Julian Assange: Die Leiche im Keller des Westens

Seite 2: Eine Katastrophe für die Pressefreiheit

Assange wurde hingegen dafür zu ganzen 50 Wochen verdonnert, die er natürlich längst abgesessen hat. Um ihn danach nicht freilassen zu müssen, wurde rasch ein passender Vorwand gefunden: Sein derzeitiger Gefängnisaufenthalt gilt als Präventivhaft wegen Fluchtgefahr.

Das muss man sich einmal vorstellen: Präventivhaft in einem derartigen Hochsicherheitsgefängnis unter derartigen Bedingungen, ohne eine rechtskräftige Verurteilung, für einen Journalisten, dem lediglich seine Veröffentlichungen vorgeworfen werden. So etwas hat keine rechtliche Grundlage.

Der Schweizer Nils Melzer, UN-Sonderbeauftragter für Folter, macht die Relationen klar, indem er darauf hinweist, wie im Vergleich dazu die Präventivhaft aussah, der der von den USA geförderte und für Massenmorde verantwortliche chilenische Diktator Augusto Pinochet zwischen 1998 und 2000 in Großbritannien unterstellt war: Er erhielt Hausarrest in einer komfortablen Villa, in der er unbegrenzt Besuch empfangen konnte, unter anderem auch den der ehemaligen Premierministerin Margaret Thatcher.

Von weitreichender Bedeutung aber ist: Das Gericht unter dem Vorsitz von Baraitser hat in allen Punkten der Anklage zugestimmt und damit einen verheerenden Präzedenzfall geschaffen, der der Kriminalisierung und Verfolgung von US-kritischen investigativen Journalisten Tür und Tor öffnet.

Und das nun sogar auf extraterritorialem Gebiet, das heißt weltweit, wo auch immer die USA einer Person irgendwie habhaft werden können, und gleichgültig, ob es sich nun dabei um einen amerikanischen Staatsbürger handelt oder nicht. Man muss sich das einmal vorstellen, was für eine unglaubliche Machtfülle hier den Vereinigten Staaten rechtlich zugestanden wird.

Einzig und allein der angeschlagene gesundheitliche Zustand des WikiLeaks-Gründers wurde als Argument für die Ablehnung des Antrags auf Auslieferung angeführt. Inhaltlich, und das ist das eigentlich Erschreckende, gibt es überhaupt keine Differenzen zwischen der britischen Justiz und den Vertretern der amerikanischen Regierung. Es ist in dieser Hinsicht also das Schlimmste eingetreten, was kluge Köpfe befürchtet haben.

Ein Urteil mit Tücken

Hinzu kommt: Der Antrag auf Auslieferung wurde zwar zurückgewiesen, aber die spezifische Begründung der Ablehnung ist durch und durch vorteilhaft für die USA. Welches Szenario sich nun auch genau abspielen wird, die Amerikaner haben das Spiel bereits gewonnen. Assange sitzt in der Falle, so oder so. Sie werden ihn nicht mehr aus den Fingern lassen. Warum das so ist, sei hier in einer Fußnote kurz erklärt.1

Zum einen hat die Berufung gegen ein solches Urteil gute Chancen. Die amerikanischen Kläger brauchen im Grunde nur versichern, dass sie Assange gut behandeln werden, und damit könnte das Höchstgericht sofort grünes Licht für die Auslieferung erteilen.

Oder aber das Höchstgericht verfügt die Neuauflage des Verfahrens in erster Instanz. Auf diese Weise kann sich das Verfahren noch über Jahre ziehen, ohne dass Assange dabei aus Belmarsh herauskommt. Wie Melzer mehrfach dargelegt hat, spielt es für die USA keine besondere Rolle, ob Assange in London irgendwann den Strapazen der Isolationshaft erliegt und auf diese Weise aus dem Leben scheidet oder ob er in den USA wegen Spionage zu 175 Jahren in einem ähnlichen Hochsicherheitsgefängnis verurteilt wird. Wichtig für die Amerikaner ist, dass er nie mehr seiner journalistischen Tätigkeit nachgehen kann und ein abschreckendes Exempel an ihm statuiert wird.

Aber selbst wenn es so ausgehen sollte, dass der WikiLeaks-Gründer das alles überlebt und er am Ende aufgrund seines gesundheitlichen Zustands aus Belmarsh entlassen wird, wird er sich für den Rest seines Lebens nur mehr unter Anführungszeichen in "Freiheit" befinden. England wird er nämlich nie mehr verlassen können.

Dort wurde der Auslieferungsantrag zwar abgelehnt, aber kaum betritt er ein anderes Land, kann das ganze Spiel von vorne beginnen, kann er verhaftet und ein neuer Auslieferungsantrag gegen ihn gestellt werden. Selbst wenn er in England bleibt, befindet er sich aber nicht in Sicherheit. Es bräuchte nur eine Verbesserung seines gesundheitlichen Zustands festgestellt werden, und dann könnte er doch wieder verhaftet und ausgeliefert werden, weil ja dann der Grund der Ablehnung des Auslieferungsantrags weggefallen wäre. Alle diese Optionen hält das willfährig Urteil, das Baraitser gefällt hat, offen.

In der Falle mit Assange sitzen aber vor allem wir selbst. Es geht um Demokratie und Pressefreiheit, um Menschenrechte und um die geheim gehaltenen Kriegsverbrechen der USA, die nicht Thema sein dürfen. Melzer weist wiederholt darauf hin, wie sehr es den amerikanischen Strategen gelungen ist, davon abzulenken. Sie haben den Scheinwerfer auf den Australier gerichtet, weg von den Untaten, um die es eigentlich gehen sollte.

Das Ergebnis ist, dass wir zwar einerseits zu wenig über Assange reden, auf der anderen Seite aber im Grunde immer schon viel zu viel, selbst dann, wenn wir ihn verteidigen. Um ihn hätte es nie gehen sollen. Das ursprüngliche Anliegen Assanges, Umtriebe, Korruption und Verbrechen der Mächtigen aufzudecken, die Inhalte, die er eigentlich transportieren wollte, die kommen gar nicht mehr zur Sprache, die werden von den Diskussionen um seine Person verdeckt.

Diejenigen US-amerikanischen Soldaten, die, wie WikiLeaks publik gemacht hat, einfach so zum Spaß aus einem Hubschrauber Passanten in Bagdad abgeknallt haben, über die redet niemand, die laufen frei herum und die werden auch nicht gerichtlich verfolgt. Und einige andere Kriegsverbrecher hat das Weiße Haus sogar explizit begnadigt. Assange aber sitzt für nichts im Hochsicherheitsgefängnis. Irgendetwas läuft hier also grundlegend falsch.

Schätzungen zufolge haben die USA in den letzten 30 Jahren allein im Irak 2,7 Millionen Menschen getötet. "Ich schere mich nicht um das, was diese Völkerrechtsanwälte sagen, wir müssen einige in den Arsch treten", hat seinerzeit US-Präsident George Bush sein allen Menschenrechten spottendes Vorgehen verteidigt. Sein Nachfolger Barack Obama drückte es zwar nicht so grobschlächtig aus und gab sich besser erzogen – tatsächlich aber unterschieden sich seine Handlungen nicht viel von denen seines Vorgängers. Sein Spezialgebiet wurde der Drohnenmord.

Wenn jedoch in Myanmar Militärgewalt gegen Demonstranten eingesetzt wird, dann empört sich der frisch gebackene US-Präsident Joe Biden scheinheilig darüber und nennt so ganz nebenbei auch noch den russischen Staatschef Wladimir Putin einen "Mörder". Derselbe Biden, der neuerlich die Auslieferung von Assange verlangt hat, obwohl er den Fall nicht weiter hätte verfolgen müssen. Diese unverschämte Heuchelei des Westens ist es, die unerträgliche Ausmaße angenommen hat und viel mehr Thema sein sollte.