John le Carré und das Vermächtnis der Spione

Seite 3: Der Zweck und die Mittel

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Guillam ist le Carrés Version von James Bond. Früher war er Frauenheld, Sportwagenfahrer und Chef der für gefährliche Operationen (mit Gewaltanwendung) zuständigen "Skalpjäger". Durch die Information über seinen Vater erhält er viel mehr Tiefe. Aus dem Playboy-Agenten wird ein Mann, der versucht hat, in die Fußstapfen des Seniors zu treten, eines Kriegshelden und Märtyrers, und auch die Beziehung zu Leamas kriegt eine neue Facette, weil Guillam durch die SOE-Verbindung zugleich um Alec trauert, seinen besten Freund beim Circus, und um seinen Vater.

Im Vermächtnis der Spione demonstriert le Carré, wie man vor Jahrzehnten gesponnene Handlungsfäden wieder aufnimmt, neue Aspekte alter Themen sichtbar macht und wie man in die Gegenwart verlängert, was nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des aus ihm resultierenden Kalten Krieges als abgeschlossen galt. Das horizontale Erzählen der aktuellen Serienproduktion, also das Entwickeln von Plots und Figuren über einen längeren Zeitraum hinweg, beherrscht er schon lange - nur dass sich bei le Carré der Handlungsbogen nicht von der Pilotfolge zum Finale der letzten Staffel erstreckt, sondern über sein Gesamtwerk.

Man kann Legacy für sich allein lesen oder in Kombination mit anderen Romanen. Dabei müssen es nicht alle 23 Bücher sein, die le Carré sonst noch geschrieben hat. Ich empfehle vier davon, aus der Zeit des Kalten Krieges: Call for the Dead, The Spy Who Came in from the Cold, A Small Town in Germany und Tinker Tailor Soldier Spy. Wem das zu alt und zu gestrig ist und zu wenig sexy: In Small Town geht es um das Erstarken einer rechtspopulistischen Partei (mit einer dubiosen Rolle für die FDP), und durch Call for the Dead kommen nackte Brüste von filmhistorischer Bedeutung mit ins Spiel.

Strukturierende Elemente sind der Bau der Berliner Mauer 1961 und ihr Fall im Herbst 1989. Kehren wir also zurück zum Tod von Riemeck, zu Leamas und zu seinem Termin bei Control. Der Geheimdienst, doziert der Chef, müsse unangenehme Dinge tun, damit die normalen Bürger nachts ruhig schlafen können. Methodisch habe man sich dem Gegner seit dem Krieg immer mehr angenähert. Man müsse nun mal genauso skrupellos sein wie die "Opposition". Das moralisch zu verurteilen sei unfair, weil man nicht die Methoden der einen Seite mit den Zielen der anderen Seite vergleichen könne.

Und darum habe er beschlossen, so Control, Hans-Dieter Mundt, den Leiter der Stasi-Abteilung, die Leamas’ Spionagenetzwerk ausradiert hat, zu beseitigen. Damit sind wir bei einer Frage angelangt, die le Carrés Romane stets aufs Neue stellen: Was ist vom Kampf für die westlichen Werte zu halten, wenn die Verteidiger der liberalen Gesellschaft den Feinden der Demokratie immer ähnlicher werden? Smiley plagt sich andauernd mit dieser Frage ab, und er kämpft ständig mit dem Dilemma, dass keine einfachen Antworten auf diese Frage existieren und man trotzdem welche geben muss.

The Spy Who Came in from the Cold

Das macht ihn zu einer so faszinierenden Figur. In The Spy Who Came in from the Cold braucht le Carré noch eine Romanseite für den Monolog des Zynikers Control. Inzwischen hat er das Problem so oft umkreist, dass er in Legacy of Spies mit einem Satz auskommt. "Wir finden", sagt Smiley bei der Rekrutierung Guillams über die Geheimdienstarbeit, "dass es ein wichtiger Job ist, solange es einem um den Zweck geht und nicht so sehr um die Mittel." Es muss Smiley sein, der diesen Satz sagt, weil er es auch ist, der ihn permanent hinterfragt. Das ist die le Carré’sche Ambivalenz.

The Spy Who Came in from the Cold

Control hat Smileys Zweifel nicht, dafür aber einen Plan. Leamas soll so tun, als würde er überlaufen und die Stasi mit gefälschten Informationen füttern, die es so aussehen lassen, als würde Mundt für die Briten arbeiten. Als vermeintlicher Doppelagent wird Mundt (im Film: Peter van Eyck) von den eigenen Leuten liquidiert. Das scheint zu funktionieren. Leamas wird angeworben und in die DDR gebracht, wo er in einem Stasi-Lager den brillanten Fiedler (Oskar Werner) trifft, den zweiten Mann hinter Mundt in der Abteilung. Fiedler hat Mundt schon länger in Verdacht und erhofft sich von Leamas’ Aussage den entscheidenden Beweis.

Zeugen der Anklage

Während Leamas und Fiedler lange Spaziergänge machen stellt sich Smiley in London bei der jungen Kommunistin Liz Gold als Freund von Alec Leamas vor. Die idealistische Liz und den abgebrühten, von der Geheimdienstarbeit erschöpften Alec verbindet eine ungewöhnliche Liebesbeziehung. Smiley raunt nun etwas von wichtigen Aufgaben und bietet ihr finanzielle Unterstützung an. Auch das ist Teil der Inszenierung. Liz wird unter einem Vorwand in die DDR gelockt und von Mundts Verteidiger als Überraschungszeugin präsentiert. Als sie vor einem Geheimtribunal von Smiley und der finanziellen Unterstützung erzählt bricht die Anklage in sich zusammen.

The Spy Who Came in from the Cold

Fiedler steht als ein Mann da, der entweder selbst für die Briten arbeitet oder sich von ihnen zum Werkzeug einer perfiden Verschwörung machen ließ. Mundt wird rehabilitiert und es ist Fiedler, den man liquidiert. Leamas durchschaut jetzt das von Control inszenierte Verwirrspiel, in dem er und Liz nur Schachfiguren waren. Mundt wurde tatsächlich vom Circus umgedreht. Es war Fiedler, der beseitigt werden musste, weil er kurz davor war, Mundt zu überführen.

Ausgehend von der Überlegung, dass man eine Anklage am besten dadurch entkräftet, dass man die Beweise als Fake diskreditiert, wurde Leamas zum Belastungszeugen aufgebaut und die naive, gänzlich unschuldige Liz als die Zeugin, die ihn wider Willen als Lügner entlarvt (mag sein, dass Control vorher Billy Wilders Witness for the Prosecution gesehen und sich Anregungen bei Marlene Dietrich geholt hatte, die zeigt, wie man so etwas durchzieht).

Mundt sorgt dafür, dass Leamas und Liz Gold fliehen können und lässt sie zur Grenze bringen, wo Smiley auf der anderen Seite auf sie wartet (als Controls von Gewissensbissen geplagter Helfer, der den Plan ablehnt und doch mitmacht). Beim Versuch, die Mauer zu überwinden, werden die Flüchtenden erschossen. Mundt ist sich selbst treu geblieben. Am Anfang lässt er den enttarnten Riemeck erschießen, bevor Fiedler ihn befragen kann. Am Schluss nützt er die Gelegenheit, zwei lästige Zeugen zu beseitigen. Mit soviel Skrupellosigkeit hat offenbar nicht einmal Control gerechnet (oder etwa doch?).

The Spy Who Came in from the Cold

Oskar Werner, ein paar Jahre davor durch Truffauts Jules et Jim international bekannt geworden, schafft es, Fiedler zur sympathischen Figur zu machen, obwohl auch er bei der Stasi ist. Dabei helfen ihm die Regie (Martin Ritt mag Controls Plan so wenig wie le Carré), das Moralempfinden des Publikums jenseits aller ideologischen Festlegungen und die Filmgeschichte. Wer würde nicht gern mit Jules aus Truffauts Meisterwerk Bergwanderungen machen und philosophische Gespräche führen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, in der tristen DDR Catherine (Jeanne Moreau) zu begegnen, eher gering sein dürfte.

The Spy Who Came in from the Cold

Mundt hat da keine Chance. Peter van Eyck spielt ihn so, wie er die meisten seiner Rollen spielte: "mit der schleppenden Stimme eines Betrunkenen und den arroganten Manieren des ostelbischen Junkers Götz von Eick - so sein richtiger Name", wie der Spiegel 1969 in einem Nachruf schrieb. Van Eyck war oft viel besser als sein Ruf, doch durch seine Besetzung wird sehr deutlich, wie nah schon die Romanfigur am Klischee vom großen blonden Nazi-Deutschen ist. Das scheint auch le Carré bemerkt zu haben, denn nach Spy hatte er für Mundt keine Verwendung mehr (erst in Legacy erfährt man, was aus ihm geworden ist).

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