Kavkaz.org wurde vom Netz genommen

Die den tschetschenischen Terroristen zugeschriebene Website blieb seltsamer Weise auch nach dem 11.9. am Netz, obgleich sie in den USA gehostet war

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Die als "Sprachrohr" für tschetschenische Terroristen bezeichnete Website www.kavkaz.org gab es zwar schon seit Mai 1999, doch erst mit der spektakuären Geiselnahme von 800 Menschen mitten in Moskau rückt nicht nur der Konflikt in Tschetschenien, sondern auch diese Nachrichtenseite in den Blickpunkt. Gestern, noch vor der Erstürmung des Theaters durch eine Spezialeinheit des russischen Geheimdienstes FSB, wurde die Website allerdings vom Netz genommen.

In Russland reagierte man schnell

Vermutlich dürfte nach dem Terroranschlag in der russischen Hauptstadt, an dessen Vorbereitung und Durchführung neben den Geiselnehmern eine ganze Reihe von Menschen über längere Zeit hinweg beteiligt gewesen sein werden, der russische Geheimdienst FSB, Nachfolger des berüchtigten KGB, der Kritik ausgesetzt werden. Offenbar waren die russischen Sicherheitsbehörden völlig überrascht von diesem Anschlag.

Die geglückte Befreiung der Geiseln wird dem FSB allerdings zunächst zugute kommen. Sie wurde zwar allgemein begrüßt, aber ob vielleicht war auch deswegen dankbar, weil das Schreckliche, das dabei hätte geschehen können, glücklicherweise nicht eingetreten ist. Man muss nicht vorstellen, welches Blutbad hätte entstehen können, wenn die zahlreichen Sprengsätze an den Körpern der Geiselnehmer, die verminten Bereiche des Gebäudes und der große Sprengsatz mitten im Saal tatsächlich hochgegangen wären.

Aus dem Video der Terroristen

Die Spezialeinheiten haben ein starkes Gas zur Betäubung eingesetzt, das zumindest die meisten Terroristen ausgeschaltet hat. Nach Berichten wurden die meisten Menschen i Theater durch das Gas schnell bewusstlos. Getötet wurden aber nicht nur 50 Terroristen, sondern, wie bislang bekannt wurde, auch mehr als 90 Geiseln, während über 300 Verletzte in die Krankenhäuser kamen (und manche der Terroristen entkamen). Der stellvertretende Innenminister Vladimir Vasilyev versicherte angesichts aufkeimender Kritik schnell, dass dies nicht vom Einsatz des Gases - der Minister sprach nur von "speziellen Substanzen" - verursacht worden sei. Man habe das Gas vor allem gegen die Frauen eingesetzt, die als lebende Bomben eine große Gefahr dargestellt haben. Angeblich habe man die Erstürmung begonnen, nachdem klar geworden war, dass die Terroristen mit dem Töten von Geiseln am Samstag Morgen begonnen hatten. Trotz des Einsatzes des offenbar starken, möglicherweise auch giftigen Gases ist es angeblich zu einem einstündigen Kampf gekommen. Dem Anschein nach hande,lte es sich um ein starkes Nervengas, also um eine chemische Waffe. Nach der Chemical Weapons Convention wäre ein solches Giftgas verboten:

2. "Toxic Chemical" means:

Any chemical which through its chemical action on life processes can cause death, temporary incapacitation or permanent harm to humans or animals. This includes all such chemicals, regardless of their origin or of their method of production, and regardless of whether they are produced in facilities, in munitions or elsewhere.

Die ausgeschalteten lebendigen Bomben: Bild: al-Dschasira

Wie die letzten Terroranschläge beispielsweise in Indien gezeigt haben (Terroristen mit Laptop, Emails und Handys), setzen die Terroristen mehr und mehr die neuen Medien gezielt ein. Im Theater durften die Besucher in einer Art der psychologischen Kriegsführung mit ihren Handys den Kontakt nach außen halten, um dort Stimmung gegen eine Erstürmung zu machen und indirekt die Wünsche der Terroristen, beispielsweise Demonstrationen gegen den Krieg in Tschetschenien auf dem Roten Platz, mitzuteilen. Über die Verbreitung in den Medien finden die Angstbotschaften eine große Resonanz.

Für das medienbewusste Verhalten der Terroristen spricht auch, dass sie nicht nur Reporter und ein Fernsehteam in das Theater ließen, sondern selbst ein Video vorbereitet hatten, das von dem Fernsehsender al-Dschasira gesendet wurde, während sie über Handys offenbar mit den Betreibern der Website Kavkaz.org in Verbindung standen, die von dem amerikanischen Provider Cogent Communications (Washington) gehostet, über Network Solutions von Movladi Udug bzw. Salat al Husein (Orlando) registriert wurde. Die "Kavkaz-Center News Agency" berichtete schon seit geraumer Zeit sehrt parteilich vom Konflikt in Tschetschenien und bot auch Bankverbindungen an, um den bewaffneten Kamp der Mudschaheddin oder Freiheitskämpfer zu unterstützen.

Auf Kavkaz.org wurde denn auch von der Besetzung berichtet und beispielsweise ein Bekanntmachung von Mowsar Barajew veröffentlicht, der deutlich machte, dass seien Kämpfer nicht gekommen sein, um am Leben zu bleiben. Auch die Forderungen der Geiselnehmer gelangten hier an die Öffentlichkeit. Kavkaz.org wurde daher auch schnell zu einer bei Medien beliebten Website. Dafür hatte man die Seite ganz auf die Berichterstattung eingestellt und alle früheren Inhalte mitsamt den Bildern vom Grauen in Tschetschenien und den "Erfolgen" gegenüber den Russen entfernt. Ob die Inhalte in den USA eingegeben wurden oder beispielsweise in Georgien, wie man auch vermutet hat, ist derzeit nicht bekannt. In Russland wurde die Site jedenfalls schon kurz nach der Geiselnahme blockiert, außerhalb Russland war sie jedoch trotz mancher Ausfälle weiterhin erreichbar. Auch wenn nach dem 11.9. Websites, die mit muslimischen Terroristen in Tschetschenien und dann auch mit al-Qaida als Weiterführung des Dschihad wie Azzam.com oder qoqaz.net, vom Netz gingen, blieb Kavkaz.org erstaunlicherweise online. Erstaunlicherweise auch deswegen, weil hier der Solidarität mit den Taliban und al-Qaida ziemlich unverblümt Ausdruck verliehen wurde.

Frank Patalong von Spiegel Online führte dies in bester Verschwörungstheorie darauf zurück, dass über einige Verbindungen wie dem Provider Cogent, zu dessen Geldgebern die Firmen Metacarta und In-Q-Tel gehören, irgendwie vom NSA und CIA gefördert wurde, um, so Patalong, direkten Zugriff auf die Informationen zu haben: "Welchen Weg der Datenstrom vom User zu Kavkaz und zurück auch nimmt, in den Vereinigten Staaten läuft er ausschließlich über die Kabel und Server von Firmen mit besten Kontakten zu Geheimdiensten. Diese Firmen sind zudem verbunden mit Dienstleistern, die sich auf Lokalisierung von Usern und Dokumenten in digitalen Netzen spezialisiert haben. Der Rest ist eine nicht beweisbare Spekulation, für die man aber wohl kaum einsteinsche Geistesqualitäten mitbringen muss: Bei Kavkaz liest der Freund/Feind mit - in beiden Richtungen."

In der Pravda.ru verstand man die Dinge jedenfalls auch nicht und kritisierte, dass es "im Licht des weltweiten Kampfs gegen den Terrorismus, selbstverständlich wäre anzunehmen, dass alle zivilisierten Menschen der Welt wollen würden, dass die terroristische Website geschlossen wird. Aber es gibt sie noch." Dabei wäre das Abhängen doch ganz einfach, weswegen man in der Pravda auch den Verantwortlichen alle Whois-Informationen mit auf den Weg gab. Hatten nun die Geheimdienste, die sich gegenseitig nicht nur unbedingt unterstützen, also nun Einsehen oder wusste man oben nichts von der Terroristen-Website? Jedenfalls ist die Website nun verschwunden, vermutlich wurde sie nur vom Provider vom Netz genommen.

Damit ist allerdings wieder ein Mythos gestorben, nämlich dass über das Internet alle Beteiligten mit der Weltöffentlichkeit kommunizieren können (Die Website zur Geiselnahme. Auch im Internet können verbotene, verfolgte und unwillkommene Gruppen ihr Informationen nur so lange veröffentlichen, wie Regierungen den Zugriff auf die Website nicht blockieren oder erlauben bzw. nicht verhindern, dass diese Websites von Providern auf ihren Territorien gehostet werden. Das betrifft natürlich nicht nur Terroristengruppen, sondern kann auch Oppositionellen oder Kritikern ihr Sprachrohr wieder nehmen. In diesem Fall werden wir jedenfalls nicht mehr lesen können, wie die Sympathisanten der Terroristengruppe ihre Niederlage verarbeiten.

Allerdings, die Benutzung von Handys oder Laptops mit Internetanbindung über Handys stellt Sicherheitskräfte bei Geiselnahmen wie russische sicherlich vor ein Dilemma. Man hätte ja durchaus verhindern können, dass Terroristen wie Geiseln telefonieren, aber dann wäre sicherlich ein Proteststurm losgebrochen. Über Satellitentelefone hatten die Terroristen offenbar auch nach Tschetschenien, beispielsweise mit einem Shamil Basayev, aber auch in die Türkei telefoniert.