Kann KI zentrale menschliche Fähigkeiten und Vermögen ersetzen?

Seite 3: Das instrumentell Relevante und was für das gute Leben zählt

Viele kritisieren an der KI, dass sie die Überwachung erleichtert, oder machen sich Sorgen infolge der Annahme, die KI verringere die Zahl der Arbeitsplätze. Andere wiederum begrüßen an der KI, sie befreie von schlechter Arbeit.

Sie unterschätzen, dass viele bisherigen technologische Neuerungen unter Bedingungen der kapitalistischen Ökonomie dazu geführt haben, dass bestimmte Arbeitsplätze wegfielen, dafür aber viele andere, qualitativ nicht minder fragwürdige entstehen.

Wir konzentrieren uns in diesem Artikel auf ein anderes Thema und fragen, was die KI selbst bei ihren Nutzern sowie Anwendern mit deren Mentalitäten und Lebensweisen immer schon macht, bevor sie individuell mit der Technik umgehen oder kollektiv diese politisch regulieren.

Der Abwertung genuin menschlicher Fähigkeiten entgegentreten

Es gilt, der Abwertung genuin menschlicher Fähigkeiten und Vermögen entgegenzutreten. Not-wendig wird ein Bewusstsein dafür, dass die Schnelligkeit im Erledigen von Rechenoperationen nur dann ihren Wert hat, wenn sie nicht gegen die Menschen ausgespielt wird, als seien diese nur die defizitäre Vorstufe einer Maschinenintelligenz.

Wir haben menschliche Fähigkeiten geschildert, die sich nicht durch die KI ersetzen lassen, und uns auf Vermögen bezogen, die für die Lebensqualität alles andere als randständig sind. Diese Fähigkeiten entwickeln sich in Auseinandersetzungen mit Objekten, Personen und gesellschaftlichen Problemen.

Die Reifung bzw. Bildung menschlicher Vermögen folgt einer anderen "Logik" und bildet einen anderen Wert als das durch technische Problemlösungen Erreichbare. Letztere orientieren sich an der Effizienz. Schon ein höher entwickeltes Tier sieht gemessen an diesem Maßstab schlecht aus.

Die Leistung der Alge, aus Sonnenlicht Energie zu gewinnen, ist unendlich effizienter als die Leistung des Adlers, mit aufwendigem Flugspektakeln ein Kaninchen zu fangen.

Stanislaw Lem

Für den Eigenwert menschlicher Fähigkeiten, Sinne und weit verstandener Reflexionsvermögen blind zeigt sich das technizistische Verständnis. Es strebt eine Allzuständigkeit der Technik an. Dem Technizismus fehlt das Organ für die praktische Bildung der menschlichen Subjektivität.

Diese Bildung findet statt in vier Praxen: in der Arbeit und Tätigkeit, in den sozialen Beziehungen, im sinnvollen Bezug der eigenen Produkte und Dienstleistungen auf die Entwicklung der Lebensqualität und in der Gestaltung der Gesellschaft durch die Bevölkerung.

Erst in diesen Praxen vermögen Menschen, "sich von sich selbst lösen zu können, sich gegenüberzutreten wie einem Dritten, gestaltend, erkennend, wertend, und erst in dieser Form das Bewusstsein ihrer selbst zu gewinnen" (Simmel 12, 221).

Die auf diese vier Praxen bezogenen menschlichen Fähigkeiten und Sinne sind für die Menschen nicht nur faktisch für ein komfortables Überleben notwendig oder ein nettes Hobby, sondern für ihr gutes Leben essentiell.

Um die "Selbstverwirklichung" des Individuums im Sinne einer gegenseitigen Spiegelung von Selbstbetätigung und Selbst handelt es sich nicht. In ihr dominiert das letztlich egozentrisch bleibende Selbstbewusstsein des Individuums.

Es interpretiert all das, was das Individuum tut, selbstwertdienlich. Für die eitle Selbstgenügsamkeit, nur "sich selbst" zu "produzieren", gilt: Dieses Individuum kann, "da es weiß, dass es in seiner Wirklichkeit nichts anderes finden kann als ihre Einheit mit ihm oder nur die Gewissheit seiner selbst in ihrer Wahrheit, und dass es also immer seinen Zweck erreicht, nur Freude an sich erleben" (Hegel 3, 299f.).

Im Unterschied dazu beziehen sich die von uns angesprochenen menschlichen Vermögen auf die Auseinandersetzung mit Fragen, die die vier genannten Praxen aufwerfen. Sie betreffen die Lebensinhalte der Menschen bzw. ihr In-der-Welt-Sein und übersteigen ihr instrumentelles Verhältnis zu den Lebensbedingungen bzw. der Umwelt.

Der Hype um die KI entspricht der "Geistesöde der bürgerlichen Kultur, die sich nur mehr für technische Fortschritte zu begeistern vermag, dagegen für allen Glauben an höhere Formen der Menschheitskultur und der Gesellschaft nur Spott und das klägliche Argument des Utopismus bereit hat" (Adler 1926, 227).

Technologiepolitik

Notwendig werden gesellschaftliche Bewegungen, die eine normative Technologiepolitik auch gegenüber der KI durchsetzen sowie die heute dominante permissive und reaktive Technologiepolitik überwinden. Permissive Technologiepolitik fördert die Innovationen pauschal. "Digitalisierung first, Bedenken second" hieß ein Slogan der FDP zur Bundestagswahl 2017.

Eine reaktive Technologiepolitik "wartet zunächst, bis bestimmte technische Entwicklungen bereits eine gewisse Gestalt angenommen haben, und untersucht erst dann, ob sie wünschenswert sind oder nicht" (Ropohl 1985, 236).

Eine normative Technologiepolitik setzt an den beschriebenen menschlichen Vermögen an. Sie sorgt dafür, dass diese menschlichen Fähigkeiten nicht unter die "Räder" von technologischen Offensiven wie der KI kommen. Sie leitet aus der Definition einer wünschbaren Lebensqualität Zwecke ab und aus ihnen Aufträge für die Entwicklung entsprechender Technologien.

Sie orientiert sich nicht an einer absoluten Autonomie, sondern weiß: Die notwendigen technologischen Bedingungen einer Gesellschaft des guten Lebens können ihr gegenüber Fremdes und sie Infragestellendes enthalten.

Keine differenzlose Harmonie der Hauptsache (des guten Lebens) mit ihren äußeren Bedingungen ist das Ziel, sondern eine Zusammensetzung, in der die Gesellschaft des guten Lebens über die externen Voraussetzungen ihrer selbst überzugreifen und es sich ein- und unterzuordnen vermag.