Kampfdrohnen in der Hand von Militärs, Agenten, Terroristen und Familienvätern

Seite 4: 3. Drohnenopfer aus Deutschland

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Die Auseinandersetzungen über die Rechtmäßigkeit der extra-legalen Lynchjustiz der USA waren in Deutschland keine rein akademische Diskussion, zumal mindestens fünf Dschihadisten aus der Bundesrepublik durch US-Drohnenangriffe getötet wurden:

"Abu Omar" (2010)

"Abu Omar" war Palästinenser, der eine zeitlang in Deutschland gewohnt hatte. Er war Mitglied von al-Qaida. Wie Rami Makanesi berichtete, kam er bei einem US-Drohnenangriff in Waziristan 2010 ums Leben.

Shahab Dashti Sineh Sar / Bünyamin Erdoğan (2010)

"Abu Askar al-Almani" alias Shahab Dashti Sineh Sar war iranischer Staatsbürger. Im Jahre 1994 kam er mit seinen Eltern nach Hamburg. Hier besuchte er die Madschid-Taiba-Moschee (vormals: Al-Quds-Moschee) am Steindamm 103 und wurde Mitglied der Islamischen Bewegung Usbekistan (IBU). Er reiste am 4. März 2009 nach Peschawar (Pakistan), um sich dort in einem Terrorlager ausbilden zu lassen. In einem Brief an seine Eltern vom März 2009 erklärte Dashti, dass ihm ein gottgefälliges Leben in Deutschland nicht mehr möglich gewesen sei und dass er mit seiner Familie die höchste Stufe des Paradieses erreichen möchte, in welches auch Märtyrer eingehen sollen."

"Imran al-Almani" alias Bünyamin Erdoğan war Deutschtürke, zuletzt wohnte er in Wuppertal-Vohwinkel. Im Jahr 2009 besuchte Bünyamin Erdoğan eine Koranschule in Ägypten und reiste ein Jahr später nach Waziristan. Nach Einschätzung der deutschen Sicherheitsbehörden soll sich Bünyamin Erdoğan vor Ort der Islamischen Bewegung Usbekistan (IBU) angeschlossen haben. Im Juli 2010 leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ein.

Shahab Dashti Sineh Sar starb zusammen mit Bünyamin Erdoğan und drei Einheimischen (darunter Abdul Aziz Taciki und Hattab Taciki) am 4. Oktober 2010 bei einem US-Drohnenangriff auf ein Haus in Mir Ali (Waziristan). Shahab Dashti wurde durch die Explosion ein Bein abgerissen. Emrah Erdoğan, der kurz zuvor das Haus verlassen hatte, fand seinen toten Bruder und berichtete:

Bin ich gegangen, habe ich geguckt Bünyamin. Er war unter der Erde drin. Habe ich den rausgeholt. Habe ich gesagt: Bünyamin, Büno, Büno! Der hat nicht geantwortet. Dann habe ich so sein T-Shirt hoch gemacht, sein hinterer Kopf alles zerfetzt, sein ganzes Gehirn war draußen. Dann habe ich umgedreht. Habe ich gesehen: Büno ist Schahid gestorben. (....) Der ganze Boden war voll mit Blut von denen."

Die Liquidierung des deutschen Staatsbürgers durch die US Regierung beschäftigte auch den Deutschen Bundestag: So richtete der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen) am 8. Oktober 2010 eine entsprechende Anfrage an die Bundesregierung, die allerdings zunächst unbeantwortet blieb. Die Abgeordnete Ulla Jelpke (Die Linke), die am 27. Oktober 2010 ebenfalls eine Kleine Anfrage (Drucksache 17/3555) hierzu einbrachte, erklärte: "Hier fand ganz offensichtlich außerhalb jeder Gefechtssituation in einem sich nicht im Krieg befindlichen Land eine extra-legale Hinrichtung von mutmaßlichen Angehörigen einer islamistischen Gruppe durch einen US-Geheimdienst statt. Schon dies muss als Kriegsverbrechen gesehen werden."

Zur Rechtslage der so genannten "gezielten Tötungen" führte der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Nešković (Die Linke), ein früherer BGH-Bundesrichter, folgendes aus:

Nach deutschem Recht ist ein Terrorist ein Straftäter. Und er muss wie ein Straftäter behandelt werden, man muss versuchen ihn festzunehmen und dann muss im Gerichtssaal geklärt werden, ob er wirklich ein Straftäter ist, ob es auch nur einen solchen Verdacht gibt. Und dann steht am Ende ein Urteil, das Urteil ist mit Sicherheit kein Todesurteil. Denn in deutschen Gerichtssälen ist der Tod nicht zu Hause, wir haben die Todesstrafe abgeschafft. Das ist die Grundlage im Grundgesetz und deswegen kann jemand nur als Terrorist vor Gericht verurteilt werden, aber nicht ermordet werden. (...)

Und da kann man nicht einfach sagen, das ist für mich ein Kampfgebiet und da töte ich, so wie ich es will. Das ist eben alttestamentarische Willkür, das hat mit Recht nichts zu tun. Das Recht ist eine zivilisatorische Errungenschaft, die verteidigt werden muss, weil wir uns da vor Willkür schützen. Hier wird hinter verschlossenen Türen über Leben und Tod eines Menschen entschieden. Ohne das feststeht, ob dieser Mensch überhaupt schuldig ist.

Außerdem erstattete Thomas Schulte-Kellinghaus, Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe, Strafanzeige gegen den damaligen Präsidenten des Bundeskriminalamtes Jörg Ziercke wegen Verdacht auf Beihilfe zum Mord. Durch die Anklage soll geklärt werden, ob deutsche Behörden Informationen, wie z. B. Handy-Rufnummern oder E-Mail-Accounts, an die US Regierung weitergegeben haben, so dass die National Security Agency mit ihrem Prism-Programm die Terrorverdächtigen orten und gezielt töten können. Dies erfüllt juristisch den Straftatbestand der Beteiligung der deutschen Bundesregierung an der Ermordung eines deutschen Staatsbürgers im Ausland. Zusätzlich stellte Wolfgang Nešković eine weitere Anfrage an den Innenstaatssekretär Klaus-Dieter Fritsche, die ebenfalls nur unzureichend beantwortet wurde. "Diese ausweichende Antwort und die Indizenlage lassen keinen anderen Schluss zu, als dass geheimdienstliche Informationen an die US-amerikanische Seite weitergegeben wurden," vermutete Nešković.

In Folge der Diskussion verschärfte das Bundesinnenministerium per Erlass die Regeln für die Weitergabe von Informationen, die zur Lokalisierung deutscher Staatsbürger führen können. Seitdem versieht das Bundesamt für Verfassungsschutz seine Weitermeldungen mit dem Zusatz, sie seien nur für den nachrichtendienstlichen Bereich oder zur Gefahrenabwehr verwendbar.

Zur Beantwortung der parlamentarischen Anfragen teilte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Wolf-Ruthart Born am 11. November 2010 mit:

Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat wegen des in den Medien berichteten angeblichen Angriffs am 4. Oktober 2010 bei der Stadt Mir Ali einen Prüfvorgang angelegt. Gegenstand der Prüfung ist die Frage, ob Anlass besteht, ein Ermittlungsverfahren wegen eines in die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts fallenden Straftatbestandes einzuleiten.

Am 1. Juli 2013 teilte der Generalbundesanwalt Harald Range in einer Presseerklärung abschließend mit, die Tötung des deutschen Staatsbürgers Bünyamin Erdoğan durch die US-Regierung sei okay gewesen:

Der Generalbundesanwalt hat das Verfahren wegen des militärischen Drohnenangriffs am 4. Oktober 2010 in Mir Ali / Pakistan, bei dem der deutsche Staatsangehörige Bünyamin E. getötet wurde, mangels eines für eine Anklageerhebung hinreichenden Verdachts für das Vorliegen einer Straftat gemäß § 170 Absatz 2 der Strafprozessordnung eingestellt. Nach dem Ergebnis der zeitaufwändigen und umfangreichen Überprüfungen handelte es sich bei dem getöteten deutschen Staatsangehörigen nicht um einen vom humanitären Völkerrecht geschützten Zivilisten, sondern um einen Angehörigen einer organisierten bewaffneten Gruppe. Gezielte Angriffe gegen solche Personen in einem bewaffneten Konflikt sind kein Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch. (...) Bei dieser Sachlage ist auch für eine Strafbarkeit nach allgemeinem Strafrecht kein Raum. Das Ermittlungsverfahren war deshalb einzustellen.

Dem wiederum widersprach Wolfgang Nešković in einer Erklärung vom 3. Juli 2013:

Range sagte nicht, dass er es politisch problematisch fände, ein Verfahren gegen hochrangige US-amerikanische Staatsbedienstete zu führen. Range sagte nicht, dass so ein Verfahren zu schweren diplomatischen Verwerfungen zwischen der Bundesrepublik und den USA führen könnte. (…)

Seine Begründung ist ein juristischer Kniefall vor dem völkerrechtswidrigen Hinrichtungsprogramm der Obama-Regierung. Der Generalbundesanwalt stellt sich damit an die Seite derjenigen Juristen, die mit Hilfe von juristischen Mängelkonstruktionen dem militärischen Vorteil den Vorrang vor dem Schutze des menschlichen Lebens einräumen. (…)

Nach dem Kriegsvölkerrecht dürfen Personen, die den Status eines Kombattanten haben, in einem bewaffneten Konflikt auch außerhalb konkreter Kampfhandlungen getötet werden. Das setzt jedoch voraus, dass die Tötungshandlung in einem Kriegsgebiet stattfindet. Afghanistan ist möglicherweise ein Kriegsgebiet. Aber da schlug die Drohne gar nicht ein. Sie explodierte auf pakistanischem Boden.

Range knüpft den Begriff des "bewaffneten Konfliktes" gleichsam mühelos an die getötete Person. Weil Bünjamin E. ein Kämpfer gewesen sei, wäre dort Krieg, wo Bünjamin E. sich aufhält. (…)

Dann ist nach dieser Logik demnächst auch die Bundesrepublik ein Kriegsgebiet, aus der neben Bünjamin E. eine ganze Reihe von Personen stammen, die unter Terrorverdacht stehen und schon auf deutschem Boden Vorbereitungen für feindselige Handlungen trafen. Die Logik taugt nichts. Richtigerweise verbindet sich der Begriff des Kriegsgebietes mit einem Territorium und nicht mit einer Person.

In Berliner Regierungskreisen hieß es dazu lapidar: "Man könne froh sein, dass die Amerikaner die Drecksarbeit erledigen."

Ahmad B. (2012)

"Abu Ibraheem" alias Ahmad B. war gebürtiger Marokkaner, besaß aber auch die deutsche Staatsbürgerschaft und wohnte in Baesweiler-Setterich. Im Januar 2010 reiste er über den Iran nach Waziristan, wo er mit Yassin Chouka zusammentraf und sich der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU) anschloss. Am 10. Oktober 2012 kam er bei einem amerikanischen Drohnenangriff auf ein Mudschahed-Ausbildungslager in der Region Hurmuz (Afghanistan) ums Leben.

Samir H. (2012)

"Abu Laith al-Almani" alias Samir H. war Deutschtunesier. Er stammte aus Dresden, wohnte aber zuletzt in Aachen oder Stolberg. Im Oktober oder November 2009 reiste er mit seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern nach Waziristan, einen Monat später folgte ihm seine damals achtzehnjährige Schwester Soumaia H.. Samir H. wurde der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU) zugerechnet und stand in Verbindung mit der "Sauerland-Gruppe". Im Dezember 2010 tauchte er in dem Propaganda-Video "Frohe Botschaft aus Pakistan" auf. Darin posierte er mit einem deutschen Maschinengewehr MG 42. In dem Film wurde berichtet, dass Samir H. am 10. April 2010 an einem Angriff auf einen Konvoi des pakistanischen Heeres bei Kanigurum teilgenommen hatte, bei dem zwanzig Soldaten starben. Außerdem erklärte Samir H. in dem Video, er habe "eine schöne Zeit".

Am 9. März 2012 wurde er bei einem US-Drohnenangriff im südlichen Waziristan getötet, als er mit einem Pick-Up unterwegs war. Bei dem Angriff starben mindestens zwölf Taliban bzw. ausländische Mudschahidin. "Sie waren auf dem Heimweg, als eine US-Drohne ihren Wagen beschoss," berichtete die Schwester ihrer Mutter per Skype. Die Mutter von Samir H., eine deutsche Konvertitin, erklärte: "Das war Mord!" Sie forderte die Bundesregierung auf ein amtliches Todesermittlungsverfahren einzuleiten. Daraufhin legte der Generalbundesanwalt am 9. März 2012 einen entsprechenden Prüfvorgang an.

Auch der deutsche Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (Die Linke) forderte Aufklärung. Auf eine entsprechende Anfrage erklärte der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder am 9. Mai 2012 nur ganz Allgemein:

Der Bundesregierung sind zwar Berichterstattungen der Presse zu dem Vorfall bekannt, jedoch ist die mutmaßliche Tötung des deutschen Staatsangehörigen Samir H. bislang offiziell weder bestätigt noch widerlegt.

Hinsichtlich des Informationsaustauschs mit Behörden der USA oder anderer Regierungen verweise ich auf die bei der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages als Verschlusssache eingestufte und zur Einsichtnahme hinterlegte Hintergrundinformation. (...)

Die Veröffentlichung von Einzelheiten des Informationsaustausches würde diese vertrauensvolle Zusammenarbeit nachhaltig stören und unter Umständen zur Verwehrung von Informationen führen, die für die Abwehr von Gefahren für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland von Bedeutung sind.

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