, wieder einen Anschluss an den Diskurs über das "Reich des Bösen" und die Suprematie des von den USA geführten Westens. Dazu haben die islamistischen Terrorgruppen nie wirklich herhalten können. Jetzt heißt das "Reich des Bösen" knapp und kurz, aber dauerhaft wiederholt, die "russische Aggression". Daneben gibt es weiter die "Achse des Bösen", die vornehmlich aus Russland, dann aus China und Nordkorea und schließlich aus dem Iran und dem IS besteht.

Ash Carter. Bild: DoD

So versicherte Carter, die USA stünden hinter Großbritannien und den Nato-Verbündeten, um eine "starke und ausbalancierte Position zur Abwehr der russischen Aggression" einzunehmen. Dabei tut er so, als habe die USA hier nicht das Interesse, die "russische Aggression" auszunutzen, um Russland zu isolieren und eine Aufrüstung an den Grenzen Russlands zu stärken.

Carter greift aber auch das neu entdeckte Hacker-Thema auf, also die angeblichen Versuche Moskaus, in die Präsidentschaftswahlen einzugreifen. So warnte er, dass man Versuche nicht übergehen werde, "in unsere demokratischen Prozesse einzuwirken". Er beschuldigte Russland, Instabilität erzeugen zu wollen, indem es "die Arbeit und Beiträge anderer untergräbt, anstatt positive Beiträge zu schaffen oder zu leisten". Man versteht, konstruktiv handeln die USA und ihre Alliierten. Auffällig ist, dass er überhaupt die Wahl als bedroht durch Russland thematisiert. Das ist sicher den freilich nicht wirklich bewiesenen Vermutungen zu verdanken, dass russische Hacker in Server der Demokratischen Partei eingedrungen sind und womöglich weitere Angriffe versucht haben.

Aber man instrumentalisiert auch die Bedrohungen durch den Cyberwar und überhaupt durch den Medienkrieg, der bereits im Jugoslawienkrieg ein Thema war. Russland wird bekanntlich von der Nato beschuldigt, im Ukraine-Konflikt einen "hybriden Krieg" geführt zu haben, bei dem militärische Mittel nur ein Teil sind. Neu ist der "hybride Krieg" freilich nur dem Namen nach, früher hätte man von Propaganda, psychologische Operationen oder Sabotage gesprochen, denn es geht dabei um die Beeinflussung der Bevölkerung, aber "hybrider Krieg" klingt wohl besser und bedrohlicher. Dass die Wahlen überhaupt zum Thema werden, verdankt sich freilich auch der Initiative von George W. Bush, Wahlcomputer großflächig einzuführen, nachdem er vermutlich die Wahl eigentlich verloren hatte. Selbst die New York Times sieht in seinen Angriffen auf Moskau eine Verstärkung des Konflikts zwischen Washington und Moskau, auch wenn Carter nach seiner Rede befragt, diplomatisch nicht nur Russland beschuldigen wollte: "Das ist eine allgemeine Sorge aller Nato-Partner und Teil dessen, was wir hybride Kriegsführung nennen", sagte er.

Moskau scheint den Konflikt auch aus eigener Seite verschärfen zu wollen. So soll ein russisches Kampfflugzeug einem amerikanischen Aufklärungsflugzeug gestern über dem Schwarzen Meer gefährlich nahe gekommen sein. Von amerikanischer Seite heißt es, dies sei im internationalen Luftraum geschehen. Der Vorfall soll 19 Minuten gedauert haben, das russische Flugzeug soll sich dem amerikanischen bis auf 3 Meter genähert haben. Das wäre nicht nur eine Provokation, sondern eine Aktion, die schnell zu einem Zusammenstoß und damit zu einer Eskalation führen könnte.

Aus russischer Sicht sieht dies allerdings ganz anders aus. Danach hätten US-Poseidon-Aufklärungsflugzeuge zweimal versucht, sich der russischen Grenze, wo die Militärübung Caucasus-2016 stattfindet, vom Schwarzen Meer aus zu nähern - mit abgeschalteten Transpondern. Die russischen SU-27-Kampfflugzeuge hätten das US-Flugzeug gestern "in genauer Beachtung der internationalen Flugregeln" abgefangen, so das russische Verteidigungsministerium. Abgeschaltete Transponder hat die Nato auch immer wieder russischen Militärflugzeugen vorgeworfen, um damit Provokationen zu belegen.