Jupiter der Planetenkiller

Diagramm des Jupiters: Innenleben, Oberfläche, Ringe und innere Monde. Bild: Kelvinsong. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Er hat den Mars im Griff und zerstörte mögliche Super-Erden: Der Gasgigant Jupiter hat unser Sonnensystem mitgestaltet wie kein anderer Planet

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Jupiter ist für Astronomen längst ein guter Bekannter. Wir wissen, dass es sich um einen Gasgiganten mit 317,8 Erdmassen handelt. Jupiter ist doppelt so schwer wie alle anderen Planeten des Sonnensystems zusammen. Vier große Monde umkreisen ihn und eine ganze Reihe kleinerer, und er dreht sich unglaublich schnell um die eigene Achse. Ein Tag dauert auf dem Jupiter darum weniger als zehn Stunden.

Aber Jupiter ist auch immer wieder für Überraschungen gut. Hätten Sie gedacht, dass diese riesige Kugel aus Wasserstoff und Helium als eine Art überdimensionale Abrissbirne das Aussehen des heutigen Sonnensystems entscheidend geformt hat?

Wie Sie wissen, bewegen sich die acht Planeten auf festen Bahnen um die Sonne. Merkur ist dem Zentralgestirn am nächsten, gefolgt von Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Aber das war nicht immer so, und die Bahnaufteilung besitzt einige Besonderheiten, die die Astronomen schon seit einiger Zeit stören.

Problem Mars

Eines dieser Probleme ist der Mars. Wann immer Forscher versuchten, die Entstehung der vier inneren Planeten des Sonnensystems im Computer zu modellieren, wurde der Rote Planet dabei entweder bis zu zehnmal so groß wie in Wirklichkeit - oder er umkreiste die Sonne weiter innen. Etwas, so die Vermutung, muss den Mars am Wachstum gehindert und seine Bahn nach außen gezogen haben. Und dieses Etwas, sagen einige Astronomen heute, war der Jupiter.

Über die Jahre haben verschiedene Studien versucht, das Problem auf die ein oder andere Art zu lösen. 2009 veröffentlichte Brad Hansen von der University of California in Los Angeles die These, dass es im frühen Sonnensystem festes Material nur bis zu einem bestimmten Umkreis um die Sonne gab. Alle Protoplaneten, die weiter als eine Astronomische Einheit entfernt kreisten, hätten demnach nicht genug Material gefunden, um zu einem echten Planeten zu wachsen.

Bild: NASA

Die Idee klang gut: Da eine Astronomische Einheit (AE) der Entfernung zwischen Sonne und Erde entspricht, wäre es logisch, dass Erde und Venus deutlich größere Massen erreichten als der Mars. Mit einer Distanz von 1,5 AE kreiste der Rote Planet außerhalb der von Hansen bestimmten Grenze. Damit wäre ihm weniger Gesteinsmaterial zum Wachstum geblieben - scheinbar eine perfekte Erklärung.

Aber ein Schlüsselelement fehlte: "Hansen erklärte nicht den Grund, er postulierte einfach [die Position dieser Grenze]", sagt der Astronom Alessandro Morbidelli. Das Modell ignorierte die Gasriesen und den Asteroidengürtel außerhalb der 1-AE-Grenze. "Wie kann das sein?", fragte Morbidelli. Gemeinsam mit Sean Raymond, Kevin Walsh, Avi Mandell und David O’Brien begann er, einen genaueren Blick auf Jupiter zu werfen, den größten Planeten des Sonnensystems, um so die fehlende Masse des Mars zu erklären.

Grand-Tack-Hypothese

Das Team entwickelte die Grand-Tack-Hypothese ("Große Wende"). Sie ging davon aus, dass sich zunächst ein einsamer Jupiter formte, der in seiner Jugend gleich zweimal seine Position änderte. Zunächst bewegte er sich nach innen Richtung Sonne, um anschließend wieder nach außen an seine jetzige Position zu migrieren.

An dieser Stelle wird es spannend. "Wir wussten, dass wir für die geringere Größe des Mars ein Materialdefizit in seiner Wachstumszone brauchten", sagt Raymond, Astronom am Laboratoire d’Astrophysique im französischen Bordeaux. "Es ist eine ziemlich einfache Idee: Mars muss - anders als Erde und Venus - damals auf Diät gewesen sein. Also dachten wir: was wäre denn, wenn Jupiter zunächst an der Stelle von Mars gewesen wäre?"

Die Forscher postulierten also, dass Jupiter sich irgendwann auf den Weg machte: Aus einer Entfernung von 3,5 AE zog ihn die Anziehungskraft des dichten Gases der inneren protoplanetaren Scheibe bis auf 1,5 AE an die Sonne heran - ziemlich genau der Ort, an dem heute der Mars kreist. Näher kam er nicht - wieder wegen der hohen Dichte der Ur-Scheibe. Aber Jupiter hatte die Gelegenheit, eine Menge von dem Gesteinsmaterial aufzunehmen, das in dieser Entfernung um die Sonne kreiste, und damit gleichzeitig das künftige Wachstum des Mars zu beeinflussen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich noch keiner der terrestrischen Planeten geformt. Merkur, Venus, Erde und Mars sind jünger als die Gasplaneten, und sie entstanden auch später. Das Grand-Tack-Szenario, das sich in den ersten zehn Millionen Jahren nach Entstehung des Sonnensystems abgespielt haben muss, nimmt an, dass Saturn seinem Schwesterplaneten bei der Bewegung nach innen folgte und dass beide eine orbitale Resonanz erreichten.

Das heißt, dass sie sich periodisch gegenseitig mit ihrer Anziehungskraft beeinflussten und dabei eine Art kosmischen Tanz aufführten, in dessen Folge sämtliches Gas aus dem inneren Bereich nach außen befördert wurde. Schließlich schubsten sie sich auch gegenseitig selbst wieder nach außen, wo sie ihre jetzigen Positionen einnahmen.

Jupiter umkreist die Sonne seitdem in 5,2 AE Abstand. Aber weil er so viel von dem Gesteinsmaterial in der Marsbahn aufgenommen hat, konnte der Rote Planet später nicht mehr im selben Maß wachsen wie Venus und Erde. Da Jupiter aber nicht näher als 1,5 AE gekommen war, hatte er die Feststoffvorräte im inneren Bereich nicht beeinflussen können. Die drei innersten Planeten, Merkur, Venus und Erde, konnten deshalb wie erwartet wachsen.

Vergleich mit der Erde

Den konkreten Einfluss dieses Manövers auf den Mars zeigt ein Vergleich mit der Erde. Beide sammelten zunächst sehr schnell Masse, doch nur unser Planet fuhr damit fort. Der Mars entstand, glaubt man, in einer Entfernung von etwa 1 AE, wo er zunächst ausreichend Gesteinsnahrung vorfand, um seinen Kern zu bilden. Dann aber wurde er durch Gravitationskräfte weiter nach außen geschoben - in ein Gebiet, in dem das Material für weiteres Wachstum fehlte.

Der Rote Planet erreichte seine Endgröße deshalb deutlich früher als die Erde. "Der Zeitraum, in der der Mars entstanden ist, ist viel kürzer als bei der Erde", erklärt Morbidelli und fügt hinzu, dass die Erde die Hälfte ihrer Masse in den ersten fünf bis zehn Millionen Jahren ansammelte. "Die Erde brauchte insgesamt 100 Millionen Jahre, der Mars aber nur vier Millionen. Das heißt, zunächst wuchs der Mars ebenso, nahm dann aber plötzlich nicht mehr an Masse zu.

Die These, dass der Jupiter die Marsbahn leer geräumt hat, erklärt sowohl die geringe Größe des Mars als auch die Tatsache, dass sein Wachstum so überraschend beendet wurde." Das ist allerdings womöglich nicht die einzige Weise, auf die Jupiter das Aussehen der Welt um uns herum geformt hat. Einige Forscher glauben, dass einst Super-Erden die Sonne umkreisten, etwa zehnmal so schwer wie unser Heimatplanet, aber kleiner als Neptun.

Sonnensystem 1.0

Diese großen Gesteinsplaneten umkreisten die Sonne in deutlich geringerer Entfernung, so, wie es heute noch in vielen anderen Planetensystemen zu beobachten ist. Sie gehörten gewissermaßen zum "Sonnensystem 1.0" - im Gegensatz zur zweiten, allbekannten ­Ver­sion. Daran, dass es diese Super-Erden heute nicht mehr gibt, soll Planeten-Killer Jupiter schuld sein.

Diese Idee klingt reichlich fantastisch - aber sie ist Teil einer Theorie, aufgestellt von Konstantin Batygin, Planetenforscher am California Institute of Technology, und Greg Laughlin, Astronom an der University of California. Die Forscher nehmen darin sowohl die Grand-Tack-Hypothese als auch die Beobachtungen des Kepler-Teleskops auf. Diese zeigen, dass im Universum Planetensysteme mit überdimensionalen, sternnnahen Gesteinsplaneten mit dünner Atmosphäre überwiegen.

"Kepler hat gezeigt, dass der innere Teil des Sonnensystems einfach fehlt", sagt Laughlin. Auch Gasgiganten, darauf weist er hin, befänden sich in anderen Systemen meist in einer zehnmal geringeren Entfernung, als der Merkur zur Sonne innehat. "Das ließ uns darüber nachdenken, wie die Bildung des Jupiter und das Grand-Tack-Manöver das Innere des Sonnensystems leer geräumt haben könnten. Wenn unser Sonnensystem ähnlich wie andere aussah, sollte es ja ebenfalls ein paar Super-Erden in sonnennahem Orbit gegeben haben." Wenn das aber der Fall war, stellt sich natürlich die Frage, wohin diese Himmelskörper verschwunden sind.

Batygin und Laughlin schlagen vor, dass die Super-Erden entstanden, bevor Jupiter seinen Weg nach innen antrat. "Zu allererst wären demnach die großen Gesteinsplaneten entstanden, und zwar sehr schnell", erklärt Laughlin. "Sie konnten auf einen großen Materialvorrat zugreifen, denn so nah am Zentralgestirn war die Dichte hoch. Und sie wuchsen so schnell, weil sie auf ihren engen Bahnen die Sonne rasant schnell umkreisten."

Beobachtungen des Kepler-Weltraumteleskops zeigen, dass sich Gas-Giganten in anderen Systemen deutlich näher am ­Zentrum befinden als der Jupiter. Bild: NASA

Als Jupiter sich dann gemäß der Grand-Tack-Hypothese in Richtung Sonne in Bewegung setzte, brachte er nach Batygins und Laughlins Vorstellung die Bahnen der Super-Erden durcheinander. Sie stießen zusammen und zerbrachen, wurden also, wie Laughlin meint, "frühzeitig von Jupiters Bewegung nach innen zerstört." Der Gasgigant befand sich danach zudem an einer Position, an der sich seine Brüder in anderen Planetensystemen beobachten lassen.

Kollisionskaskade

"Jupiter hat in unserem Szenario eine ganze Kollisions­kaskade ausgelöst, durch die alle Planeten im heutigen Bereich der Erdbahn auf Konfrontationskurs gingen und schließlich in kleinen Brocken endeten", sagt Laughlin. Das Ergebnis: Die Überreste der Super-Erden landeten in der Sonne und nahmen dabei alle Gasreste innerhalb der Merkurbahn mit sich, sodass dort heute gähnende Leere herrscht.

Falls sich die Theorie beweisen ließe, würde sie erklären, warum ausgerechnet unser System so anders aussieht als andere und warum die heutigen erdähnlichen Planeten so viel kleiner sind. Vielleicht gab es ja tatsächlich eine erste Generation von Super-Erden, die zerstört wurden und ihren Platz frei machten für eine Reihe kleinerer, masseärmerer Objekte.

"Es ist eine gern übersehene Folge des Grand-Tack-Manövers, dass Jupiter dadurch als eine Art Abrissbirne ins Innere des Sonnensystems vordrang und die ursprüngliche Konfiguration der Planeten durcheinander brachte", sagt Laughlin. "Erst danach bewegten sich Jupiter und Saturn in Folge einer Bahnresonanz wieder nach außen, und schließlich formten sich die Erde und die anderen Gesteinsplaneten aus dem, was die schwingende Abrissbirne Jupiter übrig gelassen hatte."

Das sei auch die Ursache, so der Forscher, für das geringere Alter der terrestrischen Planeten. Für sie war ja überhaupt erst Platz, nachdem der Jupiter das innere Sonnensystem freigeräumt hatte. "So erhalten wir eine schlüssige Erklärung, warum die Gesteins­planeten jünger als die Gasriesen sind, obwohl sie doch eigentlich den Vorteil eines Frühstarts in einer materialreichen Gegend und ihrer schnellen Umlaufzeiten um die Sonne gehabt haben sollten."

Das Ergebnis ist ein ziemlich ungewöhnliches Sonnensystem mit einer besonders zerstörerischen Rolle für den Jupiter in seiner Kindheit. "Es sieht sehr danach aus, dass das Sonnensystem ein paar seltsame und bemerkenswerte Merkmale besitzt", sagt Laughlin.

Der Grand-Tack-Hypothese zufolge hat die Bewegung des Jupiters nach innen dem Mars die Möglichkeit genommen, mehr Masse anzusammeln. Bild: NASA

Unser Sonnensystem wäre eine Besonderheit

Ein Gasplanet wie der Jupiter in einem fast kreisrunden Orbit - so etwas finden wir nicht in jedem Sonnensystem. Tatsächlich beobachten wir das nur bei einem niedrigen Prozentsatz aller Systeme. Auch das völlige Fehlen jeglichen Materials innerhalb der Merkurbahn ist ungewöhnlich. Womöglich hatten die terrestrischen Planeten bei ihrer Entstehung nur deshalb keinen Zugriff mehr auf die Gas-Staub-Wolke der protoplanetaren Scheibe.

Auch die Erde sähe anders aus, hätten sich die Planeten wie in den meisten anderen Systemen gebildet. "Das könnte bedeuten, dass Planeten mit festen Oberflächen und einem Atmosphärendruck wie auf der Erde relativ selten sind. Das ist jetzt reine Spekulation, aber ich denke, angesichts der Unzahl wilder Spekulationen über außerirdisches Leben ist es durchaus angebracht, Gedanken zu äußern, die auf eine vorsichtig-konservative, weniger aufregende Interpretation hindeuten."

Morbidelli lässt sich von diesem Modell trotzdem nicht überzeugen. Er betrachtet Batygins und Laughlins Arbeit als noch nicht ausgereift genug; viele Aspekte müssten noch genauer untersucht werden. Seiner Meinung nach besaß die protoplanetare Scheibe eine innere Grenze, die Planeten nicht überschreiten konnten.

"Es gibt Kräfte, die die Planeten an diesen Grenzen aufhalten", sagt er. "Diese Kräfte konkurrieren mit der Anziehungskraft des Staubs." Deshalb konnten sich die Planeten der Sonne nicht zu sehr nähern. Und es gibt auch Forscher, die der Grand-Tack-Hypothese insgesamt misstrauen. Noch kennen wir zudem gar nicht alle Folgen, würde diese Theorie bewiesen.

"Der Beweis würde das Sonnensystem zu etwas Besonderem machen", sagt Morbidelli. "Er würde zeigen, dass es uns nur durch eine ganz bestimmte Abfolge von Ereignissen gibt, von der wir wissen, dass sie im Universum nicht Standard ist. Wenn der Jupiter zum Beispiel erst später gestartet wäre, gäbe es die Menschheit nicht, weil die Erde dann eher Marsgröße hätte. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich sage nicht, dass das einzigartig ist oder dass gar die Hand Gottes im Spiel war, aber diese Abfolge von Ereignissen kommt wirklich nicht häufig vor."

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.