Kampf um das Recht

Seite 2: Verhalten der Polizei

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Von Anfang an stand die Polizei dem Engagement des Legal Teams skeptisch gegenüber. Allerdings hatte sie vorab z.B. einen freien Zugang der Anwälte zu ihren Mandanten zugesagt. Im Laufe der Tage und insbesondere nach den Ausschreitungen vom Samstag spitzte sich die Konfrontation zu.

„Die Polizei wirkt im Detail sehr professionell, aber auch sehr aggressiv. Insgesamt gesehen scheint sie jedoch unkoordiniert, weil es einfach zu viele Beamte sind, die nicht wissen, was sie machen sollen. Das führt u.a. dazu, dass Versammlungsteilnehmer auf 500 Metern bis zu drei Mal komplett durchsucht werden, weil alle paar Hundert Meter eine Einheit aus einem anderen Bundesland steht,“ berichtet einer der RAV-Organisatoren des Legal Teams, Rechtsanwalt Peer Stolle. Und Hilbrans ergänzt: „Die Polizei weiß gar nicht, wohin mit ihrer Power. Sie sind im Einsatz unberechenbar und arbeiten mit extrem niedriger Reizschwelle.“ Polizeikommissar Christian Zimmer von der Pressestelle der BAO Kavala dementiert: „Die eingesetzten Kräfte sind professionell auf ihre Aufgaben vorbereitet worden und erfüllen sie vorbildlich. Wenn die Polizei gelegentlich einen ungeordneten Eindruck macht, so liegt dies zweifellos daran, dass sich Beobachtern das taktische Vorgehen der Polizei in seiner Gänze nicht erschließen kann, weil sie immer nur Ausschnitte des komplexen Einsatzgeschehens erleben.“

Deutlich wurde das insbesondere auf der Sonntags-Demonstration, deren Verlauf offensichtlich nicht in das Regieprogramm der BAO Kavala passte. Hauptproblem schien, dass es friedlich blieb, Kavala die Demonstration aber unbedingt verbieten wollte.

Rostock, Montag, 4.6.07, nachmittags: Mehrere Anwälte des Legal Teams begleiten die Organisatoren der „Demonstration für globale Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte in Rostock“. Die Polizei hat acht Wasserwerfer und Räumfahrzeuge aufgefahren. Statt der angemeldeten 2000 Teilnehmer strömen 10.000 Demonstranten auf den Platz. Sie müssen intensive und wiederholte Durchsuchungen über sich ergehen lassen. Wer auch nur den Anschein erweckt, sich vermummen zu wollen, wird sofort in Gewahrsam genommen. Mitunter kann für diesen Verdacht bereits das Mitführen einer Sonnenbrille genügen.

Die Demonstration kommt nicht voran, zwei Stunden stehen die Menschen in der prallen Sonne und werden von der Polizei eingekreist. Mitten durch sie hindurch führt ein Gleisbett der Straßenbahn mit vielen, vielen Steinen. Doch nichts passiert; selbst dann nicht, als ein bayerisches Unterstützungskommando (USK) in schwarz entlang der Bahnschienen Aufstellung nimmt und den verwunderten Demonstranten zuraunt: „Heut abend gibt's Rache für gestern.“

Als der Demonstrationszug sich endlich in Bewegung setzt, wird er schon bald wieder gestoppt. Dem Nürnberger Polizeieinsatzleiter vor Ort, der sich über den Verlauf der Versammlung mit den Anwälten abspricht, wird von Seiten der BAO Kavala erklärt, die Demonstration dürfe nicht in die Rostocker Innenstadt, weil die Anzahl der angemeldeten Teilnehmer weit überschritten sei. Weder die Anwälte noch den Polizeiführer vor Ort überzeugt das Argument, er fragt nach. Wenig später heißt es aus der Pressestelle von Kavala, die Demonstration sei aufgehalten worden, da sich darin 2.500 vermummte, gewaltbereite Teilnehmerbefänden. Vor Ort erklärt jedoch der Gesamteinsatzleiter vor laufender Kamera, dass es zu keinerlei Straftaten gekommen sei und sich in der Demonstration kein einziger Vermummter befinde. Seine Remonstration bei der Dienststelle hat keinen Erfolg. Gegen 17.15 Uhr muss er Anwälten und Anmeldern mitteilen, dass die genehmigte Route auf Anordnung der Versammlungsbehörde verboten sei. Auch die angebotenen Ersatzrouten werden nicht gestattet. Statt dessen sollen sich die Demonstrationsteilnehmer/innen in Zwei- bis Dreiergruppen vom Versammlungsort entfernen. Nicht nur angesichts der Masse an Menschen eine unerhörte Provokation, sondern weil sich unter ihnen viele Migrant/innen mit ungesichertem Aufenthaltstitel befinden, die nur im Schutz der Demonstration vor einer drohenden Abschiebung sicher sein können.

Wir haben die Demonstration daraufhin für beendet erklärt. Die von der Polizei vorgeschlagenen Ausweichrouten haben wir nicht akzeptiert, denn wenn es Schule macht, dass die Polizei genehmigte Demonstrationen nach Belieben verbieten oder abändern kann, wird das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit einem dauerhaften Prozess der Aushöhlung ausgesetzt.

Rechtsanwalt Peer Stolle, RAV

Der Gesamteinsatzleiter gibt auf, er fühlt sich von der BAO Kavala entmachtet. Jetzt könnte es knallen. Doch es bleibt ruhig. Die Demonstrant/innen umgehen die Polizeisperren und setzen ihren Weg zunächst in kleineren Gruppen, schließlich als Demonstrationszug vereint auf verbotenem Wege fort. Es bleibt friedlich. Ein erschöpfter Polizeibeamter telefoniert mit seiner Freundin und macht seinem Unmut Luft: „Erst lassen sie die Leute hier alle auf den Platz marschieren und dann geht's nicht los. Klar, dass die sich verarscht vorkommen. Die Einsatzleitung geht voll auf Konfrontation und wir müssen den Kopf hinhalten.“

Die Polizei hat keine Deeskalationsstrategie gefahren, sie hat nur nicht gleich angefangen zu prügeln. Es ist allein dem besonnen Verhalten der Demonstranten zu verdanken, dass das konfrontative Verhalten der Polizei nicht zu einer gewalttätigen Eskalation geführt hat.

Rechtsanwalt Eberhard Schultz, Bremen:

Auch die Mitglieder des Legal Teams waren vor Übergriffen durch die Polizei keinesfalls sicher. Neben verbalen Attacken und wiederholten Gewaltandrohungen, kam es zu Platzverweisen, Verhaftungen und Übergriffen gegen Anwälte. So berichtete der RAV am 2. Juni, dass in Rostock auf dem Parkplatz Fischerstraße eine Anwältin bei dem Versuch, Kontakt zu einem verletzten, festgenommenen Mandanten aufzunehmen, von einem Beamten zu Boden gestoßen und ihr mit weiteren Schlägen gedroht wurde. Einer Prügelorgie durch bayerische Polizeibeamte konnten vier Anwälte am Sonntag früh vor dem Ausländeramt Rostock nur deswegen entgehen, weil sich diesen Berliner Polizisten in den Weg stellten.

Nach Angaben des RAV wurde am Nachmittag des 7.6. am Blockadepunkt Hinter Bollhagen ein gekennzeichneter Anwalt bei dem Versuch, den Namen eines Festgenommen zu erfragen, von Polizeibeamten mehrfach körperlich attackiert und 75 Meter über den Boden geschleift. Zuvor hatte ein Polizeibeamter den Mund des Festgenommenen zugehalten, so dass dieser nicht antworten konnte, ihn mit fünf weiteren Beamten zu Boden geworfen und gefesselt. Insbesondere auf den ortsansässigen Rechtsanwalt Dietmar Sasse hatte es die Polizei abgesehen. Er hatte auch die Infrastruktur für das Legal Team beschafft. Drei Mal wurde er bedroht und sein Auto mehrfach gezielt durchsucht. Am Donnerstag wurden zwei Anwälte in ihrem Pkw zunächst von einem Wagen der 23. Einsatzhundertschaft aus Berlin verfolgt und schließlich angehalten. Nachdem sie sich als Anwälte zu erkennen gegeben hatten, rissen die Beamten zu dritt die Wagentür auf. Ein Polizeibeamter packte den am Steuer sitzenden Anwalt am Kragen, riss ihn rücklings aus dem Auto und warf ihn auf die Straße. Anschließend hielten die Beamten die Anwälte weitere 20 Minuten für eine Fahrzeugkontrolle fest.

Man ist ja als Jurist bemüht, solche Konflikte mit der Polizei auf eine sachliche Ebene zu heben, aber was man teilweise erleben musste, bringt einen echt an die Grenzen des Erduldbaren. Man hatte das Gefühl, für die Polizei geht die größte Gefahr von den Anwälten und der Presse aus.

Rechtsanwalt Claus Förster, Berlin

Rechtsanwalt Moritz meint dennoch, dass sich die Anwesenheit von Mitgliedern des Legal Teams insgesamt deeskalierend auf die Ausübung staatlicher Gewaltmaßnahmen ausgewirkt habe. Zwar musste auch er hilflos zusehen, als ein Polizist aus Schleswig-Holstein mit schwingendem Knüppel (Tonfa) hinter einem Demonstranten herrannte und dabei schrie: „Ich hau dir den Schädel ein.“ Auch erlebte er kurze Zeit darauf , wie ein schwarz-uniformierter Beamter einer anderen Einheit mit voller Ausholbewegung einem zu Boden gestolperten Demonstranten mit dem Knüppel mehrfach von hinten auf den Kopf schlug und den benommen am Boden Liegenden sodann mit dem Fuß in den Straßengraben beförderte. Da der Polizeibeamte unter seinem Helm vermummt war und wie alle eingesetzten Beamten keine Dienstnummer an der Uniform trug, könne diese schwere Straftat mangels Erkennbarkeit des Beamten jedoch nicht verfolgt werden, so Moritz.

Dennoch hätten die Legal Teams ihre wesentliche Funktion erfolgreich erfüllen können: „Der Exekutive auf den Demos auf die Finger zu gucken und auch im Anschluss an Verhaftungen nicht wegzusehen.“ So konnte zum Beispiel am Montag vor der Rostocker Ausländerbehörde durch die beharrliche Präsenz des Legal Teams verhindert werden, dass eine Berliner Einsatzhundertschaft in die friedliche Kundgebung stürmte.

RAV sucht Zeug/innen dieses Vorfalls: Das Foto entstand am Nachmittag des 2. Juni gegen 17:30 Uhr auf der Straße am Warnowufer in Höhe des Aufgangs Kanonenberg. Ein junger Mann wird von einem Polizisten mit einem Schlag zu Boden gebracht und sein Kopf von dem Beamten mehrfach mit der Hand auf den Boden gestoßen, während ein anderer Polizist das weiße T-Shirt um den Hals des Betroffenen wrang und zuzog.