John le Carré und das Vermächtnis der Spione

Seite 6: Königreich aus Papier

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Bei seiner ersten Mission also muss George Smiley als Vertreter einer latent judenfeindlichen Behörde einen jüdischen Flüchtling, der sich allem Anschein nach perfekt integriert hat, auf seine Staatstreue überprüfen. Es ist nicht nur der Kommunismus, vor dem man auf der Hut sein sollte, sondern auch der Antisemitismus. Smiley ist das schmerzlich bewusst, und seinem Schöpfer ebenfalls. In der Verfilmung, The Deadly Affair, lässt Sidney Lumet die Begegnung der beiden Männer in der Mitte der britischen Gesellschaft stattfinden. Sie treffen sich beim See im St. James’s Park, nur einen Steinwurf vom Regierungsviertel entfernt, mit dem Buckingham Palace im Hintergrund.

Fennan gibt unumwunden zu, dass er nach dem Aufstieg von Hitler und Mussolini der Partei beitrat, weil der Kommunismus für sozialen Fortschritt und Antifaschismus stand. Seitdem habe er umgedacht. Smiley glaubt ihm, verspricht ein positives Resultat des Prüfverfahrens, die Sache scheint erledigt. Am nächsten Morgen ist Fennan tot. Suizid, sagt die Polizei. Das Gespräch mit Smiley hat Fennan angeblich so deprimiert, dass er sich umbrachte. Wie seine Nachfolger in Vermächtnis der Spione will der Berater in erster Linie kein Aufsehen und keinen Ärger mit der Politik. Smiley soll rasch zur Witwe fahren, mit ihr reden und die Akte zügig in die Registratur geben.

The Deadly Affair

Den Geheimagenten bringt das in eine peinliche Lage. Aus der Papierwelt muss er hinaus ins echte Leben. Smiley fragt sich, was er der Witwe sagen soll. Etwa, dass er nur seine Pflicht getan hat, dass Fennan darüber melancholisch wurde und dass er, Smiley, es bedauere, den Mann von Mrs. Fennan in Ausübung seiner Pflicht getötet zu haben? Er sagt lieber gar nichts. Der Film macht Smileys Unbehagen körperlich spürbar. Ein nasskalter Morgen. Simone Signoret als Elsa Fennan lässt James Mason (ein sehr guter Smiley) in ihr Haus, um ihn dann einer Schweigefolter zu unterziehen. In der Wohnung ist es kalt und Smiley fröstelt.

The Deadly Affair

Elsa Fennan schaltet den elektrischen Heizstrahler ein und beginnt ihren Dialog, der noch quälender ist als ihr Schweigen. Sie attestiert Smiley eine Krankheit, deren Opfer ihr nur zu gut bekannt seien: "Der Verstand wird vom Körper abgetrennt; er denkt außerhalb der Wirklichkeit, regiert ein Königreich aus Papier und plant ohne Emotion den Ruin seiner Opfer aus Papier. Aber manchmal ist die Trennung zwischen Ihrer Welt und der unsrigen unvollständig; den Akten wachsen Köpfe, Arme und Beine, und das ist ein furchtbarer Moment, nicht wahr?" Furchtbar ist eine Untertreibung. Aus der Akte Fennan ist ein Mensch mit Angehörigen geworden, auf dem Fußboden sieht man noch sein Blut.

The Deadly Affair

Der Drehbuchautor Paul Dehn, früher selbst beim Geheimdienst (im Krieg war er im selben Ausbildungslager wie der Bond-Erfinder Ian Fleming und der Hollywoodstar Sterling Hayden), hat le Carrés Sätze etwas umgeschrieben, was die Wirkung zumindest nicht verringert. Der Heizstrahler wird wärmer. Smiley fängt an zu schwitzen und zieht den Mantel aus. Wahrscheinlich fühlt er sich, als würde man ihn auf kleiner Flamme rösten. Dann hat er doch noch Glück, wenn man es so nennen will. Es klingelt und Smiley geht an den Apparat. Der angebliche Selbstmörder hat den telefonischen Weckruf bestellt, um pünktlich ins Ministerium zu kommen. Das passt nicht zum Suizid.

Die Angelegenheit ist doch komplizierter, denn Fennan wurde ermordet. Am prinzipiellen Befund ändert das wenig. Die Herrscher über die Papierwelt schützen das Königreich und vergessen allzu leicht, dass echte Menschen den Preis dafür bezahlen müssen. Jemand im Hause Fennan liest übrigens Krimis. Lumets Requisiteur hat ein paar Bände mit den charakteristischen gelben Umschlägen der bei Victor Gollancz erscheinenden Kriminalromane ins Regal gestellt. Hier ist ein kurzer Ausflug in das Verlagsgeschäft angebracht.

Gelbe und rote Umschläge

Gollancz war der Verleger von John Bingham, Cornwells Mentor beim MI5. Auch die ersten Bücher von John le Carré, Call for the Dead und A Murder of Quality (in der TV-Adaption mit Denholm Elliott als Smiley), erschienen in der gelben Krimireihe. Dann flog John Vassall auf, ein schwuler Regierungsbeamter bei der Royal Navy, den der KGB seit den 1950ern mit kompromittierenden Photos von einer eigens dafür organisierten Party erpresst hatte. Vassall hatte Marinegeheimnisse verraten, weil er die Vernichtung seiner bürgerlichen Existenz befürchtete, wenn seine Homosexualität öffentlich geworden wäre (Merke: Die Diskriminierung von Minderheiten ist schlecht für die Sicherheit.).

Diese Sex- und Spionageaffäre aus dem Jahr 1962 rief auch die Literaturkritik auf den Plan. Gefordert wurde der realistische Spionageroman, der eine von Somerset Maugham (Ashenden) und Eric Ambler begründete Tradition fortsetze und sich an der durch den Vassall-Fall sichtbar gewordenen Wirklichkeit orientiere, statt abenteuerliche Geschichten aus einem Phantasieland zu erzählen. Den Verleger Gollancz brachte das auf eine Idee zur Vermarktung des neuen le Carré. In der Werbekampagne versprach er den von den Kritikern verlangten Realismus.

Die Druckfahnen von Der Spion, der aus der Kälte kam verschickte er vorab an prominente Persönlichkeiten des literarischen Lebens, die sich mit den erhofften Lobhudeleien revanchierten. In seinem Begleitbrief stand etwas von "unmissverständlicher (und ganz fürchterlicher) Authentizität" sowie von "großer gesellschaftlicher Wichtigkeit", und Graham Greene schrieb zurück: "Die beste Spionagegeschichte, die ich je gelesen habe." Um zu signalisieren, dass es sich um ein Werk mit literarischem Anspruch handele beschloss Gollancz, das Buch nicht in einem gelben, sondern in einem roten Umschlag zu verkaufen.

Gollancz war ein Purist und mochte keine Bilder auf seinen Buchumschlägen. Stattdessen betonte er in schwarzer Schrift auf weißem Untergrund die "große Aktualität" und die "hohe politische Bedeutung" des Romans. Seine Bemühungen zahlten sich aus. Es gab hervorragende Besprechungen und so viele Vorbestellungen, dass das Buch bis zum Veröffentlichungstermin im September 1963 bereits dreimal nachgedruckt worden war (auch der Hinweis auf die erforderlich gewordenen Neuauflagen war eine gute Reklame). Le Carré wird seither von dem zweischneidigen Kompliment verfolgt, der Autor besonders realistischer Spionageromane zu sein.

Freude bereitet ihm das keine, weil man so seinen Erfindungsreichtum in Frage stellt. Bei seinen Ex-Kollegen beim MI5 verstärkte das Versprechen auf eine realistische Schilderung der Geheimdienstarbeit noch den Ärger. Le Carré sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, ein Verräter zu sein, der den guten Namen des britischen Geheimdiensts in den Schmutz zog. Für Bingham wurde er mit Spy zum "literarischen Überläufer" (le Carré im Vorwort zu einer posthum erschienenen Neuauflage von Binghams A Fragment of Fear).

Als Bingham 1966 den Spionageroman The Double Agent veröffentlichte (Gollancz, gelber Umschlag) fühlte er sich zu einem Vorwort über zwei aktuell existierende Denkschulen bezüglich der Geheimdienste genötigt. "Eine Schule", so Bingham missbilligend, "ist überzeugt davon, dass das Personal dort aus mörderischen, mächtigen und ein Doppelspiel treibenden Zynikern besteht; die andere, dass der Steuerzahler eine Ansammlung von Stümpern und Tagedieben finanziert." Offenbar hatte er auch le Carrés The Looking Glass War (1965) gelesen. Da sind die Geheimdienstler zynisch und inkompetent.

Ungeklärt blieb, ob le Carré von diversen Ex-Kollegen des Verrats bezichtigt wurde, weil er die Wirklichkeit zu genau beschrieben hatte, oder weil sich die Spione durch eine Erfindung fernab der Realität diffamiert sahen. Die letzten Kapitel zu Legacy lesen sich wie sein abschließender Kommentar zu Bingham. Man erfährt, dass Controls Plan, in dem Menschen verschoben werden wie Schachfiguren, noch zynischer war, als man nach der Lektüre von Spy dachte. Wer glaubt, dass das nicht möglich ist: Für einen Marionettenspieler wie Control kein Problem.

Interessant ist die Reaktion der "untadeligen Generation" (Guillam über die Leute, die jetzt am Ruder sind). In Zeiten politischer Korrektheit und vermeintlicher Transparenz haben diese Untadeligen über die Vergangenheit zu urteilen, und sie legen die Maßstäbe der Gegenwart dabei an (auch ein sehr aktuelles Thema). Nach Aktenlage war die Operation Windfall ein Desaster. Alec Leamas und Liz Gold wurden an der Mauer erschossen, und Mundt, der beseitigt werden sollte, saß fester im Sattel als zuvor. Aber die Akten sind unvollständig.

Was, wenn sich Beweise dafür beibringen ließen, dass die Operation ein voller Erfolg war, weil Mundt - als Doppelagent der Briten - in Wahrheit geschützt werden sollte? Dann, stellt Guillams Anwältin nüchtern fest, wäre von einem drohenden Untersuchungsausschuss des Parlaments nichts mehr zu befürchten, und es würden sich Mittel und Wege finden lassen, die Klage der Hinterbliebenen abzuwehren. Der Zweck würde wieder einmal die Mittel heiligen.

Es muss nur etwas geben, das sich als Erfolg verkaufen lässt, und die Opfer sind nicht mehr ganz so wichtig. "Liz und Alec?", meint die Anwältin. "Tragisch, ja, aber unter den Umständen, akzeptable Verluste in einer Angelegenheit, wo es um das große Ganze geht. […] Sie finden für mich die Beweise, ich finde für Sie den Richter." Beweise gibt es und den Richter folglich auch. Le Carré erspart uns die Einzelheiten, weil die Botschaft völlig klar ist: Im Zynismus der Geheimdienste spiegelt sich der Zynismus der Gesellschaft, deren Teil sie sind.

Polizeigewalt und staatlicher Auftragsmord

Über Binghams Verärgerung wundert man sich ein bisschen, weil er keiner von den Autoren war, die sich vor britischen Institutionen respektvoll verneigen. Die Polizeibrutalität in seinem ersten Roman (My Name Is Michael Sibley, 1952) muss für damalige Krimileser schockierend gewesen sein. Beim Geheimdienst war er nachsichtiger, ihn hielt er in Ehren. Vermutlich war auch persönliche Verletzung mit dabei, die besonders die Frauen in seinem Umfeld artikulierten, während sich Bingham in vornehmer Zurückhaltung übte und David Cornwell nie die Freundschaft kündigte.

Binghams Frau Madeleine war erbost darüber, dass le Carré Bücher mit einem George Smiley schrieb, in dem sie ein unvorteilhaftes Portrait ihres Ehemanns zu erkennen glaubte (klein, dick, bebrillt und wie ein Frosch auf der Suche nach einem Kuss, wie es in Call for the Dead heißt). Als Frau des "echten Smiley" scheint sie es als einen Anschlag auf ihren guten Ruf empfunden zu haben, dass die literarische Figur in Lady Ann eine Gattin mit ständig wechselnden Liebhabern hat. Eigentlich hätte es Lady Madeleine besänftigen müssen, dass in The Deadly Affair James Mason ihren Gatten spielt (oder den Mann, den sie dafür hielt).

Masons Agent allerdings ist ein ältlicher, von privaten Verlustängsten gequälter Herr, der zwar ein Geheimdienst-Profi ist, aber zugleich ein ziemlich grauer, langweiliger Beamter. Ob das Mrs. Bingham gefallen konnte? Smiley heißt auch nicht mehr Smiley, sondern Dobbs. Der in solchen Dingen unerfahrene und schlecht beratene le Carré hatte beim Verkauf der Filmrechte am Spion, der aus der Kälte kam außer der Geschichte auch die Namen der Charaktere an die Paramount abgetreten. The Deadly Affair ist eine Columbia-Produktion. Aus Smiley wurde Charles Dobbs.

The Deadly Affair

Inspektor Mendel durfte seinen Namen behalten, weil er in Spy nicht vorkommt. Harry Andrews als tierliebender und von Narkolepsie geplagter Inspektor ist wie immer grandios und die Szene, in der er den Schrotthändler durch die Straßen prügelt, bis er merkt, dass dessen kleine Tochter dabei zuschaut, schwer zu ertragen. Dieser Polizist macht so etwas nicht zum ersten Mal. Dadurch, dass Mendel soeben pensioniert wurde, wird es nicht besser. Hier ist die Handschrift von Paul Dehn zu erkennen, der ein Handbuch für Spione verfasst und - nach allem, was man weiß - im Krieg für den SOE gezielt Leute ausgeschaltet hatte, also ein ausgebildeter Killer gewesen war.

The Deadly Affair

Seine Kriegserfahrungen verarbeitete Dehn im Drehbuch für Orders to Kill (1958). Ein amerikanischer Offizier wird in ein Trainingslager für Agenten geschickt und dann in das von den Nazis besetzte Paris. Dort soll er einen freundlichen älteren Herrn umbringen, der bei der Résistance und vielleicht ein Verräter ist. Der Offizier stellt fest, wie schwer es ist, einen Menschen zu töten, auch wenn man zuvor gelernt hat, wie es geht. Die Folgen sind für die Beteiligten so dramatisch wie die Operation am Ende sinnlos war. Dehn bezieht mit Orders to Kill sehr deutlich Position gegen staatlich angeordnete Gewalt, von der Folter bis zum Auftragsmord.

Die Folter beschmutzt alle

Dehns Drehbuch zu The Deadly Affair bringt bereits die "verschärften Verhörmethoden" staatlicher Stellen zum Vorschein, die in der Romanvorlage noch zwischen den Zeilen versteckt sind, le Carré aber in den späteren Büchern immer wieder beschäftigen werden. Charakteristisch ist seine Reaktion auf Graham Greenes Spionagesatire Our Man in Havana, die er las, als er noch beim MI5 war. Zum einen amüsierte er sich darüber, wie leicht es dem Staubsaugerverkäufer Wormold fällt (in Carol Reeds Verfilmung: Alec Guinness, der spätere George Smiley), dem britischen Geheimdienst mit den fiktiven Berichten ebenso fiktiver Agenten Geld aus der Tasche zu ziehen.

Zum anderen war er schockiert, dass Greene aus Polizeichef Seguras eine komische Figur macht, obwohl der Mann ein Folterer ist. Bei der Folter gibt es für le Carré nichts zu lachen. Lange vor Guantanamo und den CIA-Foltergefängnissen in Osteuropa, in Tinker Tailor, versuchen die Verhörspezialisten des Circus, aus Bill Haydon Informationen herauszuprügeln. Niemand gibt es zu, und trotzdem wissen alle, was da vor sich geht. Am Ende besucht Smiley Haydon im Lager und ärgert sich über dessen schlechten körperlichen Zustand. Haydon sagt etwas über die kleinkarierte Gemeinheit seiner Befrager, viel mehr wird darüber nicht gesprochen.

Das geschickt dosierte Understatement hinterlässt mehr Wirkung als detailreich beschriebene Folterszenen, weil sich im Kopf des Lesers eigene Bilder einstellen. Tomas Alfredson nimmt sich an dieser Zurückhaltung ein Beispiel. In der Kinoversion kämpft Haydon (Colin Firth) mit den Tränen, als Smiley (Gary Oldman) in seine Zelle kommt. Das ist nicht so sehr der Mann, der jahrzehntelang die Ostagenten des Circus ans Messer geliefert hat und sich jetzt selber leid tut, weil man ihn enttarnt hat. Zu sehen sind, sehr dezent, die körperlichen und mehr noch die seelischen Folgen der Folter.

Der Mann steht am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Im Mehrteiler der BBC ist es noch schlimmer. Bill Haydon kann da sein Nasenbluten nicht stoppen, das Weinen ist länger und intensiver. Ian Richardson, spezialisiert auf die Vermenschlichung mieser Charaktere (siehe House of Cards, das Original der BBC), spielt das aus bis an die Schmerzgrenze. Smiley sitzt dabei und wird unfreiwillig zum Komplizen der Folterer, obwohl ihn deren Handwerk anekelt. Die Folter, sagt le Carré, beschmutzt alle. Darum sitzen das Opfer der Quälerei und Smiley, der sie nicht verhindert hat, in derselben Zelle.

Auf eine unheimliche Weise verbindet die Folter den Westen und den Osten. In Tinker Tailor foltern die Briten den Doppelagenten Haydon und in Spy lässt Mundt Alec Leamas foltern, der in die DDR geschickt wurde, um zu verhindern, dass er, Mundt, als Doppelagent der Briten enttarnt (und dann gefoltert) wird. Durch seine Plots (und nicht durch lange Kommentare) lässt le Carré nie einen Zweifel daran aufkommen, was von solchen Methoden zu halten ist.

Wie man weiß, ist das Thema durch das Ende des Kalten Krieges nicht obsolet geworden. Le Carré greift es deshalb in Das Vermächtnis der Spione noch einmal auf. Es zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch und beginnt mit der Vorgeschichte von Der Spion, der aus der Kälte kam. Karl Riemeck, Sohn eines von den Nazis in Buchenwald ermordeten Widerstandskämpfers, ist überzeugter Kommunist, darf im Arbeiter- und Bauernstaat Medizin studieren und berät Stasibonzen in heiklen medizinischen Angelegenheiten, bis er schließlich als Charité-Arzt bei Folterungen zugezogen wird und die Opfer auf ihre körperliche Belastbarkeit untersuchen muss.

Riemeck sieht seine Ideale verraten und in der DDR einen Unrechtsstaat, den er bekämpfen will, statt ihm weiter zu dienen. Er kontaktiert den britischen Geheimdienst und baut ein von Alec Leamas geführtes Agentennetz auf, dessen Ende wir miterleben, wenn Riemeck am Grenzübergang zwischen West- und Ost-Berlin erschossen wird. Leamas und Guillam gelingt es, die wichtigste Informantin aus der DDR heraus und über Prag nach Großbritannien zu holen. Smiley und Control bringen sie in Camp 4 unter, einem geheimen Ausbildungslager des Circus.

Herzstück des Lagers ist das "U-Boot": eine Isolationszelle, in der angehende Agenten lernen sollen, wie man "harten Verhörmethoden" widersteht und wie man sie selbst anwendet. In der Geschichte der Folter ist das ein beliebtes Vorgehen. Der Gegenseite werden Methoden zugeschrieben, vor denen man sich durch den Erwerb von praktischem Wissen schützen muss, und wenn man erst das Knowhow hat ist es ein kleiner Schritt, bis man es selber anwendet, dies aber natürlich nur zum Erreichen übergeordneter und hehrer Ziele, durch die man sich von den Bösewichten auf der anderen Seite unterscheidet.

Weil das ein Buch von John le Carré ist wird einem der Kommentar dazu nicht ausbuchstabiert, er ist durch Selberdenken aus der Handlung abzuleiten. Ausgerechnet im Ausbildungslager für Folterer landet Doris Gamp, die Informantin, die überhaupt nur mit dem britischen Geheimdienst in Berührung kam, weil Riemeck einem Staat, in dem behördlich gefoltert wird, den Kampf ansagte. Dieses Lager, das ihr Sicherheit bieten soll, bringt den Tod. Das ist der Ausgangspunkt für einen Plan, der zynischer kaum sein könnte und dessen Folgen (mehrere Folterungen inklusive) Smiley und Guillam ein Leben lang begleiten werden.

Le Carré zeigt die zersetzende Wirkung. Am Ende traut jeder jedem alles zu. Die Anwälte, die der Staat dafür bezahlt, dass sie Geheimdienstskandale unter den Teppich kehren, haben Angst davor, dass der Circus eigene Agenten gefoltert und versehentlich umgebracht haben könnte, wenn sie nicht auskunftsfreudig genug waren. Wer einmal anfängt begibt sich auf eine abschüssige Bahn. Keiner ist dann mehr sicher.

Im zweiten (und letzten) Teil unternehmen wir einen kurzen Ausflug in die Geschichte der Filmzensur, der uns auch zu John le Carrés Verhältnis zu den Deutschen und den mitteleuropäischen Juden führen wird und zu einer möglichen Antwort auf die Frage, warum le Carré noch einmal einen Roman über den eigentlich schon ausgemusterten Circus und seine Der-Zweck-heiligt-die-Mittel-Operationen geschrieben hat.

Dies und noch mehr in: Deutsche, verschwundene Juden und Europa

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